16.11.2022
Die Flucht über das Mittelmeer ist lebensgefährlich. Wir sind mit unserem Seenotrettungs-Schiff Geo Barents im Einsatz, um Menschen in Seenot zu retten und medizinische Nothilfe zu leisten.

Themengebiet:

Dafür zu sorgen, dass niemand auf See stirbt, ist eigentlich eine staatliche Aufgabe. Da sich die EU-Staaten jedoch aus der Verantwortung für proaktive Such- und Rettungsaktionen im zentralen Mittelmeer zurückgezogen haben, füllen derzeit NGOs diese entscheidende Lücke. Um Menschenleben zu retten, ist Ärzte ohne Grenzen seit 2015 mit verschiedenen Schiffen in der Region aktiv. Seit Mai 2021 setzen wir unser Schiff Geo Barents ein, mit dem wir bisher über 9.000 Menschen gerettet haben.

(letztes Update am 22.11.2023)

Fragen zu unserem Einsatz im Mittelmeer

Wir engagieren uns aktiv in der Seenotrettung im Mittelmeer. Wir retten Menschenleben, die auf seeuntauglichen Booten ums Leben zu kommen drohen. Diese humanitären Einsätze sind entscheidend, da staatliche Seenotrettung oft nicht ausreicht.

Organisationen, die sich der Mittelmeer-Seenotrettung widmen, stehen jedoch häufig vor rechtlichen Herausforderungen. Trotz dieser Hindernisse setzt sich Ärzte ohne Grenzen weiterhin für die Geretteten ein. Wir fordern die Europäische Union auf, eine proaktive und humane Lösung für die Seenotrettung zu finden.

Als humanitäre Organisation kann Ärzte ohne Grenzen die vielen Todesfälle auf dem Mittelmeer nicht ignorieren. Seenotrettung ist eine staatliche Aufgabe, doch seitdem die EU und Italien die großangelegte Such- und Rettungsmission Mare Nostrum im Jahr 2014 einstellten, reichten die staatlichen Kapazitäten nicht mehr aus. Im Jahr 2019 beendete die EU dann die Rettungsaktivitäten im Rahmen der Operation EUNAVFORMed-Sophia komplett. Zivile Seenotrettung ist im Moment die einzige Möglichkeit, noch mehr Todesfälle zu verhindern.

Die Menschen, die sich auf die Reise über das Mittelmeer machen, fliehen vor einigen der furchtbarsten humanitären Krisen unserer Zeit sowie vor Gewalt und Ausbeutung aus dem Konfliktgebiet in Libyen. Sie nehmen große Risiken auf sich und viele sterben im Meer. Das ist tragisch und völlig inakzeptabel. 

Jedem Menschen, der sich in Seenot befindet, muss geholfen werden, unabhängig von seiner Herkunft. Auch wenn er einmal gerettet ist, sollte jeder Mensch – unabhängig davon, ob er in Europa bleiben kann oder nicht – mit Würde und Menschlichkeit behandelt werden. Die Menschen müssen in einen sicheren Hafen gebracht werden und dürfen keinesfalls in Länder wie Libyen zurückgebracht werden, in denen ihr Leben und ihre Sicherheit nicht gewährleistet sind.
 

Der Weg über das Mittelmeer ist die derzeit tödlichste Migrationsroute der Welt. Alleine im Zeitraum von Jänner bis September 2023 sind 2.200 Menschen auf der Überfahrt ertrunken oder gelten seither als vermisst. Das sind jetzt schon doppelt so viele Menschen, wie im Jahr 2022. 

Mit unserem Rettungsschiff Geo Barents haben wir im Zeitraum von Juni 2021 bis September 2023 über 9.000 Menschen gerettet, davon fast 3.000 Kinder. 

Für aktuelle Daten zu vermissten Personen: https://missingmigrants.iom.int/region/mediterranean

Ärzte ohne Grenzen unterstützt seit dem Jahr 2002 Menschen, die über das Mittelmeer nach Europa geflohen sind. Unsere Mitarbeiter:innen sehen schon seit langem die Folgen von Konflikten, Hunger und Krankheiten in Afrika, Asien und dem Mittleren Osten. Die von uns geretteten Menschen beschreiben immer wieder, dass sie keinen anderen Ausweg mehr gesehen haben, als ihr Leben zu riskieren, um nach Europa zu gelangen. Sie fliehen vor Gewalt, Krieg, Verfolgung und Armut in ihren Herkunftsländern. Viele von ihnen haben zudem auf ihrem Weg nach Europa extreme Gewalt und Ausbeutung, etwa in Libyen, erlebt. Fast alle berichten von gewaltsamen Übergriffen wie Schlägen, sexueller Gewalt und Mord. Nach der traumatischen Flucht und den Erlebnissen in Libyen gibt es für die meisten keinen Weg mehr zurück.   

