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Eric Ategekimana versucht seine Frau mit Wasser und Porridge zu füttern, damit sie wieder zu Kräften kommt. Vergeblich. Sie kann nichts bei sich behalten, erbricht sich und hat schlimmen Durchfall. Am Tag zuvor hat Eric durch die großen Megafone im Lager gehört, dass es Ärzt:innen gibt, die gratis behandeln. Ärzte ohne Grenzen heißen sie.
"Es ging ihr immer schlechter. Ich wusste nicht mehr weiter. Deswegen habe ich sie dann mitten in der Nacht in die Klinik gebracht. Seit ich mit meiner Frau zusammen bin, habe ich sie noch nie so krank gesehen”, erzählt der 50-jährige.
Bewaffnete Konflikte in der Demokratischen Republik Kongo zwingen die Menschen dazu, zu fliehen - wie auch Eric und seine Familie. In Nord-Kivu, im Osten des Landes, sind laut Schätzungen der UN 2,5 Millionen Menschen auf der Flucht. Sie leben jetzt in überfüllten Lagern, wo sie keinen Zugang zu sauberem Wasser, medizinischer Versorgung und sanitären Einrichtungen haben. Das Risiko für den Ausbruch von Krankheiten ist hoch.
Cholera in über 30 Ländern
Bei Erics Frau wurde Cholera diagnostiziert. Damit ist sie nicht die einzige. In mindestens 30 Ländern weltweit kommt es im vergangenen Jahr zu Cholera-Ausbrüchen, das sind deutlich mehr als in den Vorjahren. Betroffen sind unter anderem die Demokratische Republik Kongo, der Libanon und Haiti. Und auch das Jahr 2023 bringt schon neue Cholera-Epidemien: In Mosambik nach Wirbelsturm Freddy haben unsere Teams gerade ein Cholera-Behandlungszentrum aufgebaut, um den Ausbruch einzudämmen.
Welche Ursachen haben die vielen Ausbrüche?
Cholera ist eine Krankheit, die durch Bakterien in verunreinigtem Wasser verursacht wird. Das Risiko einer Epidemie steigt vor allem dann, wenn die Bevölkerung keinen Zugang zu sauberem Wasser und Sanitäranlagen hat.
Das betrifft Menschen in Kriegs- und Konfliktgebieten und auf der Flucht. In Kriegen und Konflikten wird die Wartung der Infrastruktur rund um Trink- und Abwasser vernachlässigt. Flüchtende Menschen müssen sich häufig an Orten niederlassen, wo die Trinkwasserversorgung unzureichend ist. In beiden Szenarien können sich Cholera-Bakterien rasch ausbreiten.
Seit zwei Wochen gibt es keinen Strom und kein Wasser. Wir müssen das Wasser aus dem Brunnen nehmen. Und wenn man das nicht abkocht, bekommt man Cholera.
Aber auch die Klimakrise und die damit zusammenhängenden Extremwetterereignisse, wie Dürren und Überschwemmungen, führen zu mehr Cholera-Ausbrüchen. Hitze und Dürre führen zu Wasserknappheit. Die Menschen müssen verschmutztes Wasser nutzen. Überschwemmungen fördern die Ausbreitung der Cholera-Bakterien, weil das Wasser nicht abfließen kann.
Nach Naturkatastrophen, wie Erdbeben und Wirbelstürme, steigt das Risiko eines Cholera-Ausbruchs ebenfalls. Oft ist der Grund dafür die zerstörte Infrastruktur, wie in Mosambik nach Wirbelsturm Freddy.
Mosambik: Nach Wirbelsturm Freddy
Im März 2023 zerstört Wirbelsturm Freddy ganze Städte und Dörfer. 1,2 Millionen Menschen sind alleine in Mosambik betroffen. Viele Menschen haben ihre Häuser und damit auch Zugang zu sauberem Wasser verloren. Cholera breitet sich aus.
Zura Ceatano begleitet ihren Neffen in das Cholera-Behandlungszentrum von Ärzte ohne Grenzen. Es geht ihm schlecht. Er ist schwach, weil er schon so viel Flüssigkeit verloren hat. Die Behandlung schlägt an. Zuras Neffe erholt sich rasch.
Zura weiß, warum plötzlich so viele Leute in ihrem Umfeld krank werden: “Viele Menschen haben alles verloren wegen Wirbelsturm Freddy. Ich habe so etwas noch nie erlebt. Seit zwei Wochen gibt es keinen Strom und kein Wasser. Wir müssen das Wasser aus dem Brunnen nehmen. Und wenn man das nicht abkocht, bekommt man Cholera.”
