Noma in Nigeria

Kommentar von International Bloggers
18.04.2022
Dreimal im Jahr sind unsere Teams in der nigerianischen Stadt Sokoto im Einsatz. Sie führen lebensverändernde Operationen für Menschen durch, die an Noma leiden. Dr. Muhammad Lawal Abubakar ist Teil des Teams und erzählt... 

Unser Flugzeug umkreiste erneut den Flughafen, aber eine Landung war nicht möglich. An Bord des Flugzeuges befanden sich vier Chirurgen, ein Anästhesist und weitere Mitarbeiter:innen von Ärzte ohne Grenzen. Unter dem dichten Dunst und Staub des von der Sahara zur atlantischen Küste Afrikas ziehenden Nordostwindes Harmattan lag die Stadt Sokoto. Dort warteten bereits über vierzig Noma-Überlebende, meist Kinder, auf eine Operation.

Endlich hörten wir die Ankündigung des Piloten: Aufgrund der schlechten Sicht, war es nicht möglich, zu landen. Wir müssten nach Abuja zurückkehren.  

Noma surgical interventions, Sokoto
Ghada Safaan/MSF
Das medizinische Personal gemeinsam mit Chirurg:innen beim Noma-Projekt in Sokoto, 2020

Noma

Ich bin ein plastischer Chirurg aus Zaria in Nigeria. In meinem regulären Job arbeite ich in einem öffentlichen Krankenhaus, hauptsächlich in der rekonstruktiven Chirurgie nach Traumata oder Tumoren. Aber wann immer ich kann, schließe ich mich chirurgischen Spezialist:innen aus der ganzen Welt an und reise zum Noma-Projekt von Ärzte ohne Grenzen in Sokoto. 

Wie könnten wir die Rekonstruktion am besten machen, damit Ado eine Chance auf ein besseres Leben hat? 

Noma wird meist mit Armut in Verbindung gebracht: Die Krankheit betrifft vor allem Menschen, die sich keine gesunde Nahrung oder Produkte zur Mundhygiene leisten können. Die Infektion beginnt beim Zahnfleisch und kann sich auf das Gesicht und den Kiefer ausbreiten. Es frisst das Gewebe auf, verursacht oft schwere Gesichtsentstellungen und potenziell lebensbedrohliche Beeinträchtigungen. 

Noma
Todd Buck

Im Rahmen des Noma-Projektes wird das ganze Jahr über medizinische Versorgung, Beratung und Physiotherapie angeboten. Die Operationen finden allerdings in intensiven zweiwöchigen so genannten “Interventionen”, drei- bis viermal im Jahr, statt. 

Es dauerte noch zwei Tage, bis sich das Wetter besserte und wir den kurzen Flug von der Hauptstadt machen konnten. Normalerweise gehen wir den ersten Tag einer Intervention etwas ruhiger an, aber dieses Mal hatten wir bereits zu viel Zeit verloren. Wir ließen unsere Koffer im Gästehaus fallen und gingen direkt ins Krankenhaus. Wir hatten viel Arbeit vor uns. 

ADO

Eine der ersten Noma-Überlebenden, die wir sahen, war die sechsjährige Ado*. Sie hatte eine große orale Fistel – im Wesentlichen ein Loch in der Seite ihres Gesichts. Speichel trat ständig daraus aus. 

Ado war bei unserem ersten Treffen sehr ruhig. Ihre Eltern erklärten uns, dass das Reden das Austreten des Speichels noch verschlimmerte. Und so lebte das kleine Mädchen sehr zurückgezogen. Niemand wollte mit ihr spielen und sie sprach nur in einsilbigen Wörtern. Zur Schule ging sie auch nicht mehr.  

Das Team und ich begannen sofort, uns über ihre Optionen zu beratschlagen. Wie könnten wir die Rekonstruktion am besten machen, damit Ado eine Chance auf ein besseres Leben hat? 

Das neue Gesichtsbild

Als plastische:r Chirurg:in hat man bei jeder Operation ein dreidimensionales Bild im Kopf, das man nachbilden möchte. Außer meinen chirurgischen Kolleg:innen, die Teil des Planungsprozesses sind, kann niemand das Bild sehen. Gemeinsam arbeiten wir daran, das Gesicht zu diesem Bild zu formen.  Während wir arbeiten, nehmen wir bei Bedarf Anpassungen vor und ändern das Bild, auf das wir hinarbeiten. 