Das fast vollständige Fehlen sicherer und legaler Wege, Asyl zu beantragen oder nach Europa zu migrieren, zwingt Tausende Menschen, ihr Leben an Bord unsicherer Boote zu riskieren.   

 

Wir beobachten eine sich ständig verschlimmernde humanitäre Katastrophe, mit einem Anstieg bei den Todesopfern: Allein von Jänner bis September 2023 haben 2.200 Menschen ihr Leben im zentralen Mittelmeer verloren.  

Immer wieder treiben Männer, Frauen und auf offener See und wurden dem Verdursten oder Ertrinken überlassen. Es gibt zahlreiche tragische Situationen, bei denen die Hilfeleistung durch die Behörden unterlassen wird und die tödlich enden. 

Diejenigen, die nicht auf See sterben, laufen Gefahr, von der EU-unterstützten libyschen Küstenwache vor der libyschen Küste abgefangen und unter entsetzlichen Bedingungen gewaltsam nach Libyen zurückgebracht zu werden. Die meisten dieser Personen enden zwangsweise und auf unbestimmte Zeit in gefährlichen Internierungslagern, in denen es zu körperlicher Misshandlung, sexualisierter Gewalt und Ausbeutung kommt und in denen es nur eingeschränkten Zugang zu medizinischer Versorgung gibt. 

Aktuelle Daten zu Fluchtbewegungen auf dem Mittelmeer

Die Tatsache, dass so viele Menschen beim Versuch sterben, über das Mittelmeer nach Europa zu kommen, ist das Resultat starker „Push-Faktoren“, beispielsweise gewalttätige Konflikte wie in Somalia. Auch die Gewalt und die Misshandlungen, die Flüchtende während ihres Aufenthalts in Libyen erleben, führen dazu, dass die Menschen das Land verlassen und die gefährliche Überfahrt wagen. Zum anderen ist die gefährliche Flucht über das Meer auch eine direkte Folge der immer restriktiver werdenden EU-Asyl- und -Migrationspolitik.   

Die Schließung der europäischen Grenzen und das fast vollständige Fehlen sicherer und legaler Wege, Asyl zu beantragen oder nach Europa zu migrieren, zwingt Tausende Menschen, ihr Leben an Bord ungeeigneter Boote zu riskieren. Verstärkter Grenzschutz, erhöhter Militäreinsatz, Bekämpfung von Schleppernetzwerken – die von der EU angestrengten Maßnahmen haben letztendlich dazu geführt, dass noch mehr Menschen im Mittelmeer ertrunken sind. Weiterhin konzentriert man sich auf die Bekämpfung der Auswirkungen und nicht auf die Ursachen. Die Schlepper beispielsweise haben nun einfach ihre Vorgehensweise an die europäischen Maßnahmen angepasst, sodass die Überfahrt noch gefährlicher geworden ist.   

Ärzte ohne Grenzen ist davon überzeugt, dass Menschen ohne sichere Alternativen weiterhin bereit sein werden, sich auf gefährliche Routen zu begeben und ihr Leben zu riskieren. Sie auf See zu retten ist keine Lösung, sondern nur eine Notfallmaßnahme, um Menschen vor dem Tod zu bewahren.   

Eine Rettung ist nach internationalem Recht erst abgeschlossen, wenn die geretteten Menschen an einem sicheren Ort an Land gehen können. Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR), die EU-Kommission und die Internationale Organisation für Migration legen dies so aus, dass es sich dabei um den nächsten sicheren Hafen handelt. Als humanitäre Organisation steht für uns das Wohlergehen der schutzbedürftigen geretteten Menschen im Vordergrund. Deshalb versucht Ärzte ohne Grenzen, die geretteten Menschen so schnell wie möglich im nächstgelegenen sicheren Hafen an Land zu bringen. 

