Was wir brauchen, um im Südsudan Leben zu retten

31.01.2014
Bericht von Arjan Hehenkamp, Generaldirektor von Ärzte ohne Grenzen in den Niederlanden
Arjan Hehenkamp im Südsudan
Jerome Starkey
Nimule, Südsudan, 15.01.2014: Arjan Hehenkamp, Generaldirektor von Ärzte ohne Grenzen in den Niederlanden, im Gespräch mit vertriebenen Frauen in Nimule.

Arjan Hehenkamp, Generaldirektor von Ärzte ohne Grenzen in den Niederlanden, hat kürzlich den Südsudan besucht. Er schildert in folgendem Brief seine Eindrücke und die Rahmenbedingungen der Arbeit von Ärzte ohne Grenzen :

Als ich den Südsudan vor zehn Jahren verließ, nachdem ich dort vier Jahre gearbeitet hatte, ging ich mit einem Gefühl der Hoffnung. Es war zu diesem Zeitpunkt gerade ein Waffenstillstand vereinbart worden, ein Friedensabkommen befand sich in Diskussion. Einige Jahre später wurde Südsudan ein unabhängiger Staat, Herr seines eigenen Schicksals.

Ich war nicht so naiv zu glauben, dass dieser Weg ohne Schwierigkeiten beschritten werden würde. Doch das Ausmaß, die Geschwindigkeit und die Auswirkungen der Gewalt, die im Dezember ausgebrochen ist, hat mich schockiert. Es war einfach zu viel, was mir südsudanesische Freunde aus der Ferne berichteten, also machte ich mich zehn Tage später auf den Weg zurück in den Südsudan – nun als Generaldirektor von Ärzte ohne Grenzen in den Niederlanden, um dabei zu helfen, unsere Nothilfe-Projekte zu koordinieren.

Während der vergangenen zehn Tage hörte ich bei meinen Besuchen in unseren Projekten erschütternde Berichte der Gewalt. In Nimule kam ein Junge namens Deng auf mich zu und bat mich um Hilfe, nachdem er seine gesamte Familie in Bor verloren hatte. Ich war Zeuge der Auswirkungen davon, wenn hunderttausende Menschen dazu gezwungen werden, ihr Zuhause zu verlassen, und lange Reisen mit wenig Nahrung oder Wasser antreten, ohne Zugang zu einer Unterkunft oder medizinischer Versorgung. In unserer Klinik in Lankien traf ich Marion, die hochschwanger vor der Gewalt in Bor geflohen war, und nach einer langen und beschwerlichen Reise gerade rechtzeitig unsere Klinik erreichte, um ein gesundes Mädchen auf die Welt zu bringen. Und ich habe Menschen gesehen, die aus Angst in den Lagern eingesperrt sind, dort unter unmöglichen Bedingungen leben und zu eingeschüchtert sind um sich nach draußen zu wagen – in eine unsichere Zukunft.

Ich habe unsere überfüllten Krankenhäuser und Kliniken gesehen – in Lankien im Bundesstaat Jonglei hat sich die Anzahl unserer PatientInnen vervierfacht, und die lokale Bevölkerung hat sich auf Grund des Zustroms an Vertriebenen verdreifacht. Und trauriger Weise habe ich auch gesehen, wie die lebensrettende medizinische Hilfe von Ärzte ohne Grenzen gestoppt werden musste, als sie am dringendsten benötigt wurde – auf Grund von Gewalt, Plünderungen und Zerstörung.

Die südsudanesische Zivilbevölkerung ist in höchstem Ausmaß von den gewaltsamen Ereignissen der vergangenen Wochen betroffen. Die Zerstörung der Krankenhäuser und Märkte sowie der wachsende Druck auf die Gemeinden, die Massen an Flüchtlingen aufnehmen, hat mich zu folgendem Schluss gebracht: Südsudan wird in den folgenden Monaten mit einer humanitären Krise konfrontiert sein, und seine Bevölkerung wird jede Hilfe benötigen, die sie bekommen kann.

Ärzte ohne Grenzen ist in der Region, die heute den Südsudan ausmacht, seit mehr als 30 Jahren tätig. Unsere Nothilfe-Teams sind bereits in Juba, Awerial, Lankien, Nasir und Nimule aktiv, während weitere Teams diesen Montag erst nach Malakal und Bentui zurückgekehrt sind. Weitere Teams bereiten sich darauf vor, nach Bor aufzubrechen. Unsere Prioritäten hängen von den Bedürfnissen der Menschen ab, aber ich bin mir sicher, dass wir eine große Vielfalt an Aktivitäten aufrecht erhalten werden müssen – von Ernährungsprogrammen über Wasseraufbereitung und die Einrichtung von sanitären Anlagen bis zu Chirurgie.

Damit Ärzte ohne Grenzen Leben retten kann, gibt es drei kritische Faktoren: Erstens muss es Ärzte ohne Grenzen möglich sein, alle Menschen mit dringendem medizinischen Bedarf zu behandeln, unabhängig davon, wer an der Macht ist – die Regierung oder die Opposition. Zweitens, was damit sehr eng in Zusammenhang steht, muss Ärzte ohne Grenzen mit allen Konfliktparteien in Dialog stehen – und volle Transparenz unserer Aktivitäten und Intentionen offenbaren – um eine vertrauensvolle und offene Beziehung zu pflegen, im Rahmen derer Probleme und Lösungen diskutiert werden können. Drittens, der wichtigste Punkt, müssen alle Konfliktparteien, vom höchstrangigen Offizier bis zum einfachen Soldaten, die PatientInnen, Einrichtungen und MitarbeiterInnen von Ärzte ohne Grenzen respektieren, statt sie anzugreifen.

Nachdem ich Regierungsvertreter in Juba und Nimule getroffen habe sowie lokale Verantwortliche in den von der Opposition kontrollierten Gebieten, bin ich mehr als beeindruckt von deren Engagement, um unsere Arbeit zu unterstützen. Ich bin mir jedoch dessen bewusst, dass die Realität in den Projekten schwieriger zu beeinflussen ist – wie unsere Teams in Malakal, Bentiu und an weiteren Orten schmerzhaft erleben mussten.

Die nächsten Schritte sind daher klar: Ärzte ohne Grenzen wird, in engem Kontakt mit den relevanten Verantwortlichen, die notwendigen Teams und Materialien in diesem Notfall bereitstellen – und zwar mit unseren eigenen logistischen Kapazitäten zur Sicherung unserer Unabhängigkeit.

Wir müssen höchsten Einsatz zeigen, um den Hilfsbedürfnissen von Marion, Deng und den Hunderttausenden anderen zu begegnen, die unsere Solidarität und Unterstützung benötigen.