Die meisten Dinge im Leben spielen sich im Graubereich dazwischen ab

Kommentar von Heinz Wegerer
24.08.2022
Heinz Wegerer berichtet von seinem Einsatz in der Ukraine.

Heinz Wegerer ist seit 2018 einer unserer internationalen Einsatzmitarbeiter. Als Logistiker trägt er einen wesentlichen Teil zu unserer weltweiten medizinischen Nothilfe bei. In der Vergangenheit war er bereits in Ländern wie dem Irak, der zentralafrikanischen Republik, der demokratischen Republik Kongo, in Syrien und im Jemen tätig. Zuletzt war er 3 Monate in der Ukraine, gleich nach Kriegsbeginn, im Einsatz. Wir haben mit ihm über seine Arbeit in der Ukraine gesprochen.

Die Ukraine war bereits dein sechster Einsatz mit Ärzte ohne Grenzen. Worin bestanden denn diesmal deine Aufgaben? 

Ich bin Supply Chain Manager. Ich verantworte also die Logistik. Das heißt, ich stelle sicher, dass die Materialien, die die Teams vor Ort zum Arbeiten brauchen, auch dort ankommen. In der Ukraine bestand meine Aufgabe im Wesentlichen in der Rekrutierung und Schulung von lokalen Mitarbeiter:innen. Ziel war und ist es, möglichst mit der lokalen Bevölkerung zu arbeiten - In diesem Fall also ein Team aus Ukrainer:innen zu haben, das kompetent und verlässlich die Materialien, die wir für unsere Arbeit in der Ukraine benötigen, beschafft, transportiert und lagert - und diese Aufgaben auch zukünftig ausführen kann. 

 

Heinz Wegerer

In erster Linie sind wir als internationale Einsatzmitarbeiter:innen da, um unsere lokalen Kolleg:innen in den Einsatzländern möglichst gut durch unsere Expertise zu unterstützen.

Heinz Wegerer

Waren in deinem Team viele Ukrainer:innen? 

Auf jeden Fall! Diese Dynamik die ich da vor Ort erleben durfte, war für mich etwas ganz Besonderes. Ich war ja seit März, also schon ziemlich zu Beginn des Krieges, in der Ukraine und diese Mentalität der Freiwilligkeit, die Unterstützung der Ukrainer:innen untereinander, hat mich tief beeindruckt. Ich habe miterlebt, wie so viele Menschen unsere Arbeit unterstützt haben, wo und wie sie nur konnten und wirklich sehr viel dafür getan haben, um zielgerichtet ihrem Land und ihre Mitmenschen zu helfen. Aufgrund dieses Engagements sind viele Mitarbeiter:innnen zu uns gekommen. 

Seit 1999

arbeiten wir in der Ukraine.

Ziel war ein verbesserter Zugang zu medizinischer Grundversorgung. Nun mussten wir rasch reagieren und unsere Hilfe den durch den Krieg entstandenen Bedürfnissen anpassen. (Stand 13.07.2022)

81

% sind Mitarbeiter:innen aus der ukrainischen Bevölkerung.

Derzeit arbeiten wir mit etwa 133 internationalen Mitarbeiter:innen und beschäftigen rund 570 ukrainische Mitarbeiter:innen. Sie arbeiten als medizinisches Personal, Psycholog:innen, in der Logistik und Verwaltung sowie im Management. (Stand 13.07.2022)

1.053

Patient:innen wurden bisher mit dem medizinischen Transportzug evakuiert

So können wir Patient:innen aus überlasteten ukrainischen Krankenhäusern in der Nähe aktiver Kriegsgebiete in Krankenhäuser mit größeren Kapazitäten bringen. (Stand 13.07.2022)

Hat sich der Einsatz in der Ukraine von deinen anderen Einsätzen unterschieden? 

Natürlich ist jeder Einsatz anders, jeder Kontext bringt seine individuellen Herausforderungen mit sich. Oft sind wir in Gebieten tätig, die schon lange durch Krisen und Konflikte geprägt sind, wo die Infrastruktur schlecht ist, wo es klimabedingt schon viele Jahre Probleme mit der Nahrungsmittelbeschaffung gibt. In der Ukraine war das etwas anders. Hier ging es Großteils darum, die bereits bestehende, sehr gut funktionierende Infrastruktur weiterhin aufrecht zu erhalten und zu stärken.  

Gleichzeitig war es für mich auf persönlicher Ebene oft schwer und sehr emotional. Ich habe täglich eng mit meinen ukrainischen Kolleg:innen zusammengearbeitet. Sie hatten vor allem zu Beginn die Hoffnung auf ein schnelles Kriegsende. Und diese Hoffnung von Woche zu Woche schwinden zu sehen war auch für mich schwierig. Nach drei Monaten hat eigentlich niemand mehr geglaubt, dass dieser Krieg sehr bald zu Ende sein würde. 

Gibt es etwas, was dir aus diesem letzten Einsatz besonders in Erinnerung bleibt? 

Wenn ich an meine Einsätze zurückdenke, dann bleiben mir meistens die Menschen am stärksten in Erinnerung, mit denen ich zusammengearbeitet habe. Hier also meine ukrainischen Kolleg:innen, die ja selbst nicht nur Mitarbeiter:innen, sondern gleichzeitig auch Betroffene sind. 

Heinz Wegerer

Ich nehme für mich immer am meisten vom zwischenmenschlichen Austausch mit den Kolleg:innen aus den Einsatzländern mit.

Heinz Wegerer

Hast du bei dir selbst auch eine Veränderung gemerkt, seit du mit Ärzte ohne Grenzen auf Einsatz gehst? 

Ja, definitiv! Ich habe gemerkt, dass ich viel gelassener und auch flexibler geworden bin. Und ich habe lernen dürfen, dass nicht immer alles schwarz oder weiß ist. Die meisten Dinge im Leben spielen sich im Graubereich dazwischen ab.