18.06.2024
Juliana Alexander Justin arbeitet in unserer Notaufnahme im Südsudan. Für sie ging damit ein Kindheitstraum in Erfüllung. Als klinische Fachkraft* hilft sie dort, wo Ärzt:innen fehlen.

Als Kind habe ich viele Nächte im Krankenhaus verbracht. Ich bin in der Stadt Wau im Südsudan aufgewachsen. Meine Mutter hat dort als Krankenschwester gearbeitet. Sie hat mich oft zu ihren Nachtschichten mitgenommen. So konnte ich auf meine kleine Schwester aufpassen, als sie noch ein Baby war. Ich habe es geliebt, meiner Mutter bei der Arbeit zuzusehen: Wie sie mit ruhiger Stimme mit den Patient:innen gesprochen, ihnen Blut abgenommen und Medikamente verabreicht hat. Ich war fasziniert, wie sie den kranken und verletzten Menschen helfen konnte. Diese Nächte haben in mir den Wunsch geweckt, eines Tages Ärztin zu werden. 

Juliana Alexander Justin
Oliver Barth/MSF

Ich hatte Glück

Nachdem ich die Schule abgeschlossen habe, konnten meine Eltern aber nicht die Kosten für das Medizinstudium zahlen. Ich hatte aber Glück: Denn zu dieser Zeit richtete die südsudanesische Regierung Ausbildungsstipendien für Krankenschwestern, Hebammen und klinisches Personal ein. Ziel war es, der hohen Mütter- und Kindersterblichkeitsrate im Land entgegenzuwirken. Ich habe mich beworben und hatte Erfolg: Als klinische Fachkraft bin ich meinem Berufswunsch nähergekommen. 

Kein einfacher Weg

Der Weg dorthin war nicht einfach. Meine Muttersprache ist Balanda. Und in der Schule wurden wir auf Arabisch unterrichtet. Aber nun war die gesamte Ausbildung auf Englisch, das habe ich damals nicht sehr gut gesprochen. 

Auch in der klinischen Arbeit musste ich schnell Aufgaben übernehmen, für die ich eigentlich nicht ausgebildet war. Im Südsudan gibt es viel zu wenig Ärzt:innen. Wir klinischen Fachkräfte füllen diese Lücke, obwohl wir nur drei Jahre ausgebildet wurden. Eine so große Verantwortung zu tragen, war anfangs schwer. Es gab Zeiten, in denen ich mich motivieren musste, weiterzumachen: Trotz der Rückschläge habe ich jeden Tag gesehen, dass es vielen meiner Patient:innen besser ging. Das hat mir sehr geholfen. 

Die Erfahrung hilft mit

Inzwischen habe ich auch schon viel Erfahrung gesammelt. Schon seit sieben Jahren arbeite ich für Ärzte ohne Grenzen in der Notaufnahme in Aweil im Norden des Landes. Wir leisten kostenlose Hilfe für rund 1,3 Millionen Menschen.  

Während der Malaria-Saison zum Beispiel müssen wir mit sehr wenig Personal viele Kinder gleichzeitig versorgen, und viele dieser Kinder sind in Lebensgefahr. 

Ich arbeite dann hochkonzentriert, um keine Zeit zu verlieren. Vor kurzem habe ich eine Bluttransfusion für ein schwerkrankes Kind vorbereitet. Die Mutter erzählte mir völlig erschöpft, dass sie eineinhalb Tage zur Klinik gelaufen ist. Sie hatte kein Geld für den Transport. So geht es vielen Familien. Ich war froh, dass sie es noch rechtzeitig zu uns geschafft haben. 

Für die Patient:innen weitermachen

Bei meiner Arbeit muss ich immer mit dem Schlimmsten rechnen. Was mir dabei hilft, ist die starke Unterstützung in unserem Team. Wir sind in schwierigen Momenten füreinander da und bedanken uns gegenseitig für die Arbeit, die wir leisten. Was mir aber die meiste Kraft und Zuversicht für meine Arbeit gibt, sind meine Patient:innen und das Wissen, dass ich viel für sie tun kann - so wie meine Mutter einst viel für ihre Patient:innen tun konnte.

* Klinische Fachkräfte haben eine dreijährige medizinische Ausbildung absolviert und stehen mit ihrer Qualifikation zwischen Krankenschwestern und Ärzt:innen. Sie bilden das Rückgrat der medizinischen Versorgung im Südsudan.