29.04.2021
Die zweite COVID-Welle stellt Indien vor neue Herausforderungen. Über 300.000 Neuinfektionen pro Tag meldet das Land. Wir sind vor Ort und helfen.

Themengebiete:

In Indien haben die täglichen Neuinfektionen Höchstwerte von mehr als 300.000 Menschen pro Tag erreicht. 

Die Gesundheitseinrichtungen im Land sind völlig überfordert und benötigen dringend Unterstützung bei der Bekämpfung der zweiten COVID-19-Welle. 

Die Situation ist sehr besorgniserregend. Das ist der größte Anstieg seit Beginn der Pandemie.

Dilip Bhaskaran, Einsatzleiter für COVID-19-Aktivitäten in Indien

"Sie hat alle überrollt" - Gesundheitssystem am Limit

„Niemand war auf diese zweite Welle ausreichend vorbereitet“, sagt Mabel Morales, medizinische Koordinatorin von Ärzte ohne Grenzen in Indien. „Sie hat alle überrollt und in sehr kurzer Zeit zu einer großen Krise geführt. Die Behörden hier sind gut organisiert und reagieren auf die Situation, so gut sie können. Doch die Fallzahlen steigen, und wird es immer schwieriger, noch Betten für die Erkrankten zu finden.“

Vor allem in der Stadt Mumbai im Bundesstaat Maharashtra ist die steigende Zahl der COVID-19-Fälle besonders markant. Das dortige Gesundheitssystem ist am Limit. Die Stadt ist dicht besiedelt, und fast 42 Prozent der Bevölkerung leben unter schlechten hygienischen Bedingungen in informellen Siedlungen und Slums, wodurch die Menschen einem sehr hohen Infektionsrisiko ausgesetzt sind. 

Wie schon bei der ersten Welle, sind unsere Teams vor Ort und arbeiten zusammen mit den indischen Behörden auf Hochtouren, um das Infektionsgeschehen schnell wieder unter Kontrolle zu bringen. 

Ausweitung unserer Aktivitäten gegen zweite Welle

„Wir unterstützen die lokalen Gesundheitsbehörden im Jumbo-Krankenhaus, dem größten COVID-19-Behandlungszentren in Mumbai“, so Laura Leyser, Geschäftsführerin von Ärzte ohne Grenzen Österreich.

Die Einrichtung verfügt über 2.000 Betten. Ein Team von Ärzte ohne Grenzen bestehend aus 50 Personen – Labortechniker:innen, Anästhesist:innen, Ärzt:innen, Krankenpfleger:innen und Psycholog:innen – arbeitet daran, die Kapazitäten für die Behandlung von mäßig schwer erkrankten und kritischen COVID-19-Patient:innen zu verbessern. Wir managen die Beobachtung der Patient:innen sowie Triage auf sechs Stationen mit je 28 Sauerstoffbetten. Die Hilfe wird weiterausgebaut und unsere Teams organisieren vier Stationen mit je 28 Sauerstoffbetten unterstützen. Außerdem erhält das Jumbo-Spital zehn High-Flow-Nasenkanülen-Maschinen, die die Sauerstofftherapie unterstützen werden.

Gesundheitspersonal schützen

„Als medizinische Organisation ist uns besonders auch die Sicherheit des Gesundheitspersonals wichtig. Aufgrund der massiven Überlastung und der hohen Patient:innenzahl ist es wichtig, ihre Sicherheit zu garantieren. Wir unterstützen daher auch die Einhaltung der Versorgungsqualität und Infektionsprävention und -kontrolle“, betont Geschäftsführerin Leyser.

Dass die Arbeitsbedingungen in einer improvisierten COVID-19-Station alles andere als einfach sind, berichtet Gautam Hari Govind, Koordinator für medizinische Aktivitäten in Mumbai: „Stellen sie sich ein behelfsmäßig errichtetes Krankenhaus in einem riesigen Zelt vor. Als ich es zum ersten Mal betreten habe, war das eine surreale Erfahrung. So etwas habe ich noch nie gesehen. Es ist, als würde man ein riesiges Schiff betreten. Die Decke ist wirklich hoch, aber die Belüftung ist nicht besonders gut. Morgens wird es in Mumbai sehr schwül. Es ist unerträglich heiß. Und acht Stunden lang in einem Schutzanzug zu arbeiten, das ist unvorstellbar. Die Hitze ist fast nicht zu ertragen.“

Dr sharanya in the fever clinic taking a sample 2.jpg
Abhinav Chatterjee/MSF
Die Gesundheitseinrichtungen im Land sind überfordert. Hilfe wird dringend benötigt.

