08.08.2024
Sudanesische Kinder im Geflüchtetenlager Adré teilen ihre Geschichten: Wie sie leben, was sie gerne tun und sich für die Zukunft wünschen.

Das Leben von Kindern wie Mushtaha oder Rayan hat sich seit dem Kriegsausbruch im Sudan drastisch geändert. Sie mussten ihr Zuhause verlassen und zählen nun zu den 600.000 Geflüchteten, die seit April 2023 im Tschad angekommen sind. 

Im Geflüchtetenlager Adré und in Aboutengué haben wir allein in diesem Jahr über 43.000 Kinder unter fünf Jahren behandelt. Und wir haben mehr als 22.000 Kinder vor kurzem in Adré gegen Masern geimpft. Dabei haben uns die Kinder von ihrem Leben erzählt: Über ihre Familien, was sie gerne tun und sich für die Zukunft wünschen.

 

Mushtaha, 10 Jahre

"Ich vermisse es, auf Sesseln zu sitzen. Wir haben hier keine, wir sitzen immer auf dem Boden.“

Being a child in a refugee camp
Thibault Fendler/MSF
Mushtaha mit ihrem Spielzeug-Kater Tom. Sie hat ihn bei ihrer Flucht aus dem Sudan mitgenommen.

Ich habe vier Schwestern und einen Bruder. Meine kleine Schwester ist vor fünf Monaten im Krankenhaus in Adré auf die Welt gekommen. Wir leben alle zusammen mit unserem Vater und unserer Mutter. Früher haben wir in El-Geneina gelebt, jetzt sind wir seit neun Monaten hier. Das Leben im Lager ist hart.

Ich vermisse es, auf Sesseln zu sitzen; wir haben hier keine, wir sitzen immer auf dem Boden. Wir sind mitten in der Wüste, also gibt es auch keine Bäume, unter denen man spielen könnte. Meine Eltern haben einen Unterstand mit einem Metalldach gebaut, unter dem wir schlafen. Dort bleiben wir und spielen...  Als wir aus El-Geneina geflohen sind, haben wir ein paar Spielsachen mitgebracht: ein paar Puppen und den sprechenden Kater Tom. Aber Tom spricht nicht mehr, weil er keine Batterien mehr hat.

Als wir hierhergekommen sind, haben wir bald die Ärzt:innen von Ärzte ohne Grenzen getroffen. Wenn meine Geschwister oder ich krank werden, gehen wir dorthin. Das letzte Mal war ich wegen einer Masernimpfung dort. Ich habe nicht geweint, als sie mich geimpft haben. 

In El-Geneina bin ich immer zur Schule gegangen. Hier gibt es keine Schule. Ich will Ärztin werden, und einmal bei Ärzte ohne Grenzen arbeiten. Aber wie soll das gehen, wenn ich nicht mehr in der Schule bin?

Rayan, 7 Jahre

"Ich bastle ein Teeservice aus Schlamm, damit ich damit spielen kann. Möchtest du eine Tasse Tee?"

Being a child in a refugee camp
Thibault Fendler/MSF
Rayan kommt aus Ardamatta, nordöstlich von El-Geneina. Sie kam vor einem Jahr in den Osttschad.

Das Leben hier ist in Ordnung. Wenigstens hören wir hier keine Schüsse. Ich töpfere gerne, mache kleine Töpfe, Tassen und Teekannen. Ich mache alles mit dem Schlamm, den ich nach dem Regen im Lager finde und in der Sonne trocknen lasse. 

Damals im Sudan in der Schule, haben wir am Ende der Stunde ein Teeset zum Spielen bekommen. Das war mein liebster Moment. Aber jetzt habe ich mir selbst eins gebastelt, damit ich weiterspielen kann.

Ich kenne Ärzte ohne Grenzen sehr gut. Ich war schon einmal dort, als ich krank war, und einmal, als ich gegen Masern geimpft wurde. Später möchte ich auch Ärztin werden. Damit ich mich um meinen Vater kümmern kann, dem wegen Diabetes ein Bein amputiert werden musste (das war noch im Sudan). Seit er in Adré ist, ist er mehrmals in die Kliniken von Ärzte ohne Grenzen gegangen, um seinen Verband zu wechseln. Jetzt geht es ihm gut. Aber meine Mutter ist jetzt die Einzige, die arbeiten kann. Sie macht alles, vom Wäschewaschen bis zum Aufheben von Ziegelsteinen.

Zamzam, 12 Jahre

"Wenn es möglich wäre, würde ich heute zurück in meine Stadt gehen."

Being a child in a refugee camp
Thibault Fendler/MSF
Zamzam ist seit etwa 15 Monaten im Geflüchtetenlager Adré. Sie stammt aus El-Geneina, der Hauptstadt von West-Darfur.