Die medizinischen Teams von Ärzte ohne Grenzen haben an Bord von Rettungsschiffen im Mittelmeer bislang vor allem Gesundheitsprobleme behandelt, die mit der Überfahrt in überfüllten Booten zusammenhängen. Dazu gehören Unterkühlung, Verätzungen durch ein Gemisch aus Salzwasser und Treibstoff, gebrochene Gliedmaßen, bis hin zur Behandlung von Patient:innen, die beinahe ertrunken wären. Darüber hinaus sehen unsere Teams häufig die Folgen schlechter Hygienebedingungen, denen Geflüchtete und Migrant:innen auf der Flucht oder in Internierungslagern in Libyen ausgesetzt sind. Zudem stellen sie sehr oft Verletzungen durch Gewalt, etwa Schuss- oder Stichverletzungen, Knochenbrüche oder infizierte oder schlecht verheilte Wunden als Folge eines sehr eingeschränkten Zugangs zu Gesundheitsversorgung fest. In manchen Fällen behandeln sie chronische Erkrankungen oder Komplikationen, die mit Diabetes oder Mangelernährung zusammenhängen. Unter den Geretteten befinden sich viele Schwangere und kleine Kinder, deshalb ist eine Hebamme Teil des Teams.

Europäische Staaten und libysche Seebehörden haben wiederholt versagt, Menschen zu retten, die versuchen das Mittelmeer zu überqueren und dabei in Not geraten. Die Präsenz von Ärzte ohne Grenzen im zentralen Mittelmeer ist das direkte Ergebnis des beschämenden Rückzugs der europäischen Such- und Rettungskapazitäten.   

Die Küstenstaaten Italien und Malta missachten ihre Verpflichtung zur Hilfeleistung für Boote in Seenot. Männer, Frauen und Kinder treiben stunden- oder sogar tagelang auf dem Meer und laufen dort Gefahr, zu verdursten oder zu ertrinken. Gleichzeitig kreisen EU-Grenzschutzflugzeuge über ihnen. Diese informieren aber keine nahegelegenen Schiffe, die den schutzlosen Menschen helfen könnten.   

Ärzte ohne Grenzen fordert Italien, Malta und alle europäischen Mitgliedsstaaten auf, eine staatlich geführte, engagierte und proaktive Such- und Rettungskapazität im zentralen Mittelmeer sicherzustellen. Außerdem muss für eine schnelle und angemessene Reaktion auf alle Notrufe sowie eine vorhersehbare Überführung von Überlebenden an einen sicheren Ort gesorgt werden.   

Lesen Sie mehr über den Italien-Libyen-Deal

Ärzte ohne Grenzen ist eine humanitäre Hilfsorganisation und handelt nach den Prinzipien der medizinischen Ethik. Daher können wir die Situation auf dem Mittelmeer nicht ignorieren. Wir fühlen uns den Menschen in Not verpflichtet, die im Mittelmeer zu ertrinken drohen. Deren Ertrinken zu verhindern ist in erster Linie eine Aufgabe der Politik. Weil dies nicht geschieht, fordern wir die EU dazu auf, eine humane Flüchtlings- und Asylpolitik umzusetzen, ihre Politik der Ausgrenzung und Kriminalisierung zu beenden und Seenotrettung zu betreiben. Doch ganz unabhängig von der politischen Meinung, die Menschen zu diesem Thema haben können, sind es zwingende humanitäre Gründe, die gebieten, Leben auf dem Mittelmeer zu retten.

Bericht: Niemand kam uns zu Hilfe

2023 ist das tödlichste Jahr seit 2017 - auf dieser Migrationsroute. Im neuen Bericht "No one came to our rescue" („Niemand kam uns zu Hilfe“) zeigen wir die gewaltsamen Praktiken an Europas Grenzen und die bewusste Untätigkeit der europäischen Staaten, die zu noch mehr Todesfällen im Mittelmeer geführt haben.