Präventionsmaßnahmen für besonders schutzbedürftige Menschen

Ein weiterer wichtiger Teil des Einsatzes ist auch die Durchführung von Präventionsmaßnahmen für besonders schutzbedürftige Menschen mit Vorerkrankungen wie Diabetes, HIV oder multiresistenter Tuberkulose. „In den Slums mangelt es oft an essentieller Infrastruktur wie Wasserleitungen, angemessenen Toiletten und einer funktionierenden Müllabfuhr. Oft leben fünf oder sechs Menschen in einem Raum mit weniger als zehn Quadratmetern“, beschreibt Laura Leyser die Lebensbedingungen vieler Menschen in Mumbai. „Gerade für Risikogruppen kommt der COVID-19-Ausbruch zusätzlich zu bestehenden Herausforderungen. Wenn wir uns erinnern, wie unser gut funktionierendes Gesundheitssystem in Österreich durch die Pandemie bereits beeinträchtigt wird, kann man sich vorstellen, wie das in vielen unserer Einsatzländer ist. Gerade in Indien ist der Zugang zu Gesundheitsversorgung stark vom Einkommen der Menschen und ihrem Wohnort abhängig.“

Unsere Teams führen das Hilfsprogramm für über 2.000 Patient:innen mit medikamentenresistenter Tuberkulose weiter, die in einer Klinik der medizinischen Hilfsorganisation sowie im Krankenhaus Shatabdi behandelt werden. Zudem bieten wir psychosoziale Unterstützung und regelmäßige Hausbesuche für identifizierte besonders gefährdete Risikogruppen.

Digitale Gesundheitsaufklärung

Um die Ausbreitung übertragbarer Krankheiten zu stoppen, ist es wichtig, die Bevölkerung zu erreichen: Daher hat Ärzte ohne Grenzen die digitale Gesundheitsaufklärung und die Hygiene-Maßnahmen im Viertel M-East Ward (MEW) von Mumbai, wo die Einhaltung von Abstandsregeln und die Prävention von COVID-19 besonders schwer umzusetzen sind, wieder aufgenommen.

Durch Gesundheitsinformationen sollen Ansteckungen der am meisten gefährdeten Menschen in dicht besiedelten Slums verhindert werden. Die Verbreitung der Aufklärungsnachrichten findet teilweise via digitale Medien statt, um viele Menschen zu erreichen. Die Teams informieren die Bevölkerung aber auch via Lautsprecher auf herumfahrenden Tuk-Tuks über Infektions- und Präventionsmaßnamen. Sie verteilen auch Hygiene-Kits mit Masken. 

So wurde die erste COVID-19 Welle in Mumbai bekämpft

Im vergangenen Jahr hatten unsere Teams in Mumbai schon einmal mit dem Gesundheitsministerium an Maßnahmen zum Screening und bei der Behandlung von betroffenen Patient:innen zusammengearbeitet.

Der Bundesstaat Maharashtra mit der Hauptstadt Mumbai verzeichnete schon während der ersten Welle die höchsten Fallzahlen.

Im Viertel M-East, wo die Einhaltung von Abstandsregeln und die Prävention von COVID-19 besonders schwer umzusetzen sind, waren unsere Teams während der ersten Welle im Einsatz. 

Unsere Aktivitäten gegen die erste COVID-Welle

Trotz der zahlreichen Schwierigkeiten konnten wir damals gemeinsam mit dem Gesundheitsministerium schnell auf die Pandemie reagieren und richteten Screening-, Test- und Behandlungsstationen ein, um die Zahl der Neuinfektionen und Todesfälle zu senken. 

„Wir stellten den Bewohner:innen von M-East kostenlos Gesichtsmasken, Seife und Hygienesets zur Verfügung und ermöglichten eine stationäre Behandlung von Patient:innen, die positiv auf COVID-19 getestet wurden, um spezialisierte COVID-19-Zentren zu entlasten", erklärte Dr. Hemant Sharma, Koordinator unserer COVID-19-Projektgruppe in Mumbai. „Um die Behandlungsergebnisse für Patient:innen in einem kritischen Zustand mit vereinfachten Techniken zu verbessern, installierten wir auch fünf leistungsfähige nasale Sauerstoffgeräte.“

Die Aktivitäten, gepaart mit vielen anderen Maßnahmen, halfen, die Pandemie vorläufig in den Griff zu bekommen. Doch nun schnellen die Fallzahlen mit besorgniserregender Geschwindigkeit wieder in die Höhe. Mehr als 300.000 Neuinfektionen pro Tag meldet das Land. Die Kapazitäten in den Krankenhäusern haben ihre Limits erreicht. Bleibt zu hoffen, dass die Maßnahmen auch diesmal bald greifen. 