Die Lebensbedingungen hier im Lager sind hart. Wir haben keine Kleidung, keine richtigen Mahlzeiten, keinen Strom und keine Schule. Wir sind zu Fuß aus dem Sudan gekommen. Alles, was wir hatten, wurde uns auf der Reise weggenommen. 

Hier gibt es nichts Besonderes zu tun. Wir bleiben den ganzen Tag zu Hause, in dem Unterstand, den meine Mutter gebaut hat. Oder in unserem kleinen Garten, aber es gibt keinen Schatten, in dem wir uns aufhalten können. Ich kenne Ärzte ohne Grenzen. Ich war einmal in ihrer Klinik, als ich krank war, und ich habe mich gegen Masern impfen lassen. Die Impfung war schmerzhaft, aber niemand von uns Geschwistern hat geweint. Alle waren sehr tapfer.

Am meisten vermisse ich es, zur Schule zu gehen. Ich war eine gute Schülerin. Wenn es möglich wäre, würde ich sofort nach El-Geneina zurückkehren, am besten noch heute. Es ist mein Land, und ich würde nicht eine Sekunde zögern, wenn es sicher ist.

Ouman, 11 Jahre

"Ich liebe das Kochen. Wenn ich mehr Mehl hätte, würde ich Gebäck backen. Kennst du frittierte Donuts?"

Being a child in a refugee camp
Thibault Fendler/MSF

Das Leben im Lager ist nicht in Ordnung. Ich bin vor fünf Monaten aus El Geneina hierhergekommen. Die Unterkunft ist zu klein, und wir haben noch keine Plastikplanen. Wenn es regnet, wird es schwierig. Wir haben weder genug zu essen noch Decken oder Matten auf dem Boden. In El Geneina haben wir uns wohlgefühlt, aber hier nicht. Hier gibt es keine Schulen und keinen Strom. 

Im Lager spiele ich meistens mit meinen Freunden. Manchmal befestigen wir ein Seil an einem Baum, um eine Schaukel zu bauen, und spielen dort den ganzen Tag lang. Zwei gute Freunde von mir haben ihre Hütte nicht weit von meiner entfernt. Wir waren in El Geneina in derselben Klasse. Jetzt leben wir ganz in der Nähe im Geflüchtetenlager.

Ich gehe oft auf den lokalen Markt im Lager, um Lebensmittel zu kaufen. Und ich helfe beim Kochen. Meistens gibt es Reis und Tomatensoße. Aber ich wünschte, wir hätten mehr Mehl, dann könnte ich Gebäck wie frittierte Donuts machen.

Meine Tante hat vor einem Monat in der Unterkunft ihr Baby geboren. Sie hat keine medizinische Einrichtung gefunden. Sie war eine Zeit lang krank, aber schließlich hat Ärzte ohne Grenzen ihr geholfen, und jetzt geht es ihr besser.

Mazim, 12 Jahre

"So spielen wir die ganze Zeit: Madrid gegen Barcelona."
 

Being a child in a refugee camp
Thibault Fendler/MSF

Ich komme aus El-Geneina. Ich bin seit mehr als einem Jahr hier und wohne mit zwei meiner Cousins zusammen. Meine Tante ist vor ein paar Wochen in den Sudan zurückgekehrt, um ihren Mann zu suchen, der seit Monaten vermisst wird.

Das Leben hier ist in Ordnung. Meine Tage bestehen aus Fußball spielen, beten und wieder Fußball spielen. Ich bin immer Außenverteidiger. Meine Lieblingsmannschaft ist Real Madrid. Mein Bruder spielt für Barcelona, er trägt immer ihr Trikot. So spielen wir immer: Madrid gegen Barcelona. Am Anfang hatten wir einen Ball, aber der hat sich mit der Zeit abgenutzt. Also haben wir eine Socke mit Plastik gestopft und spielen jetzt damit.

In der Nähe des Geflüchtetenlagers gibt es einen Fußballplatz. Wir sind immer dieselben 24 Kinder, so können wir zwei Mannschaften zusammenstellen. Einige von ihnen habe ich im Lager kennen gelernt, andere kannte ich schon aus El-Geneina.

Viele der geflüchteten Nachbarn stehen miteinander in Kontakt, auch während der Flucht. So können diejenigen, die schon im Geflüchtetenlager sind, an der Grenze warten, um die Neuankömmlinge zu begrüßen. Sie bringen sie dann im Lager dorthin, wo sie selbst wohnen. So erschaffen wir unsere frühere Nachbarschaft im Lager wieder.

Manchmal gehe ich durch das Geflüchtetenlager um Holz für meine Mutter zum Kochen zu sammeln. Ich muss arbeiten, um meine Familie zu unterstützen. Ich gehe mehrmals in der Woche auf den Markt, um Schuhe zu polieren und zu reparieren, denn ich habe gelernt zu nähen. Die Lebensmittel reichen nicht aus, also kaufe ich ein wenig Gemüse und Fleisch.