24.02.2023
Mit Medikamentenspenden wollen viele auf den hohen medizinischen Bedarf in Konflikten reagieren. Die wichtigsten Aspekte, warum das Spenden von Arzneimitteln keine gute Idee ist.

In der Ukraine mangelt es an Medikamenten. Anna Helbok ist Pharmazeutin aus Bozen in Südtirol und war im letzten Jahr in der Ukraine im Einsatz. Im Interview erzählt sie, wie Ärzte ohne Grenzen Medikamente in die Ukraine bringt und warum Medikamentenspenden nicht helfen: 

Welche Medikamente werden in der Ukraine dringend gebraucht?

Besonders groß ist der Bedarf an Medikamenten zur Behandlung von chronischen Krankheiten. Wenn ein Gesundheitssystem im Krieg stark belastet ist, leiden Menschen mit chronischen Krankheiten besonders darunter. Hier geht es um Krankheiten, wie Bluthochdruck, Herzkreislauferkrankungen, Diabetes, Allergien und Asthma. Keine Medikamente zu bekommen, bedeutet für Menschen mit chronischen Krankheiten oft schwerere Verläufe, manchmal sogar Lebensgefahr. 

Anna Helbok

Auch wenn Medikamentenspenden gut gemeint sind – sie decken selten den bestehenden Bedarf an Medikamenten vor Ort ab.

Anna Helbok, Pharmazeutin

Einen großen Bedarf gibt es auch an Medikamenten zur Behandlung psychischer Wunden, die durch die starke posttraumatische Belastung und Angst in der Bevölkerung verursacht werden.

Während meines Einsatzes in der Ukraine letztes Jahr haben wir auch auffallend viele Schmerzmittel und Antibiotika für Atemwegserkrankungen gebraucht. Die Medikamente waren für Kinder. Das lange Aushaaren in feuchten, dunklen Schutzräumen war wohl der Auslöser für die vielen Erkrankungen.

Wie bringt Ärzte ohne Grenzen Medikamente in die Ukraine und verteilt sie? 

Ärzte ohne Grenzen schließt langfristige, weltweite Verträge mit den Produzenten ab. Von zwei großen Logistikzentren in Europa werden die Medikamente über den Landweg in die Ukraine geschickt. In der Ukraine angekommen, kommen sie in unseren Hauptlogistikstandort für medizinische und nichtmedizinische Güter. 

Um eine ausreichende Versorgung in der ganzen Ukraine sicherzustellen, haben wir in verschiedenen Landesteilen weitere Lager, in denen die Medikamente zwischengelagert werden. So sollen Engpässe verhindert werden, wenn ein Gebiet vorübergehend nicht erreicht werden kann.  

Von den Lagern werden die Medikamente dann an Krankenhäuser, mobile Kliniken und den Evakuierungszug verteilt. 

Kauft Ärzte ohne Grenzen Medikamente auch lokal ein?

In der Regel kaufen wir Medikamente nicht lokal ein, weil es in Kriegsgebieten ohnehin schon einen Engpass an Medikamenten und Medizinprodukten gibt. Wir wollen den lokalen Markt nicht noch stärker belasten und bringen Medikamente deswegen von außen ins Land. 

Nicht medizinische Produkte, wie zum Bespiel die Regale für die Lager, kaufen wir lokal, um die Wirtschaft zu stärken. 

Was sind die größten Herausforderungen bei der Beschaffung und Verteilung von Medikamenten? 

Wir brauchen ein möglichst detailliertes Verständnis des bestehenden Bedarfs. Welche Medikamente brauchen wir, wo brauchen wir sie und wie viel davon? In Kriegsgebieten ist das besonders schwierig zu evaluieren.

Andere Herausforderungen sind Transportwege und Sicherheit. Die Wege in der Ukraine sind teilweise sehr lang. Aufgrund der Sicherheitslage können wir manche Wege nur zu bestimmten Zeiten zurücklegen. Vor allem für Medikamente, die eine Kühlkette brauchen, wie Insulin, ist das herausfordernd.  

Viele wollen Medikamente spenden. Warum nimmt Ärzte ohne Grenzen keine Medikamentenspenden an?

Auch wenn Medikamentenspenden gut gemeint sind – sie decken selten den bestehenden Bedarf an Medikamenten vor Ort ab. Wir haben standardisierte Bestellvorgänge. So können wir die notwendigen Medikamente in der Menge bestellen, in der sie vor Ort gebraucht werden.

Außerdem unterliegen alle Medikamente, die wir in unseren Einsätzen verwenden, strengen Qualitätskriterien bezüglich Herstellung und Verfolgbarkeit der Lieferung. Wir orientieren uns in unseren Einsätzen an der Liste der essentiellen Medikamente der WHO. Deswegen könnten wir auch nicht alle Medikamente einsetzen, die gespendet werden würden.

Anna Helbok

Allen Menschen, die in der Ukraine helfen wollen, würde ich raten, uns mit Geldspenden zu unterstützen.

Anna Helbok, Pharmazeutin

Es gibt aber auch andere Hürden: Bei gespendeten Medikamenten ist das Verfallsdatum oft zu bald oder der Beipackzettel ist nur auf Deutsch, sodass er in unseren Einsatzländern nicht verstanden werden kann. Oder es werden große Mengen an bestimmten Medikamenten gespendet, die wir nicht verwenden können, weil es den Bedarf gar nicht gibt. 

Die Verarbeitung von Medikamentenspenden würde somit mehr Zeit und Geld kosten als unsere standardisierten Bestellvorgänge. 

Statt Medikamente zu spenden - was können Menschen tun, die in der Ukraine helfen wollen?

Allen Menschen, die in der Ukraine helfen wollen, würde ich raten, uns mit Geldspenden zu unterstützen. So können wir die Spenden gezielt dort einsetzen, wo sie gebraucht werden und sicherstellen, dass Medikamente zu den Menschen kommen, die sie dringend benötigen. 

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