Afghanistan: Ärzte ohne Grenzen weiterhin mit gemischten Teams im Einsatz

29.12.2022
Die medizinische Nothilfeorganisation verurteilt das Arbeitsverbot für Frauen in NGOs.

In einem Land, dessen Bevölkerung größtenteils von humanitärer Hilfe abhängig und das mit hoher Arbeitslosigkeit und grassierender Armut konfrontiert ist, spielen weibliche Mitarbeiterinnen eine entscheidende Rolle. Die medizinische Nothilfeorganisation wird weiterhin mit Teams bestehend aus Männern und Frauen in Afghanistan im Einsatz sein.

„Mehr als 51 Prozent unseres medizinischen Personals sind Frauen“, sagt Filipe Ribeiro, Landesvertreter von Ärzte ohne Grenzen in Afghanistan. „Wir sprechen von fast 900 Ärztinnen, Krankenschwestern und anderen Expertinnen, die sich täglich darum bemühen, Tausenden von Afghanen:innen die bestmögliche Versorgung zukommen zu lassen. Ohne sie kann die Arbeit von Ärzte ohne Grenzen nicht geleistet werden. Diese neueste Richtlinie ist nur ein weiterer Schritt eines systematischen Versuchs, die Präsenz von Frauen aus der Öffentlichkeit zu verdrängen – zum Schaden aller.“ Die Folgen dieses jüngsten Dekrets werden vor allem Frauen und Kinder am härtesten treffen, für die es noch schwieriger wird, Zugang zu Gesundheitsversorgung zu erlangen.

Ärzte ohne Grenzen wird vorerst alle Aktivitäten ungehindert fortführen und die weiblichen Mitarbeiterinnen weiterhin in den Gesundheitseinrichtungen, die von Ärzte ohne Grenzen und dem Gesundheitsministerium verwaltet werden, arbeiten. Dabei muss es auch bleiben, denn ein Arbeitsverbot für Frauen würde Patientinnen den Zugang zur Gesundheitsversorgung verwehren. Ribeiro: „Über 90 Prozent unseres medizinischen Personals im Mutter-Kind-Krankenhaus von Khost sind weiblich. Sie helfen jeden Monat bei der Entbindung von rund 1.800 Babys. Wenn diese Politik vollständig umgesetzt wird, wird noch mehr Müttern der Zugang zu prä- und postnataler Behandlung verwehrt. Sie könnten dann nirgends mehr hingehen.“

Nach der Schließung der Sekundarschulen für Mädchen im März 2022 gab das Ministerium für Hochschulbildung Anfang dieses Monats auch die Entscheidung bekannt, Frauen vom Besuch privater und öffentlicher Universitäten auszuschließen. Dies wird die Situation langfristig verschlimmern. „Das Gesundheitssystem in Afghanistan kämpft schon jetzt damit, die Grundbedürfnisse der Menschen zu erfüllen. Wenn die Patient:innen heute bereits keine Behandlung bekommen, was wird dann in Zukunft passieren, wenn die Hälfte aller potenziellen Medizinstudent:innen nicht studieren darf?“, fragt Ribeiro. „In Khost haben wir schon jetzt Schwierigkeiten, alle notwendigen Stellen zu besetzen. Auch Gynäkolog:innen sind in der gesamten Region äußerst rar. Wir brauchen bereits jetzt mehr Ärztinnen, nicht weniger.“   

Frauen auf diese Weise auszuschließen, verstößt gegen jeden Grundsatz der Menschlichkeit und der medizinischen Ethik, dem sich die Angehörigen der Gesundheitsberufe verpflichtet fühlen. „Wenn Frauen daran gehindert werden, in Gesundheitseinrichtungen zu arbeiten und gleichzeitig aber auch Frauen nur von Frauen behandelt werden dürfen, dann wird es für sie praktisch unmöglich sein, Zugang zur Gesundheitsversorgung zu erhalten. Infolgedessen wird kein Gesundheitsdienstleister, einschließlich Ärzte ohne Grenzen, in der Lage sein, medizinische Leistungen in Afghanistan zu erbringen“, so Ribeiro.           

Damit Gesundheitsversorgung für alle zur Verfügung steht, muss sie von allen erbracht werden. Deshalb setzt sich Ärzte ohne Grenzen in Afghanistan weiterhin dafür ein, allen Menschen, die medizinische Hilfe benötigen, zu helfen, indem wir unsere derzeitigen Teams in ihrer jetzigen Zusammensetzung beibehalten.

Ärzte ohne Grenzen betreibt sieben Projekte in Helmand, Kundus, Herat, Khost, Kabul, Kandahar und Bamiyan, wobei der Schwerpunkt auf sekundärer Gesundheitsversorgung liegt. Mehr als 1.700 medizinische Fachkräfte arbeiten für die Organisation in Afghanistan, davon 894 Frauen und 835 Männer. Im Jahr 2022 waren die Teams von Ärzte ohne Grenzen für über 250.000 ambulante Konsultationen, 42.000 stationäre Aufnahmen, 71.000 Aufnahmen in Notaufnahmen, 11.000 chirurgische Eingriffe und 35.000 Entbindungen verantwortlich. In den ambulanten therapeutischen Ernährungszentren wurden 5.000 Kinder aufgenommen, in den stationären therapeutischen Ernährungszentren 7.000 Kinder. Außerdem wurden 9.500 Masernpatient:innen behandelt und 22.000 Konsultationen für Tuberkulose-Patient:innen durchgeführt.