Kommentar von Georg Geyer
26.05.2023
Im Einsatz steht man oft vor so vielen Herausforderungen gleichzeitig, dass man nicht mehr weiter weiß. Logistiker Georg Geyer kennt diese Momente. Warum aufgeben keine Option und vorausschauende Planung der Schlüssel zum Erfolg ist, erzählt er hier.

„Was hast du die nächsten zwei Wochen vor?“, frage ich einen sympathisch wirkenden jungen Mann im Hotel. Er sieht mich verdutzt an. „Ich hätte einen Job für dich,“ komme ich gleich zur Sache. Wir kommen ins Gespräch. 

Das war im Tschad auf einer Erkundungstour für eine groß angelegte Impfkampagne. Wir sind die Gegend abgefahren, in der wir die Menschen impfen wollten und haben Vorbereitungen getroffen. Und ich wusste: Ich brauche für diese Impfkampagne ein gutes Team. 
 

Über 10 Jahre Einsatzerfahrung

Georg Geyer ist Logistiker bei Ärzte ohne Grenzen
MSF
Georg Geyer im Tschad 2019.

Dieses Beispiel aus dem Tschad ist kein Einzelfall. So ist das, wenn eine Krise ausbricht, auf die wir reagieren müssen. Da braucht es zu Beginn schnelle Recruiting Prozesse.  

Ich bin seit über 10 Jahren mit Ärzte ohne Grenzen im Einsatz. Als Logistik-Koordinator baue ich die Infrastruktur rund um unsere Einsätze auf.

Meine Aufgaben: Lieferketten etablieren und optimieren, Personal organisieren, Transportmöglichkeiten zur Verfügung stellen und Sicherheitsmaßnahmen umsetzen. 

Krisen erkennen und handeln

Was meine Arbeit aber wirklich herausfordernd macht, ist die Schnelligkeit, mit der eine Krise auf die nächste folgt. Wir haben es im Einsatz mit verschiedensten Notfällen zu tun: Das können etwa Epidemien, Kriege oder eine Hungersnot sein. 

Was ist ein Notfall?

Als Notfall gilt bei uns eine akute Situation, die plötzlich eingetreten ist oder kurz bevorsteht. Die Gesundheit und das Überleben vieler Menschen sind bedroht. Ein hoher medizinischer und humanitärer Hilfsbedarf ist zu erwarten.

Was unseren Einsatz erschwert sind unterschiedliche Krisensituationen. Das reicht von fehlenden Medikamenten wegen Lieferengpässen über Projektverzögerungen durch Personalmangel bis hin zu erschwerten Geldtransfers in instabilen Finanzsystemen.  

Wichtig ist es, zu wissen, ab wann wir es mit einer solchen Krise zu tun haben und darauf reagieren müssen. Wir haben dafür ein Ampelsystem, in dem verschiedene Faktoren gemessen werden. Wenn ein Faktor von grün auf rot springt, handeln wir.  

Prioritäten: der Balance-Akt zwischen den Aufgaben

Das Erste, was ich tue, wenn wir es mit einer neuen Krise zu tun haben: Ich schaue, welche Ressourcen ich brauche, um reagieren zu können.  

Meine größte Herausforderung dabei: der Balance-Akt zwischen den verschiedenen Tasks. Ich stelle ein Team zusammen, schaue darauf, dass es alle neuen Lieferungen durch den Zoll schaffen, verhandle mit lokalen Behörden und kümmere mich um viele andere Dinge. 

Wenn du eine Aufgabe zu sehr vernachlässigst, hast du schnell ein Problem. Da muss ich priorisieren und gute Entscheidungen treffen.  

Krisen, Krisen, Krisen

Es gibt Momente, da glaube ich, es geht nicht mehr. 

Oft gibt es so viele Krisen innerhalb eines Einsatzes, dass ich nicht weiß, wo ich beginnen soll. Dann frage ich mich: Können wir das jemals schaffen? 

So war das auch 2021 im Sudan, wo wir Geflüchtete aus Äthiopien versorgt haben. Es sind jeden Tag mehr Menschen gekommen. Insgesamt über 60.000. Wir haben uns erstmal um die medizinische Versorgung der Menschen gekümmert. Doch es war unheimlich schwierig an das nötige Material zu kommen. Die Visa unser internationalen Mitarbeiter:innen wurden nicht verlängert. Gleichzeitig ist ein LKW mit Hilfsgütern im Zoll festgesteckt und das Geld wurde knapp, weil der Wechselkurs so schnell in die Höhe geschossen ist.  

Mein Team und ich haben Tag und Nacht gearbeitet. Sieben Tage die Woche. Wir haben alles gegeben und trotzdem ist die Situation immer herausfordernder geworden.  

Die Kunst, zu wissen, was kommt

Aber wir haben es trotzdem geschafft, weil wir auf solche Szenarien vorbereitet sind. Wir haben mit Problemen beim Zoll gerechnet. Wir hatten einen Notvorrat an Hilfsgütern, für den Fall, dass es Lieferengpässe gibt. Wir haben das Szenario vorab simuliert. Alle im Team waren darauf vorbereitet und wussten, was zu tun ist.  

Wir haben in allen Einsätzen Notfallpläne um auf alle möglichen Krisenszenarien, die eintreten könnten, bestmöglich vorbereitet zu sein. Wir machen Risikoeinschätzungen für alle Einsatzländer.  

Alle möglichen Szenarien werden durchgedacht und durchgespielt. Genau darin liegt unsere Stärke. 

Manche Szenarien sind leichter vorauszusagen als andere. Auf andere Situationen wiederum bereiten wir uns vor und sie treffen nie ein. Doch auch das sind Faktoren, die wir in Kauf nehmen müssen, damit unsere Arbeit wirksam ist und wir vorausschauend planen können. Im Sudan hat unser schnelles Handeln Leben gerettet.

Wir machen weiter

Ein richtiges Happy End gibt es bei unserer Arbeit nicht. Auch wenn wir als Logistiker:innen zum Beispiel einen Lieferengpass bei Medikamenten beheben können, ist für unsere Patient:innen nicht alles wieder gut. Aber es sind die kleinen Erfolge, die wir feiern. Zum Beispiel, wenn wir dann die Medikamente organisiert haben und Menschen in Not medizinisch versorgen können.

Wir können nicht die Welt retten, aber wir kämpfen um jedes Leben. Und deswegen mache ich weiter.  

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