Ärzte ohne Grenzen warnt vor steigender Gefahr für das Leben von Kindern in Gaza

26.11.2024
Mit den sinkenden Temperaturen erhöht sich das Krankheitsrisiko bei Neugeborenen und Kleinkindern im Gazastreifen weiter.

Die katastrophalen Lebensbedingungen im Gazastreifen führen zu einem dramatischen Anstieg der Erkrankungen bei Kindern. Von Juni bis Oktober 2024 hat Ärzte ohne Grenzen mehr als 10.000 Kinder unter fünf Jahren wegen Atemwegsinfektionen im Nasser-Krankenhaus in Khan Younis behandelt. Fast 3.500 mussten wegen Haut- und Atemwegsinfekten oder akutem Durchfall stationär aufgenommen werden. Mit den sinkenden Temperaturen erhöht sich das Krankheitsrisiko bei Neugeborenen und Kleinkindern weiter. Akute Mängel bei der Versorgung mit Nahrung, Hygieneartikeln und medizinischen Hilfsgütern verschärfen die Krise. Von 36 Krankenhäusern in Gaza waren am 19. November nur noch 17 teilweise funktionsfähig (siehe OCHA). 
 

Nach mehr als einem Jahr Krieg und Zerstörung im Gazastreifen erleben die Teams von Ärzte ohne Grenzen, wie die die Angriffe in dicht besiedelten Gebieten, die wiederholten Vertreibungen und die schlechte Versorgungslage zu schweren gesundheitlichen Problemen bei palästinensischen Kindern und auch Neugeborenen führen. Das Nasser-Krankenhaus verfügt über eine der letzten noch funktionierenden Entbindungsstationen im Süden des Gazastreifens. Ärzte ohne Grenzen unterstützt dort bei der geburtshilflichen und kindermedizinischen Versorgung, einschließlich Notaufnahme, pädiatrischer Intensivstation mit neun Betten und Intensivstation für Neugeborene mit 23 Betten. Die Kapazitäten reichen bei Weitem nicht aus. 

„Wir behandeln Säuglinge mit Infektionskrankheiten, Atemwegserkrankungen und Hautkrankheiten. Natürlich haben wir diese Krankheiten auch schon vor dem Krieg gesehen, aber heute kommen sie viel häufiger vor und die Zahlen steigen weiterhin an“, sagt Dr. Mohammad Abu Tayyem, Kinderarzt bei Ärzte ohne Grenzen, der im Nasser-Krankenhaus arbeitet. Dort werden täglich mehr als 300 Kinder behandelt. Zwischen Juni und Oktober 2024 wurden 3.421 Säuglinge und Kinder unter fünf Jahren in der stationären Kinderstation aufgenommen, davon fast ein Viertel (22 Prozent) wegen Durchfallerkrankungen und 8,9 Prozent wegen Meningitis. Im selben Zeitraum wurden 168 Neugeborene und mehr als 10.800 Kinder zwischen einem und fünf Jahren wegen Infektionen der oberen Atemwege in der Notaufnahme behandelt. Darüber hinaus wurden rund 1.294 Kinder in diesem Alter wegen Infektionen der unteren Atemwege eingeliefert, davon 459 wegen Lungenentzündung.  

Zugang zur Gesundheitsversorgung stark eingeschränkt

In der so genannten „humanitären Zone“, in der die vertriebene Bevölkerung auf engstem Raum zusammengedrängt ist, bietet Ärzte ohne Grenzen in drei Primärversorgungskliniken sowie im Nasser-Krankenhaus geburtshilfliche und pädiatrische Leistungen an. Der Weg zu den Gesundheitseinrichtungen ist allerdings gefährlich. Eltern müssen mit ihren Kindern lange Strecken zu Fuß oder mit von Tieren gezogenen Karren zurücklegen. Dabei sind sie nicht nur einem höheren Risiko von Angriffen ausgesetzt, sondern auch der Gefahr gesundheitlicher Komplikationen. Nach der Behandlung kehren die Neugeborenen und Kinder in unhygienische Lebensbedingungen zurück, was wiederum zu einer Verschlechterung ihres Gesundheitszustands führt.  „Ich habe keine Windeln für meinen Sohn“, berichtet Yasmin, eine Mutter, deren Sohn im Nasser-Krankenhaus behandelt wird. „Ich habe nicht einmal geeignete Kleidung für ihn. Ich muss eine Plastiktüte benutzen, was zu weiteren Infektionen und Hautausschlägen führt. Das Leben in einem Zelt setzt meine Kinder extremen Bedingungen aus. Sie schlafen nicht einmal in einem richtigen Bett.“ 

Erhöhtes Krankheitsrisiko durch Mangelernährung und prekäre Lebensbedingungen

„Seit Beginn des Krieges ist nun über ein Jahr vergangen. Das hat sich auf alle ausgewirkt, vor allem auf Kinder, die sich in der Wachstumsphase befinden“, so Dr. Abu Tayyem. „Der Mangel an nahrhaften Lebensmitteln und wichtigen Nährstoffen hat Einfluss auf den Aufbau ihrer Immunität und macht sie anfälliger für Infektionskrankheiten.“ Yasmin erzählt: „Mein Sohn hustet ständig. Ich verbringe die meiste Zeit im Krankenhaus. Er lacht nicht, spielt nicht, trinkt keine Milch und schläft die ganze Zeit. Der Arzt sagte, wir müssten ihn vom Feuer fernhalten, um Hustenreiz zu verhindern, aber wie sollten wir das? Alles wird auf dem Feuer gekocht!“ 

Ärzte ohne Grenzen bekräftigt einmal mehr: Nur ein ungehinderter Zugang zu humanitärer Hilfe im Gazastreifen kann das Leiden der dort eingeschlossenen Menschen lindern. 

Mehr Informationen zu den Aktivitäten von Ärzte ohne Grenzen in Gaza finden Sie hier

Werner Reiter | Ärzte ohne Grenzen

Werner Reiter

Press Officer