Fragen zu Flucht und Fluchtrouten

Es sind nicht die Rettungsschiffe, die Menschen als angeblicher „Pull-Faktor“ zur Flucht über das Meer treiben. Es sind vielmehr die „Push-Faktoren“ wie Konflikte, extreme Armut und Ungleichheit, die Millionen Menschen dazu bringen, anderswo Schutz zu suchen. Über das Mittelmeer fliehen die Menschen seit mehr als einem Jahrzehnt. Inzwischen sind es der militärische Konflikt sowie Gewalt und willkürliche Inhaftierung, mit denen Migrant:innen, Geflüchtete und Asylsuchende in Libyen konfrontiert werden, die sie verzweifelt die gefährliche Mittelmeerüberquerung versuchen lassen. Viele der Menschen, die wir in den vergangenen Jahren gerettet haben, haben unseren Mitarbeiter:innen gesagt: Lieber sterbe ich auf dem Meer, als in Libyen zu bleiben.   

Selbst wenn keine Rettungsschiffe im Einsatz sind, riskieren Menschen ihr Leben und versuchen, das zentrale Mittelmeer in unsicheren Schlauch- oder Holzbooten zu überqueren. Im ersten Halbjahr 2020 haben viermal so viele Menschen versucht, über das Mittelmeer aus Libyen zu fliehen wie im gleichen Zeitraum des Vorjahres – obwohl fast keine Such- und Rettungsschiffe im Einsatz waren. Der Großteil der Menschen, die an der Küste Nordafrikas von Land gegangen sind, hat es nicht nach Europa geschafft.

Für verzweifelte Menschen bleiben Schlepper:innen trotz aller Kosten und Gefahren die einzig verbliebene Option. Schleusen ist ein Geschäft, das die Not der Menschen ausnutzt. Es ist nur ein Symptom des Problems, aber nicht die Ursache. Solange es keine legalen Fluchtwege gibt, wird es auch weiter Schlepperaktivitäten geben, unabhängig von Such- und Rettungsaktionen. Vielmehr profitiert das Geschäft der Schlepper von einer restriktiven Migrationspolitik der EU, die keine legalen Wege nach Europa zulässt.

Libyen kann nach internationalem und maritimem Recht nicht als sicherer Ort für aus dem Meer gerettete Menschen angesehen werden.   

Wie Ärzte ohne Grenzen seit Jahren in Libyen beobachten konnte, sind Migrant:innen und Geflüchtete weiterhin Misshandlungen, Ausbeutung und willkürlicher Gewalt ausgesetzt. Ärzte ohne Grenzen hat zahlreiche gewaltbedingte Verletzungen behandelt: darunter Frakturen, Traumata durch stumpfe Gegenstände, Schürfwunden, Augenverletzungen, Schusswunden und Gliederschwäche. Viele dieser Verletzungen sind erst kürzlich entstanden, was darauf hindeutet, dass sie in den Haftanstalten zugefügt wurden.  

Die meisten der zurückgeschickten Personen landen zwangsweise und auf unbestimmte Zeit in diesen gefährlichen Internierungslagern, die durch Verweigerung des Zugangs zu medizinischer Versorgung geprägt sind. Hinzu kommt der Entzug von Nahrung und Wasser sowie Überbelegung und wenig Gelegenheit zur Aufrechterhaltung des Mindestabstands im Kontext einer globalen Pandemie. 

Das Schicksal der Menschen, die nach Libyen zurückgebracht werden, ist oft ungewiss. Von vielen fehlt jede Spur, andere werden in überfüllte Internierungszentren gebracht, wo sie unter menschenunwürdigen Bedingungen und ohne Rechtsschutz festgehalten werden. Dort sind sie Gewalt und schlechten Hygienebedingungen ausgesetzt, haben keinen Zugang zu Nahrungsmitteln oder Wasser. Die Lage in Libyen ist durch anhaltende Kämpfe und große Unsicherheit gekennzeichnet.
 

Laut Internationalem Seerecht und internationalen Menschenrechtskonventionen müssen Gerettete in den nächsten sicheren Hafen gebracht werden. „Sicher“ bedeutet, dass in dem Land, in dem der Hafen liegt, die Sicherheit und Unversehrtheit der Menschen sowie grundlegende Menschenrechte und der in zahlreichen internationalen Abkommen festgelegte Grundsatz des Non-Refoulement gewährleistet sind. Dazu gehört auch ein funktionierendes Asylsystem. Geflüchtete müssen nach internationalem Flüchtlingsrecht Asyl beantragen können. Sie dürfen nicht in ihr Herkunftsland oder in das Land, aus dem sie geflohen sind, zurückgebracht werden.

