Kommentar von International Bloggers
24.04.2023
Am 15. April eskaliert die Gewalt im Sudan und es brechen Gefechte in der Hauptstadt Khartum und mehreren Regionen aus. Camille Marquis, humanitäre Beraterin von Ärzte ohne Grenzen, ist vor Ort und berichtet.

Als die Kämpfe beginnen

Mein Gepäck ist gepackt, mein Kühlschrank und meine Schränke sind leer, und ich habe nur noch ein paar Stunden Zeit, um zum Flughafen zu fahren. Nach einem Jahr im Sudan soll es wieder nach Hause gehen. Ich will meinen letzten Tag in Karthum verbringen.

Doch während ich frühstücke, höre ich um 8.30 Uhr draußen plötzlich Schüsse.

Alle im Guesthouse gehen rasch hinunter in den Keller, wo sich eine Art Bunker befindet. Zusammen mit mehr als zehn Kolleg:innen verbringe ich den Tag auf dem Boden sitzend. Von draußen hören wir Schießereien, tief fliegenden Flugzeuge. Explosionen nach Luftangriffen lassen uns immer wieder aufschrecken. Die Wände wackeln und die kleinen Fenster erzittern bei den unheimlichen Geräuschen, die im Raum widerhallen. Nach einem Knall herrscht oft Stille, die aber nie lange anhält.

Ärzte ohne Grenzen Schutzraum in Khartum
MSF/Camille Marquis
Mein Bett im Bunker

Statt zum Flughafen zu fahren und heimzufliegen, verbringe ich diese Nacht am Boden, umgeben von meinen Kolleg:innen. Ich denke an die Menschen, die am Flughafen feststecken, wo schwere Kämpfe stattfinden. Ich hätte unter ihnen sein können. Einige wurden verwundet, doch die Verletzten können den Flughafen nicht verlassen, um medizinisch versorgt zu werden. Ich denke auch an alle meine sudanesischen Kolleg:innen und an all die Menschen in Khartum. Im Gegensatz zu mir haben die meisten von ihnen nicht die Möglichkeit, in einem Schutzraum zu schlafen – ausgerüstet mit einem Notvorrat an Wasser und Lebensmitteln.

Sechs Tage später

Heute ist der sechste Tag der Kämpfe in den Straßen der dicht besiedelten Stadt mit ihren etwa 10 Millionen Einwohner:innen. Lebensmittel, Wasser und Treibstoff werden knapp. Die Menschen gehen große Risiken ein, um einkaufen zu gehen. Das Angebot in den Geschäften ist jetzt schon stark eingeschränkt.

Wenn ich die Explosionen draußen höre, wenn ich von den Toten lese, von den Verletzten und Kranken, die nicht einmal in der Hauptstadt ein funktionierendes Spital erreichen können, macht mich das unglaublich traurig - für den Sudan und die Menschen, die hier leben.

Die Bevölkerung versucht, sich irgendwie Nahrung, Wasser, Medikamente und medizinische Versorgung zu beschaffen - und das bereits in den ersten Tagen nach Beginn der Kämpfe. Die Auswirkungen auf den bereits eingeschränkten Zugang zu humanitärer Hilfe werden dramatisch sein.

Einer meiner Aufgaben im Sudan war es den humanitären Bedarf zu ermitteln - vor allem im Bereich Mangelernährung bei Kindern. Wir hatten soeben einen Bericht veröffentlicht, um auf die dringenden Bedürfnisse der Bevölkerung in West-Darfur aufmerksam zu machen.

Teams sitzen fest und können nicht helfen

Von meinen Kolleg:innen, die derzeit mit mir in Khartum festsitzen, sollten eine Krankenpflegerin und eine Ausbilderin nach El Geneina in West-Darfur fliegen, um dort Kinder mit Mangelernährung und anderen Krankheiten zu behandeln. Ein Psychologe von Ärzte ohne Grenzen, der im Spital von El Geneina arbeitet, sitzt ebenfalls in Khartum fest.

Wegen der Kämpfe können sie alle nicht zurückkehren, um lebensrettende Hilfe zu leisten.

Die Teams in West-Darfur berichten zudem über eine ungewöhnlich niedrige Zahl von Patient:innen auf den Krankenstationen. Das zeigt wahrscheinlich, dass die Menschen aufgrund der Kämpfe ihre Häuser nicht verlassen wollen, um im Spital Hilfe zu suchen. Dabei erreichen erfahrungsgemäß die Fälle von Mangelernährung in El Geneina Anfang Mai – also in nur wenigen Tagen – ihren Höhepunkt.

Humanitäre Situation im Sudan

MSF bunker in Khartum
MSF/Camille Marquis

Wenn die humanitären Helfer:innen und das Gesundheitspersonal ihre Arbeit nicht ausführen können und die Patient:innen aus Angst kein Spital mehr aufsuchen, dann drohen Millionen von Kindern und anderen gefährdeten Menschen im Sudan schwere gesundheitliche Folgen.

Dabei befanden sich die Menschen im Sudan bereits vor Ausbruch der Kämpfe in einer humanitären Krise. Etwa ein Drittel der Bevölkerung war bereits vor dem aktuellen Konflikt von Hunger bedroht. Es ist davon auszugehen, dass sich die Situation im ganzen Land weiter verschlechtern wird.

Wir fordern deshalb alle Konfliktparteien auf, die Sicherheit des medizinischen Personals und der Patient:innen zu gewährleisten, damit sie die Gesundheitseinrichtungen erreichen können, ohne um ihr Leben fürchten zu müssen.

Epidemien, Konflikte, Naturkatastrophen

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