07.05.2024
Wie bringt man einen Sauerstoffkonzentrator in den Gazastreifen? Mari Carmen Viñoles, Leiterin unserer Nothilfeprogramme, berichtet von den Schwierigkeiten Hilfslieferungen nach Gaza zu bringen – und darüber, was das für unsere Patient:innen bedeutet.

Ein Sauerstoffkonzentrator ist ein medizinisches Gerät, das den Stickstoff aus der Luft filtert und Patient:innen mit reinem Sauerstoff versorgt. Für mangelernährte Kinder mit Blutarmut, Verletzte mit schwerem Blutverlust und Neugeborene mit Atemproblemen kann dieses Gerät den Unterschied zwischen Leben und Tod bedeuten. 

Doch obwohl es für unsere Patient:innen überlebenswichtig ist, wissen wir nicht, ob oder wann ein Sauerstoffkonzentrator ein Krankenhaus in Gaza erreichen wird.

Barrieren und Bürokratie

Die israelischen Behörden haben die vollständige Kontrolle über die Ein- und Ausreisepunkte in den Gazastreifen. Unsere Anträge, biomedizinische Ausrüstung wie einen Sauerstoffkonzentrator in den Gazastreifen zu bringen, wurden wiederholt abgelehnt. 

Ohne dieses einfache Gerät müssen unsere medizinischen Teams in Gaza mitansehen, wie ihre Patient:innen an vermeidbaren Ursachen sterben.

Der lange Weg nach Gaza

Werfen wir einen Blick darauf, wie der Transport von Hilfsgütern nach Gaza tatsächlich funktioniert: Bei der Ankunft auf dem ägyptischen Flughafen Al-Arish werden die Hilfsgüter auf Lastwagen verladen und zu den Lagerhäusern des Ägyptischen Roten Halbmonds gebracht, wo sie von den ägyptischen Behörden kontrolliert werden. 

Hilfslieferungen für den Gazastreifen
MSF
Ein Konvoi mit Hilfsgütern am Grenzübergang Rafah

Nach der Kontrolle werden sie wieder verladen und zum Grenzübergang Rafah gefahren. Diese erste Etappe dauert fünf bis zehn Tage. 

In Rafah werden alle Lastwagen gescannt und dann zu einem israelischen Kontrollpunkt etwa 50 km südlich in Nitzana gefahren. Dort werden die Hilfsgüter ausgepackt, auf spezielle Paletten verladen, die in den Scanner passen, und erneut kontrolliert.  

Der Konvoi kehrt dann nach Rafah zurück. Dort werden die von den israelischen Behörden genehmigten Hilfsgüter von ägyptischen Lastwagen auf palästinensische Lastwagen umgeladen, um nach Gaza zu gelangen. 
 

 

Warten auf dringend benötigte Güter

Anfang November 2023 wollten wir Kühlschränke und Gefriergeräte in den Gazastreifen bringen. Diese sind unerlässlich für die Lagerung von Medikamenten und Impfstoffen, die niedrige Temperaturen benötigen.

Erst im April - fünf Monate später - wurde der Antrag genehmigt. Wenn alles gut geht, werden die Kühl- und Gefrierschränke noch diesen Monat in Gaza eintreffen. Dies sind nicht die einzigen lebenswichtigen Güter, die in der Warteschlange stehen. 

100 statt 500 LKW-Lieferungen am Tag

Bislang konnten wir sechs 120-Kubikmeter-Lieferungen mit lebenswichtigen Gütern nach Gaza bringen, die in 53 Lastwagen transportiert wurden. 

Wir würden gerne noch viel mehr liefern. Das komplizierte, undurchsichtige Verfahren hindert uns daran.

Vor dem Krieg wurden täglich schätzungsweise 500 Lastwagenladungen mit Hilfsgütern in den Gazastreifen gebracht. Im Februar 2024 waren es Berichten zufolge nur noch 100 Lastwagenladungen pro Tag.

Der Mangel an lebenswichtigen Gütern im Gazastreifen wird dadurch verschärft, dass nur zwei Grenzübergänge geöffnet sind: Rafah und Kerem Shalom, beide im Süden des Gazastreifens. 

In den Norden des Gazastreifens dürften es nur sehr wenige Hilfsgüter schaffen. Da wir keinen Zugang zu dem Gebiet haben, können wir nur erahnen, welche humanitäre Krise sich dort abspielt. 

Abwürfe von Hilfsgütern aus der Luft und Korridore auf dem Seeweg sind kein Ersatz für Landwege.

Hilfslieferungen für den Gazastreifen
Mariam Abu Dagga/MSF
Unsere Teams tun weiterhin alles, um Patient:innen bestmöglich zu versorgen. Doch ohne medizinische Ausrüstung können sie nur bedingt helfen.

Die unsichtbaren Opfer

Die Blockade der Hilfslieferungen nach Gaza zerstört das Gesundheitssystem. Den Preis dafür zahlt die Bevölkerung - nicht nur die Zehntausenden von Kriegsverletzten, sondern auch all jene, die andere medizinische Hilfe benötigen: Menschen mit chronischen Krankheiten, schwangere Frauen mit Komplikationen und Kinder, die an Infektionskrankheiten erkranken. 

Ohne Zugang zu medizinischer Versorgung haben Tausende von Menschen ihr Leben verloren - und werden es auch weiterhin tun.