Weder Tunesien noch ein anderes nordafrikanisches Land erfüllen zum gegenwärtigen Zeitpunkt diese Voraussetzungen.
 

Grenzschließungen und das Fehlen von legalen Optionen haben dazu geführt, dass immer mehr schutzsuchende Menschen sich immer größeren Gefahren aussetzen. Dazu gehört, dass sie die Flucht über das Meer versuchen – in unsicheren Booten und unter inakzeptablen Bedingungen. Der einzige Weg, um das zu verhindern, ist das Schaffen von sicheren und legalen Alternativen wie beispielsweise Umsiedlung im Rahmen des UNHCR (Resettlement), humanitäre Visa, Familienzusammenführung, Arbeitserlaubnisse für Saisonarbeiter oder Visa für Studierende. 

Die Gründe dafür, warum Menschen ihr Land verlassen, sind sehr komplex. Allerdings riskiert niemand sein Leben und manchmal auch das Leben seiner Kinder, wenn er für sich eine Bleibeperspektive sieht. Viele der Menschen auf den Booten können nicht schwimmen und besitzen keine Rettungswesten, und sind so in akuter Lebensgefahr.

Ärzte ohne Grenzen arbeitet derzeit in rund 70 Ländern weltweit. Darunter sind auch viele Länder, aus denen die Menschen stammen, die über das Mittelmeer fliehen. Genauso sind Länder darunter, in denen die Menschen erste Zuflucht finden, über die sie weiterreisen oder in denen ihre Reise nach Europa endet. Die Einsätze von Ärzte ohne Grenzen in diesen Ländern werden fortgeführt. Die Menschen, die über das Mittelmeer fliehen, brauchen ebenso medizinische Hilfe.

Es wird immer mehr zur gängigen Praxis, dass die italienischen und maltesischen Behörden, unterstützt durch andere europäische Staaten, Seenotrettungen systematisch verzögern oder verweigern. Männer, Frauen und Kinder treiben stunden- oder sogar tagelang auf dem Meer. Dort laufen sie Gefahr, zu verdursten oder zu ertrinken. Gleichzeitig kreisen EU-Grenzschutzflugzeuge über ihnen, ohne nahegelegene Schiffe, die den schutzlosen Menschen helfen könnten, über die Seenotfälle zu informieren.

Die EU-Kommission lässt unter dem Vorwand der „Schlepperbekämpfung“ den einzelnen Staaten und Schifffahrtsbehörden freie Hand dabei, Menschen mit allen Mitteln davon abzuhalten, nach Europa zu gelangen – obwohl dies eindeutig gegen internationales und humanitäres Recht verstößt.

Es gibt auch zunehmend Berichte über koordinierte Zurückweisung von in Seenot geratenen Booten, an denen die europäischen maritimen Koordinationszentren beteiligt gewesen seien. Die Berichte besagen, dass Menschen, die im maltesischen Such- und Rettungsgebiet gerettet wurden, illegal an die libysche Küstenwache übergeben wurden.
 

Wir setzen uns dafür ein, dass jeder Mensch ein Recht darauf hat, menschlich behandelt zu werden – unabhängig von der Frage, weshalb er oder sie seine Heimat verlassen hat. Laut internationalem Flüchtlingsrecht hat jeder Mensch das Recht, sein Heimatland zu verlassen, um Schutz zu suchen und Asyl zu beantragen. Die Staatengemeinschaft hat sich mit den entsprechenden Gesetzen darauf geeinigt, dass Menschen nicht kriminalisiert werden, wenn sie in einem anderen Land Schutz suchen. Asylsuchende müssen daher die Möglichkeit bekommen, legal Grenzen überqueren zu können, ohne dabei ihr Leben aufs Spiel zu setzen wie bei der Überquerung des Mittelmeers.

Es gibt verschiedene Formen von sicheren und legalen Wegen nach Europa, beispielsweise Resettlement (Umsiedlung im Rahmen des Flüchtlingswerks der Vereinten Nationen - UNHCR), humanitäre Visa, Familienzusammenführung, Arbeitserlaubnisse für Saisonarbeiter oder Visa für Studierende. Den Staats- und Regierungschefs der EU wurden vom UNHCR und anderen Migrations- und Asylexperten umfassende Vorschläge unterbreitet. Die EU muss dringend anfangen, eine humane Migrations- und Asylpolitik zu erarbeiten und umzusetzen.
 

