02.01.2025
Ärzte ohne Grenzen muss im Gazastreifen immer mehr unterkühlte Babys und Kleinkinder mit Atemwegserkrankungen behandeln. 325 Kinder wurden zwischen Oktober 2024 und Dezember 2024 in die Neugeborenen-Intensivstation des Nasser-Krankenhauses in Khan Younis aufgenommen. Die Station, die von Ärzte ohne Grenzen unterstützt wird, ist bereits seit Mitte des Jahres voll ausgelastet.

Mehr als 1,9 Millionen Menschen mussten wegen der anhaltendenden Kriegshandlungen im Gazastreifen ihre Häuser verlassen. Familien leben in behelfsmäßigen Zelten, die im Winter kaum Schutz vor der Kälte bieten. Die Menschen haben weiterhin keinen Zugang zu lebenswichtigen Gütern wie Wasser und Lebensmitteln. Kinder sind besonders gefährdet. Ärzte ohne Grenzen muss immer mehr unterkühlte Babys und Kleinkinder mit Atemwegserkrankungen behandeln. 325 Kinder wurden zwischen Oktober 2024 und Dezember 2024 in die Neugeborenen-Intensivstation des Nasser-Krankenhauses in Khan Younis aufgenommen. Die Station, die von Ärzte ohne Grenzen unterstützt wird, ist bereits seit Mitte des Jahres voll ausgelastet. Am 25. Dezember 2024 wurden drei Babys, alle unter einem Monat alt, tot in das Krankenhaus gebracht. Nach Angaben des Gesundheitsministeriums starben sie wegen der kalten Temperaturen. 

Die Kinder lebten in Zelten in Al Mawasi im südlichen Gazastreifen, wohin Tausende von Palästinenser:innen zwangsumgesiedelt wurden. In den überfüllten Lagern unhygienische und gesundheitsgefährdende Bedingungen. Der Winter hat in den abgenutzten Zeltlagern Einzug gehalten, und die dortigen Lebensumstände sind mittlerweile unerträglich:  Familien leben in brüchigen Zelten, die kaum Schutz vor Regen und Kälte bieten. Die meisten können sich kein Heizmaterial wie Brennholz oder Gas leisten. Warme Decken sind zwar auf den lokalen Märkten im Gazastreifen erhältlich, kosten aber bis zu 200 Dollar.“ 

Im letzten Kriegswinter gab es noch schützende Gebäude

„Vergangenen Winter – obwohl die Menschen bereits vertrieben waren und die Bedingungen hart waren – gab es noch einige Gebäude, in denen die Menschen Schutz suchen konnten. Heute, nach 14 Monaten Krieg und der Zerstörung der Infrastruktur, leben die meisten Menschen in Gaza in Zelten, die kaum Schutz vor kaltem Wind und Regen bieten. In den letzten zwölf Stunden zum Beispiel hat es durchgehend geregnet“, sagt Pascale Coissard, die Notfallkoordinatorin von Ärzte ohne Grenzen

Unterkühlung und Infektionskrankheiten für Kleinkinder lebensbedrohlich

In der Kinderabteilung des Nasser-Krankenhauses in Khan Younis sind die Auswirkungen der humanitären Katastrophe offensichtlich. Die Teams von Ärzte ohne Grenzen behandeln Kinder mit Atemwegsinfektionen, Dehydrierung und Frühgeborene mit Komplikationen auf der Neugeborenen-Intensivstation. Für Neu- und Frühgeborene können solche Symptome lebensbedrohlich sein. Allein zwischen Oktober 2024 und Dezember 2024 wurden 325 Kinder in die von Ärzte ohne Grenzen unterstützte neonatale Intensivstation aufgenommen. 

„Die außergewöhnlichen Umstände, die wir in den letzten 14 Monaten erlebt haben, sowie die sinkenden Temperaturen, die die Lebensbedingungen in den abgenutzten Zelten weiter verschlechtern, haben die Kinder anfälliger für Unterkühlung gemacht“, sagt Dr. Mohammad Abu Tayyem, der als Kinderarzt von Ärzte ohne Grenzen im Nasser-Krankenhaus arbeitet. Der Bedarf ist so groß, dass die Kinder-Abteilung, einschließlich der Neugeborenenstation, seit Juli mit rund 25 Betten voll ausgelastet ist.  

Mehr als ein Viertel der Patient:innen wird wegen eines Atemnotsyndroms eingeliefert. Die Erkrankung kann bei Frühgeborenen auftreten. Unter den schlechten Lebensbedingungen in Gaza sind sie dafür noch anfälliger. 

„Noch bevor ihr Leben außerhalb des Mutterleibs begonnen hat, sind die Babys von Krankheit und Tod bedroht“, sagt Coissard. „Nach ihrer Geburt leben die Babys unter extremen Bedingungen: Sie werden in der Kälte des Winters vertrieben, haben keine angemessenen Unterkünfte und keine medizinische Versorgung, da Israel den Gazastreifen weiterhin bombardiert und den Zugang zu lebenswichtigen Gütern behindert. Die Plünderung von Hilfslieferwagen innerhalb der Enklave hat zur Folge, dass die wenigen von den israelischen Behörden zugelassenen Hilfsgüter die Bedürftigen oft nicht erreichen.“ 

Appell für einen sofortigen und dauerhaften Waffenstillstand

Die Hilfe von Ärzte ohne Grenzen im Bereich der pädiatrischen, neonatalen und geburtshilflichen Versorgung ist nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Ein sofortiger und dauerhafter Waffenstillstand in Gaza ist die einzige Lösung, um das Leid der palästinensischen Bevölkerung zu lindern und den Zugang zu medizinischer Versorgung und humanitärer Hilfe zu gewährleisten. Ärzte ohne Grenzen fordert die israelischen Behörden auf, eine rasche, ungehinderte und sichere Versorgung mit humanitärer Hilfe zu gewährleisten, die den Bedürfnissen der Menschen gerecht wird, einschließlich Wintervorräte und medizinische Hilfsgüter. Weiters appelliert Ärzte ohne Grenzen an alle Parteien, sichere Routen für den Transport der humanitären Hilfe innerhalb des Gazastreifens zu ermöglichen. 

 

Werner Reiter | Ärzte ohne Grenzen

Werner Reiter

Press Officer