„Die Bedürfnisse hier sind so groß und wir leisten einen überschaubaren Beitrag. Aber es ist wichtig, dass wir hier sind, um zu helfen. Mitarbeiter:innen anderer Gesundheitseinrichtungen kommen zu uns, um an den Schulungen teilzunehmen, und wir können sie unterstützen und unser Wissen teilen“, erläutert Morales. „Wir alle fühlen uns gegenüber unseren Patient:innen und dem Personal sehr solidarisch. Ich habe das Gefühl, hier am richtigen Ort zu sein. Wir arbeiten alle zusammen. Es ist harte Arbeit, aber ich bin froh, ein Teil davon zu sein.“


Aktuellste Nachrichten & Artikel

Medizinische Hilfsorganisationen besorgt über…

Carbon Reduction Roadmap
Vor dem Start der Weltklimakonferenz zeigen sich das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (IKRK), die Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung und Ärzte ohne Grenzen beunruhigt über die gesundheitlichen Folgen der Klimakrise. Besonders für Menschen, die in Konfliktregionen leben oder über keinen Zugang zu medizinischer Grundversorgung verfügen, hat die Klimakrise schwere Folgen.
Mehr lesen

Mittelmeer: Gerettete benötigen dringend sicheren…

Ärzte Ohne Grenzen Österreich Logo
MSF
Nach sieben Rettungen von Schiffbrüchigen im Mittelmeer sind die 572 Geretteten dringend auf die Zuweisung eines sicheren Hafens angewiesen. An Bord der Geo Barents befinden sich drei schwangere Frauen, über 60 teils unbegleitete Minderjährige und kleine Kinder.
Mehr lesen

Fabian zeigt Einsatz: "Man ist nicht alleine im…

Fabian Havlik
Fabian Havlik/MSF
Der Wiener Fabian Havlik gibt direkten Einblick in sein Erleben seines Einsatzes als Logistikmanager in der Zentralafrikanischen Republik - einem Land, das von vielen Krisen gebeutelt wird.
Mehr lesen

Nothilfe im Niger

Niger
Oliver Barth/MSF
Die Menschen in Niger haben mit vielen Krisen zugleich zu kämpfen, die einander verstärken. Oliver Barth ist Redakteur bei Ärzte ohne Grenzen und berichtet über die Lage aus Diffa im Südosten des Nigers.
Mehr lesen

Lesbos: Ankommen in Fesseln

Three people found handcuffed, four injured on the Aegean island of Lesvos (MSF)
MSF
Immer wieder hören wir von Angriffen auf Menschen, die auf Lesbos oder Samos Schutz suchen. Lesen Sie hier über einen Vorfall vom 20. Oktober 2022.
Mehr lesen

Warnung vor Gesundheitskatastrophe in Haiti

Cholera-Ausbruch in Haiti.
MSF/Alexandre Marcou
Viele Bewohner:innen des Landes haben keinen Zugang zu sauberem Wasser und medizinischer Versorgung. Ein Cholera-Ausbruch verschärft die Situation.


Mehr lesen

Herzlich Willkommen!

Empfehlen Sie uns weiter!
MSF
Sie sind durch eine Empfehlung aus Ihrem Netzwerk auf uns aufmerksam geworden. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken. Damit wir so effektiv und effizient arbeiten können, wie wir es tun, braucht es auch ein großes und professionelles Netzwerk, auf das wir uns jederzeit verlassen können. Und Sie können ein wichtiger Teil davon werden!
Mehr lesen

Welternährungstag: Ärzte ohne Grenzen warnt vor…

Date seeds
KC NWAKALOR
Anlässlich des Welternährungstages am 16. Oktober weist Ärzte ohne Grenzen exemplarisch auf die besonders prekäre Lage im Nordwesten von Nigeria hin. „Unsere Alarmglocken schrillen“ sagt Einsatzleiter Simba Tirima.
Mehr lesen

Der Kampf gegen den Hunger

Nutritional crisis in northwest Nigeria
George Osodi
Millionen Menschen sind von Hunger bedroht, 232 Millionen Kinder litten 2021 an Mangelernährung. Diese traurige Zahl wird 2022 überstiegen werden, das ist klar. 
Mehr lesen

Mobile Kliniken nach Überschwemmungen in Pakistan…

Dr. Iftikhar Ahmed untersucht ein Kind mit Durchfallerkrankung. Er ist Teil des Teams der mobilen Klinik in Khyber Pakhtunkhwa. Ärzte ohne Grenzen beobachtet einen Anstieg von Patient:innen mit Durchfall aber auch Malaria, Dengue, Atemwegs- Haut- und Augeninfektionen.
Zahra Shoukat/MSF
Es könnte Monate dauern, bis der Wasserstand wieder zurückgeht. "Die Not ist sehr groß und es ist gut, dass wir hier sind um zu helfen", betont Shahid Abdullah, Notfallkoordinator von Ärzte ohne Grenzen in Balutschistan.
Mehr lesen

Unsere Bemühungen zahlen sich aus

Um Rakuba refugee camp
MSF/Ehab Zawati
Lisa Finger berichtet von ihrem Einsatz als Ärztin im Sudan.
Mehr lesen

"So ein Päckchen Erdnusspaste hatte ich schon…

Ärzte Ohne Grenzen Österreich Logo
MSF
Vom geflüchteten Kind zum Finance & HR-Koordinator bei Ärzte ohne Grenzen.
Mehr lesen