Fragen zu unserem Rettungsschiff Geo Barents

Ärzte ohne Grenzen hat 2021 begonnen, ein eigenes Schiff zu chartern, um unabhängig operieren zu können - die Geo Barents. Wir retten damit Menschen, die in Lebensgefahr sind und versorgen sie medizinisch. Indem wir über ein eigenes Schiff verfügen, können wir rasch handeln, wo es notwendig ist.
Schon in den Jahren zuvor - seit 2015 - waren wir mit Schiffen im Mittelmeer im Einsatz, teilweise in Partnerschaft mit anderen Organisationen.

 

Das Schiff ist Eigentum der norwegischen Firma Uksnøy.  

Das Schiff wurde auf den Namen Geo Barents getauft, nachdem es ursprünglich für seismische Forschungsaktivitäten gebaut wurde. Die Geo Barents ist ein Forschungs-/Vermessungsschiff, das im Jahr 2007 gebaut wurde und folglich so modifiziert wurde, dass es jetzt als Rettungsschiff eingesetzt werden kann.   

Die Geo Barents wurde entsprechend den Anforderungen von Such- und Rettungseinsätzen umgebaut und hat eine Länge von 76,95 Metern. Sie hat zwei Decks für Überlebende, eines für Männer und eines für Frauen und Kinder. An Bord befindet sich außerdem eine Klinik, ein Zimmer für gynäkologische Untersuchungen und ein Beobachtungsraum für alle medizinischen Aktivitäten. Es gibt zudem zwei schnelle Festrumpfschlauchboote (RHIBS), mit denen Rettungseinsätze durchgeführt werden können. Unsere Teams stehen bereit, um erste medizinische Hilfe zu leisten und Hilfsgüter zu verteilen.

Da die Geo Barents ein norwegisches Schiff ist, das im norwegischen internationalen Schiffsregister (NIS) registriert ist, fährt sie folglich unter norwegischer Flagge.   

Nach internationalem Seerecht ist eine Rettung erst dann abgeschlossen, wenn die geretteten Personen an einem sicheren Ort an Land gebracht werden. Die Verantwortung für die Zuweisung eines sicheren Ortes liegt bei der koordinierenden Such- und Rettungsbehörde sowie den unmittelbaren Nachbarstaaten, nicht beim Flaggenstaat. Im Jahr 2017 wurde ein großer Teil des zentralen Mittelmeers in die Verantwortung der libyschen Gemeinsamen Rettungsleitstelle (JRCC) gegeben. Da Libyen jedoch nicht die Kriterien erfüllt, um als sicherer Ort für die Ausschiffung von auf See geretteten Personen benannt zu werden, sind SAR-Schiffe verpflichtet, beim nächstgelegenen Koordinationszentrum (MRCC) einen sicheren Ort anzufragen.   

Immer wieder müssen schutzbedürftige Menschen wochenlang auf dem Meer ausharren, während verhandelt wird, welchen Hafen das Schiff anlaufen darf. In solch einer Situation bittet Ärzte ohne Grenzen unseren Flaggenstaat zu intervenieren und dabei zu helfen, eine rasche Ausschiffung am nächstgelegenen sicheren Ort auszuhandeln. 

2015 war Ärzte ohne Grenzen auf den drei Rettungsschiffen Dignity I, Bourbon Argos und Phoenix (in Zusammenarbeit mit MOAS) auf dem Mittelmeer im Einsatz, 2016 mit Dignity I, Bourbon Argos und Aquarius (in Zusammenarbeit mit SOS MEDITERRANEE). 2017 wurde neben der Aquarius das Boot Prudence von März bis Oktober 2017 eingesetzt. Den Einsatz mit der Aquarius mussten wir gezwungenermaßen im Dezember 2018 beenden. Dem waren fadenscheinige Anschuldigungen und eine Blockadehaltung verschiedener europäischer Regierungen gegenüber privater Seenotrettung vorausgegangen. Ab Juli 2019 bis Anfang 2020 war Ärzte ohne Grenzen zusammen mit SOS MEDITERRANEE auf der Ocean Viking im Einsatz. Im April 2020 endete die Zusammenarbeit. Von August 2020 bis März 2021 leisteten wir auf dem von der Organisation Sea-Watch betriebenen Schiff Sea-Watch 4 lebensrettende Hilfe.

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