„Wir müssen diese Menschen weiter unterstützen“

28.01.2014
Einsatzbericht von Paul McMaster, Chirurg und Präsident von Ärzte ohne Grenzen in Großbritannien
SS MSB4865 Phil Moore web
Phil Moore
Juba, Südsudan, 12.01.2014: Eine Mutter verabreicht ihrem Kind eine Rehydrations-Lösung in einer Krankenstation von Ärzte ohne Grenzen in einem Vertriebenenlager in Juba. Vom gewaltsamen Konflikt im Südsudan sind Frauen und Kinder am schwersten betroffen - viele Kinder leiden unter Mangelernährung.

Paul McMaster, Chirurg und Präsident von Ärzte ohne Grenzen in Großbritannien, ist vor kurzem von seinem Einsatz im Südsudan zurückgekehrt.  Sein Bericht erschien im Original auf der Website der Zeitung The Guardian :

Image removed. „Ich wurde am Wochenende vor Weihnachten von unserem Team für akute Nothilfe-Einsätze angerufen. Einige Tage vorher waren im Südsudan Kämpfe ausgebrochen – deshalb wurde ich gefragt, ob ich mit einem Team dort zusätzliche chirurgische Unterstützung in jenen Regionen leisten könnte, in denen heftig gekämpft wurde. Wir flogen bereits am nächsten Tag.

Wir sind zunächst nach Bentiu geflogen, der Haupstadt des Bundestaats Unity. In der Stadt waren am Vortag Kämpfe ausgebrochen; die Marktplätze waren zerstört und geplündert, die Ärzte vor Ort hatten das lokale Krankenhaus verlassen. Wir fanden eine Krankenstation mit etwa 45 Schwerverletzten vor und begannen gleich, sie medizinisch zu versorgen. Ich operierte bereits am selben Abend. Allerdings verschlechterte sich die Situation zunehmend und es gab Gerüchte über einen bevorstehenden Angriff auf die Stadt. Wir wurden am nächsten Morgen evakuiert.

Die Atmosphäre in der Stadt war sehr angespannt, als wir sie verließen. Viele Männer liefen mit Waffen herum. Kleine Gruppen von Menschen mit Bündeln von Habseligkeiten verließen die Stadt über die Hauptbrücke. Es herrschte ein Gefühl der Ahnung, dass die Lage sich verschlechtern würde. Wenig später haben Regierungskräfte Bentiu übernommen. Bis dahin waren die Einwohner in umliegende Dörfer oder und die Umgebung verschwunden. Ein anderes Team von Ärzte ohne Grenzen ist fünf Tage später in die Stadt zurückgekehrt, zog sich aber wegen der unsicheren Lage wieder zurück. Unser Gelände war geplündert und zerstört worden, die Situation blieb sehr angespannt.

 

Krankenhäuser überfüllt mit Opfern und Verwundeten

 

Von Bentiu flogen wir nach Nasir weiter im Osten. In dieser Region hatte es die ganze Woche bereits Gewalt und Kämpfe gegeben – das Krankenhaus von Ärzte ohne Grenzen war überfüllt mit Opfern und Verwundeten. Wir arbeiteten 36 Stunden lang mit dem lokalen Team von Ärzte ohne Grenzen, währenddessen deren Chirurg und ich viele komplizierte Fälle behandeln mussten. Danach wurden wir ins nahe gelegene Lankien geschickt, wo immer mehr Opfer der stetigen Gewalt in die Klinik eingeliefert wurden.

Lankien ist ein kleines, abgelegenes Dorf aus Lehmhütten. Als wir dort ankamen, war es übervoll. Die Einwohnerzahl von 7.000 Menschen hatte sich wegen all der Flüchtlinge, die dort Schutz suchten, fast verdoppelt. Das Krankenhaus war voller verletzter und verängstigter Menschen.