Libanon: Erster Cholera-Ausbruch seit 30 Jahren
Im Libanon wurde am 6. Oktober 2022 offiziell ein Cholera-Ausbruch erklärt – es ist der erste Ausbruch seit drei Jahrzehnten. Bis Ende 2022 registriert die Regierung fast 5.000 Infizierte und 20 Tote.
Das Land steckt in einer heftigen Wirtschaftskrise, was Auswirkungen auf alle Lebensbereiche hat. Wasserpumpen funktionieren wegen der Stromausfälle nicht, so dass Menschen auf private Wassertransporte angewiesen sind. Diese können sich nicht alle leisten, so dass manche auf verschmutzte Flüsse und Teiche zurückgreifen.
Auch Samaa ist davon betroffen. Ihr Sohn ist zwei Jahre als. Er hat Durchfall und übergibt sich. Samaa weiß nicht, was sie tun soll. Als ein Team von Ärzte ohne Grenzen eine Impfaktion in ihrer Nähe durchführt, fragt sie nach. Das Team schickt sie in das Cholera-Behandlungszentrum.
Besonders betroffen sind Kinder und Jugendliche: Über die Hälfte der Cholera-Patient:innen im Libanon sind unter 15 Jahre alt. Ein Viertel ist sogar unter vier Jahre alt.
Unsere Teams haben in Zusammenarbeit mit den Behörden und lokalen Organisationen fast 600.000 Cholera-Impfstoffe verabreicht, um den Ausbruch der Krankheit einzudämmen.
Haiti: 300 Tote
Die Ausbreitung der Cholera ist ein Symptom der katastrophalen humanitären Lage in Haiti. Der Staat befindet sich in einer politischen, wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Krise. Die Hauptstadt Port-au-Prince ist umzingelt, die Hauptverbindungsstraßen zum Rest des Landes werden von bewaffneten Gruppen kontrolliert.
Der Zugang zu sauberem Wasser – entscheidend im Kampf gegen die Cholera – hängt hier von Tankwagen ab, die das Wasser ausliefern. Die Wasserlieferungen hängen wiederum vom Zugang zu Treibstoff und von der Sicherheitslage ab. Treibstoff ist für einen großen Teil der Bevölkerung zu teuer.
Auch in Carrefour, einer Stadt in der Nähe von Port-au-Prince, sind die Cholera Zahlen hoch. Alle Betten im Cholera-Zentrum sind belegt. In zwei von den Betten liegen die Söhne von Sinexil Jean. Einer ist 14 Jahre alt, der andere erst eineinhalb. Als die beiden Cholera-Symptome gezeigt haben, ist Sinexil mit ihnen in die Klinik gefahren. Jetzt ist er den ganzen Tag bei ihnen. Seine Frau übernimmt dann die Nachtschicht.
In Haiti haben unsere Teams mit besonders schweren Cholera-Ausbrüchen zu kämpfen. Alleine im Oktober und November 2022 erkranken mehr als 15.000 Menschen an Cholera erkrankt, 300 sterben.
Behandlung und Prävention sind kompliziert
Cholera ist gut behandelbar. Bei rechtzeitiger Behandlung überleben mehr als 99 Prozent der Patient:innen die Krankheit.
Allerdings sind die Behandlung und die Vorbeugung von Cholera mit logistischen Herausforderungen verbunden. Cholera-Behandlungszentren sind nicht so einfach zu bauen, weil der Materialaufwand sehr hoch ist. Das Installieren von Trink- und Abwassersystemen ist kostspielig. Und wegen der hohen Zahl der Ausbrüche kommt es immer wieder zu einem Mangel an Impfstoffen.
Außerdem wollen Regierungen den Ausbruch von Cholera oft aus politischen Gründen nicht offiziell melden. Das macht es schwierig, die Bevölkerung angemessen darüber zu informieren.
Unsere Teams tun ihr Bestes, um auf die aktuellen Herausforderungen entsprechend zu reagieren.
In der Demokratischen Republik Kongo geht es Erics Frau wenige Tage nach ihrer Einlieferung wieder gut und sie kann nach Hause gehen. Leider hat sich auch eines von Erics Kindern mit Cholera angesteckt. Eric weicht nicht von seinem Bett in der Klinik. Das Schlimmste dürfte bald überstanden sein.