10.08.2021
Mohammed Dikko Abdullahi arbeitet für Ärzte ohne Grenzen in seiner Heimatstadt Maiduguri. Er erzählt die Geschichte einer jungen Familie und der medizinischen Versorgung, die Leben rettet

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Letzte Woche musste ich in das Dorf meines Großvaters zurückreisen, um meine Familie zu besuchen. Am Sonntag, als ich nach Hause kam, traf ich in der Nähe meines Hauses hier in der Stadt einen Mann. Er fragte mich nach meinem Namen und sagte, dass er nach mir gesucht habe. Er erzählte, dass sein Kind seit etwa drei Wochen krank sei und er keine Hilfe bekommen könne. Man sagte ihm, er solle sich an mich wenden, ich wüsste, was zu tun sei.

Lokales Wissen

Ich bin stellvertretender Einsatzkoordinator von Ärzte ohne Grenzen in Maiduguri, der Hauptstadt des Bundesstaates Borno im Norden Nigerias. Ich bin hier geboren und helfe, die Teams in diesem Gebiet zu koordinieren. Wir haben ein Team von 233 Mitarbeiter:innen, von denen die meisten vor Ort angeworben wurden. Wir kennen die lokalen Gemeinschaften, wir kennen die Sprache, die sie sprechen, wir kennen die Kultur. Nachdem ich herausgefunden hatte, wo er wohnte, erklärte ich dem Mann, wie er zum Krankenhaus von Ärzte ohne Grenzen gelangen konnte. Er erklärte, dass er kein Geld habe, um die Behandlung zu bezahlen, aber ich versicherte ihm, dass sie kostenlos sein würde. 

Der Erste in der Schlange

Als ich am Montagmorgen ins Büro kam, waren der Mann mit seiner Frau und seinem Kind die ersten, die ich am Tor stehen sah…

Ich ließ sie hinein. Nach einer Untersuchung wurde das Kind stationär aufgenommen, da es stark mangelernährt war. Der Vater erklärte, dass sie ihre Heimat wegen des Konflikts verlassen mussten und dass er erst vor kurzem nach Maiduguri gekommen war. Er habe keine Arbeit, niemand unterstütze sie, und das bedeute, dass es schwierig sei, genug zu essen zu bekommen. 
Das ist eine verbreitete Situation, denn seit mehr als zehn Jahren herrscht ein gewaltsamer Konflikt zwischen der nigerianischen Regierung und bewaffneten Gruppen. Die Vereinten Nationen schätzen, dass heute mehr als zwei Millionen Menschen als Vertriebene im eigenen Land leben und rund sieben Millionen zum Überleben auf humanitäre Hilfe angewiesen sind.

Hilfe für Menschen in Not 

Seit Beginn des Konflikts mussten Tausende von Menschen vor der Gewalt fliehen. Viele kamen nach Maiduguri, weil die Lage hier ruhiger ist. Doch weil sie ihre Heimat und ihre Lebensgrundlage zurücklassen mussten, leben viele Vertriebene unter sehr schwierigen Bedingungen - einige haben weder Nahrung noch Unterkunft oder sauberes Wasser. 

Inzwischen gibt es mehrere Geflüchtetenlager in der Stadt. Wir betreiben eine mobile Klinik, die fünf Lager besucht und dort medizinische Grundversorgung, sexuelle und reproduktive Gesundheitsfürsorge, psychologische Behandlung und Gesundheitsförderung anbietet. Wir haben auch ein Projekt für Mangelernährung, das ich dem Mann empfohlen hatte, um sein Kind dorthin zu bringen. Das Mangelernährungsprojekt bietet sowohl stationäre als auch ambulante Behandlung für Kinder an. Wir haben etwa 70 Betten für die schwersten Fälle, und die sind jetzt alle voll belegt. 