 

Mehr als 100 Verletzte operiert

 

Dieses Krankenhaus von Ärzte ohne Grenzen konzentrierte sich bisher hauptsächlich auf die Behandlung von Infektionskrankheiten, also bauten wir als erstes eine Intensivstation und einen Operationsraum in einem Zelt auf. In den darauf folgenden drei oder vier Wochen behandelten wir etwa 130 bis 140 Menschen mit Schussverletzungen.

Der Großteil bestand aus jungen Männern von etwa 16-17 Jahren, manche noch jünger, die in den schweren Kämpfen in der nördlich gelegenen Stadt Malakal oder in Bor im Süden verletzt worden waren. Sie wurden aber erst zwei bis drei Tage, nachdem sie verwundet worden waren, zu uns gebracht. Viele hatten Schussverletzungen oder Knochenbrüche erlitten, die alle mit Staub verschmutzt waren. Oft hatten sich die Wunden entzündet. Es kostete viel Arbeit, zu verhindern, dass sich durch diese Wunden Blutvergiftungen oder Sepsis entwickelten.

 

11-jähriger mit Schussverletzung in der Wirbelsäule

 

Während der Kämpfe wurden auch eine erhebliche Anzahl an Zivilisten verletzt, darunter auch Kinder. Einem elfjährigen Jungen war in die Wirbelsäule geschossen worden – er war von Hüfte abwärts gelähmt. Ich habe ihn zweimal operiert und konnte alle Projektile entfernen; aber ich bezweifle, dass er jemals wieder laufen können wird.

Einmal sollte ich mir spät abends ein etwa zwölfjähriges Mädchen anschauen, das an Krämpfen und anderen Symptomen litt. Wir haben hart gearbeitet und ich war begeistert, als es ihr schon am nächsten Morgen erheblich besser ging und sie sich voraussichtlich vollständig erholen würde. Ich war aber entsetzt, dass sich ausschließlich ihr neun Jahre alter Bruder um sie kümmerte. Ihr Vater war in Malakal geblieben, und ich weiß nicht, was mit ihrer Mutter geschehen ist. Ich frage mich, wie es mit diesem jungen Mädchen weitergehen wird.

 

Fußmärsche bei 40°C ohne Nahrung und Wasser

 

Das Krankenhaus selbst stand unter enormem Druck. Viele der eingelieferten PatientInnen waren normale Menschen, die von Bor oder Malakal aus drei Tage zu Fuß unterwegs gewesen waren – bei Tagestemperaturen von bis zu 40 Grad. Sie hatten keine Nahrung und nur wenig Wasser; viele sind vor Erschöpfung kollabiert. Die Anzahl an PatientInnen in unserer ambulanten Station verdreifachte sich in unseren überforderten Kliniken.

Die Vertriebenen besaßen kaum noch etwas. Sie wollten oft schnell weiterlaufen, nachdem sie sich ausgeruht hatten. Viele hatten nichts außer den Kleidern, die sie trugen, und schliefen unter freiem Himmel. Den Menschen benötigten dringend Wasser und Nahrungsmittel. Nur vier der zwölf lokalen Wasserpumpen funktionierten, und unsere Ernährungszentren waren schnell mit mangelernährten Kindern überfüllt.

 

Überlebenswichtige Hilfe muss aufrecht erhalten bleiben

 

Es ist dringend notwendig, dass wir unsere überlebenswichtige medizinische und chirurgische Versorgung im Südsudan aufrecht erhalten. Es muss weiterhin möglich sein, dass unsere Teams vor Ort sicher arbeiten und den Verwundeten und Vertriebenen helfen können.

Der Südsudan ist der jüngste Staat der Welt – nicht einmal drei Jahre alt, und schon bricht er auseinander. Auch nach meiner Rückkehr denke ich oft an die Menschen im Südsudan in der Stunde ihrer Not. Wir müssen sie weiterhin unterstützen.“

Ärzte ohne Grenzen arbeitet seit 1983 im Südsudan und betreibt zurzeit Hilfsprogramme in neun der zehn Bundesstaaten des Landes. In den Hilfsprogrammen der Organisation im Südsudan sind derzeit 278 internationale und 2.980 südsudanesische Mitarbeiter beschäftigt.