Für Ado hatten wir uns für ein einfaches Verfahren entschieden, das als Zerviko-Gesichtslappe bezeichnet wird. Wir nahmen etwas von der weichen Haut von ihrem Hals und setzten sie chirurgisch oben ein. Dort falteten wir sie, um sowohl die Wange als auch den Mund zu formen. Die Fistel war davon vollständig bedeckt. 

Dr Lawal
Claire Jeantet - Fabrice Caterini/INEDIZ
Dr. Lawal im Noma-Projekt in Sokoto, 2018

Alles verlief reibungslos. Ado würde zwar erst entlassen, wenn sie ihr postoperatives Screening hat. Aber schon jetzt schien sie viel glücklicher zu sein. Und sie spielte bereits mit anderen Kindern. 

Ifeoma

Ich bin zuversichtlich, dass dies die einzige Operation ist, die Ado brauchen wird. Aber für Noma-Überlebende, die mehrere oder großflächigere Defekte haben, müssen wir die Operation in mehreren Stufen durchführen. Das war bei Ifeoma* der Fall. 

Bis alle chirurgischen Phasen abgeschlossen sind, kann es Jahre dauern. Einige Teile des Gesichts, wie die Nase, können nämlich erst rekonstruiert werden, wenn jemand erwachsen ist. Das kann für einen jungen Menschen, der unter erheblichen Wundmalen leidet, sehr hart sein. Darum berät das Sokoto-Team, damit Noma-Überlebende verstehen, dass wir ihnen keine Operation verweigern, sondern dass wir warten müssen, um ein besseres Ergebnis zu erzielen.

Noma-Überlebende sind wie jeder andere auch. Sie haben Träume. Sie haben Ziele.

Ifeoma ist eine junge Frau, die stark von Noma betroffen war. Nach mehreren früheren Operationen durchlief sie im vergangenen Jahr die Endphase einer Nasenrekonstruktion. Bei solch schwierigen Operationen kann es zu Komplikationen kommen. Und als ich sie im Sokoto Krankenhaus sah, dachte ich auch an die potenziellen chirurgischen Probleme, die auftreten können und wie wir ihr helfen könnten.

Eine seltene Gelegenheit

Als wir Ifeoma bei unserem aktuellen Einsatz trafen, wirkte sie ganz anders auf mich als damals, als ich sie das letzte Mal gesehen hatte. Sie hatte ihre Haare gefärbt und sich geschminkt. Sie strahlte Zuversicht aus. Immer noch besorgt fragten wir sie, was denn das Problem sei. 

'Es gibt kein Problem', sagte sie und lächelte. 'Ich wollte nur kommen und Hallo sagen.' 

Wir unterhielten uns sofort mit ihr. Es ist selten, Noma-Überlebender so lange nach ihren Operationen zu treffen. Wir waren so glücklich zu hören, dass es ihr so gut ging und wie sich ihr Leben verändert hatte. 

Unsere Ziele erreichen

Noma-Überlebende sind wie jede:r andere auch. Sie haben Träume. Sie haben Ziele. Als chirurgisches Team schaffen wir es vielleicht nicht, die Tatsache vollständig zu verschleiern, dass diese Person eine Krankheit und eine Rekonstruktion hatte. Unser Ziel bei der Operation ist es, den Überlebenden zu ermöglichen, sich mit so wenig funktioneller Beeinträchtigung wie möglich und weniger Stigmatisierung durch ihr Leben zu bewegen, so dass Noma kein Hindernis für sie ist, die Dinge zu erreichen, die sie wollen.

Blick in die Zukunft

Dies war eine intensive Reise. Aufgrund der verlorenen Tage mussten wir unsere Arbeit verdichten, länger arbeiten und jeden Tag mehr Fälle annehmen. Aber der Teamgeist war hoch, wir waren alle motiviert durch die Patient:innen, die sehnsüchtig auf ihre Operationen warteten. Jetzt sind wir erschöpft, aber glücklich. 

Die nächste Intervention wird im Juni sein. Ich hoffe, dass ich wieder dabei sein kann, zusammen mit anderen Mitgliedern des Teams. Ich freue mich schon darauf. 

  

*Namen wurden geändert 

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