Die unsichtbaren Auswirkungen des Konflikts

Viele Menschen in diesem Gebiet sind Kleinbäuer:innen: Sie bauen an, verkaufen einen Teil der Ernte und behalten einen Teil für die Ernährung ihrer Familien. Diese Zeit des Jahres ist immer als "Hungerzeit" bekannt, weil die Vorräte aus der letztjährigen Ernte langsam zur Neige gehen, die neue Ernte aber noch nicht bereit ist. Der Konflikt verschlimmert die Situation jedoch noch. 

Die Gewalt hat dazu geführt, dass viele Menschen fliehen mussten und ihre Höfe verlassen haben, um in Sicherheit zu sein. Viele Familien haben ihre Einkommensquelle verloren. Selbst die Menschen, die in der Nähe von Maiduguri Ackerland besitzen, können keine Felder bestellen, da es nicht sicher ist, aus der Stadt hinauszufahren. Daher nutzen die Menschen nur kleine Teile des Landes rund um die Stadt für den Anbau, was nicht ausreicht, um den gesamten Bundesstaat zu ernähren.

A child treated in Gwange hospital, Maiduguri
Stefan Pejovic
Behandlung eines Kindes im Gwange-Krankenhaus, Maiduguri. In Gwange behandeln wir Kinder gegen Mangelernährung, Masern und andere Krankheiten.

Behandlung von Mangelernährung

Im stationären therapeutischen Ernährungszentrum bleiben die Kinder bei einer Betreuungsperson (oft der Mutter), die auch Nahrung erhält. Da  Mangelernährung die Kinder anfälliger für Infektionen und Krankheiten macht, erhalten sie neben der notwendigen medizinischen Versorgung auch spezielle therapeutische Nahrungsmittel, die ihnen hilft, an Gewicht zuzunehmen. 

Es bereitet mir viel Freude und Befriedigung, zu wissen, dass wir etwas bewirken...

Wenn es ihnen gut genug geht, um das Krankenhaus zu verlassen, nehmen wir sie in der Regel in das ambulante Programm auf, damit sie weiterhin therapeutische Nahrungsmittel erhalten können. Einige unserer Patient:innen werden jedoch völlig geheilt entlassen.

"Wie fühlen Sie sich?"

Ich bin nicht im medizinischen Bereich tätig, sondern gehöre zum Leitungsteam und bin insbesondere für die Sicherheit zuständig. Dennoch gehe ich jeden Tag, an dem ich im Krankenhaus arbeite, auf die Stationen. Ich gehe immer um die Betten herum und sage: Guten Morgen, wie geht es Ihnen, wie fühlen Sie sich? 

Gerade heute Morgen habe ich die Kinder auf der Station für Mangelernährung besucht und den Mann vom letzten Sonntag und seine Familie wiedergesehen. Das Kind ist etwa neun Monate alt, und nach zwei oder drei Tagen im Ernährungszentrum geht es ihm bereits besser. Ich konnte die Freude in den Gesichtern der Eltern sehen.

Es ist nicht das Geld, das zählt

Das ist der schönste Teil meiner Arbeit: das Lächeln, das ich auf den Gesichtern unserer Patient:innen sehe. Es bereitet mir viel Freude und Befriedigung, zu wissen, dass wir etwas bewirken. 

Die Geschichte dieses Mannes und seiner Familie ist die aktuellste, aber es gibt so viele andere. Wenn ich in der Stadt unterwegs bin, grüßen mich die Menschen und bringen ihre Freude zum Ausdruck. Manchmal erkenne ich sie nicht einmal. Sie sagen mir: "Wir waren schon einmal in Ihrer Einrichtung, in der Einrichtung von Ärzte ohne Grenzen, mein Kind wurde dort behandelt, jetzt geht es ihm gut". 

Früher war ich hier Radioproduzent, was besser bezahlt wurde, aber jetzt mache ich das, was ich tue, mit Leidenschaft. Es geht nicht um das Geld, sondern darum, was in meinem Inneren vorgeht. Wenn ich sehe, dass Menschen in Not medizinische Hilfe bekommen, bringt es sie zum Lächeln, und ehrlich gesagt, habe ich das Gefühl, dass mir die ganze Welt geschenkt wird.

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