13.06.2024
Nachdem ein Verwandter versucht sie zu vergewaltigen, beschließt Janice*, von Kamerun nach Europa zu flüchten. Was sie auf ihrer Flucht alles erleben muss, teilt Janice in diesem Blog. Triggerwarnung: Dieser Text enthält Schilderungen sexueller Gewalt.

Ich stamme aus einer sehr armen Familie. Meine Mutter hatte in dem Dorf, in dem wir lebten, keine Arbeit. Mein Vater war krank. Um meine Familie zu unterstützen, zog ich mit 13 Jahren in die Hauptstadt und arbeitete dort als Dienstmädchen bei meiner Tante. 

Als ich 15 war, versuchte der Ehemann meiner Tante, mich sexuell zu missbrauchen. Ich konnte ihn davon abhalten. Aber ich erzählte meiner Tante, dass er nachts in mein Zimmer kam und versuchte, mit mir Sex zu haben. Meine Tante glaubte mir nicht. Sie dachte, ich würde versuchen, ihn zu verführen. Sie gab mir etwas Geld und setzte mich am Busbahnhof ab, damit ich zurück ins Dorf fahren konnte. 

Die Entscheidung nach Europa zu gehen

Meine Tante sagte mir, dass mein Platz im Dorf sei und nirgendwo sonst. Da traf ich die Entscheidung, nach Europa zu gehen. Ich sagte niemandem etwas davon. Ich schaffte es, mit dem wenigen Geld, das ich hatte, nach Nigeria zu kommen.  

Als ich ankam, schlief ich unter Lastwägen und Bussen. Ich hatte kein Geld. Ich hatte eine Halskette und ein Handy. Beides musste ich verkaufen, um etwas Geld zu bekommen und meine Reise fortzusetzen. 

Ich schaffte es bis zur Grenze zu Niger. Dort wurde ich von der Polizei zurückgeschickt. Sie sagten dem Fahrer, der mich mitnahm, dass sie ihn ins Gefängnis stecken würden, sollten wir die Grenze überqueren.  

Er setzte mich in der Nähe der Grenze ab und sagte, er würde zurückkommen. Aber er kam nie wieder. 

Ich wartete stundenlang, bis zwei Männer in einem anderen Auto anhielten. Sie boten mir an, mich nach Niger zu bringen. Ich sagte ihnen, dass ich sie nicht bezahlen könne.  

Sie sagten, wenn ich mit ihnen schlafe, könnten sie mich ohne Geld mitnehmen. Ich hatte keine andere Wahl.

Als ich in Niger ankam, schlief ich zwei Monate lang auf der Straße und unter Lastwagen. Dann traf ich einen anderen Mann. Er sagte mir, dass er mich weiter ins Land bringen könnte. Er sagte, er wolle mir helfen und verlangte kein Geld. Er nahm mich in seinem Auto mit, zusammen mit einem Freund. Nachts begannen sie, mich zu berühren. Ich sagte ihnen: „Nein, nein, nein”, und bat sie, mich auf der Straße zurückzulassen. Sie weigerten sich und zogen ein Messer, sodass ich wieder keine andere Wahl hatte.  

Durch die Wüste

Als ich die nächste Stadt erreichte, blieb ich dort acht Monate lang und arbeitete in einem Restaurant, um etwas Geld für meine Weiterreise zu verdienen. Die Bedingung für diesen Job war, mit dem Restaurantbesitzer zu schlafen. 

Mit dem Geld, das ich gespart hatte, konnte ich meine Reise fortsetzen.  

Ich wurde mit anderen Leuten in ein Zimmer gesteckt, darunter auch Kinder. Wir blieben dort eine Woche lang. Dann holte uns ein Auto ab und wir fuhren durch die Wüste. Das Auto setzte uns irgendwo mitten in der Wüste ab, wo wir sechs Tage blieben. Das einzige Essen, das wir hatten, waren ein paar Kekse. Das einzige Wasser, das wir hatten, war in Kanistern, in denen vorher Benzin war. Dann kam ein anderes Auto und brachte uns nach Libyen. 

Ein Mann kauft mich

Als wir in Libyen ankamen, wurden wir drei Monate lang in einem Haus festgehalten.

Ab und zu kamen Männer und nahmen Frauen mit, um sie zu vergewaltigen. So wurde ich schwanger. 

Eines Tages kam ein anderer Mann ins Haus und kaufte mich. So etwas passiert oft. Leute kommen ins Haus und wenn sie jemanden sehen, der ihnen gefällt, bezahlen sie Geld und nehmen die Person mit.  

Der Mann, Mazin*, behandelte mich recht gut. Ich erzählte ihm von meiner Vergangenheit und wir fanden heraus, dass ich bereits schwanger war. Wir lebten zusammen und er behandelte mich wie seine Frau. Er fragte er mich, ob ich das Baby behalten wolle. Ich sagte ja, weil ich nicht wusste, ob Gott mir in Zukunft noch ein Baby schenken würde. 

Fluchtversuch über das Mittemeer

Als ich im siebten Monat schwanger war, versuchte ich, das Mittelmeer zu überqueren. Viele Menschen wurden auf zwei kleine Boote verteilt. Ein Boot fuhr los, aber unser Boot wurde von der libyschen Polizei am Strand gestoppt, bevor wir in See gestochen waren.  

Einige Tage später erfuhren wir, dass das erste Boot gesunken war und alle ertrunken waren. 

Wir lebten in einem Haus, das, wie ich glaube, als Bordell genutzt wurde. 

Mazin half bei diesem Geschäft mit. Wenn es nicht genug Frauen für die Kunden gab, ging er los und suchte welche. Eines Tages führte die Polizei eine Razzia in der Wohnung durch und verhaftete Mazin. Er wurde für einige Zeit ins Gefängnis gesteckt. Dann zahlte er der Polizei etwas Geld, und sie ließen ihn gehen.  

Mein Baby kommt zur Welt

Nachdem Mazin entlassen wurde, war ich hochschwanger. Als ich den kleinen Mazin*, zur Welt brachte, wurde er nicht registriert. Ich hatte keine Papiere und wir konnten nicht beweisen, wer der Vater war. Jedes Mal, wenn ich mit ihm ausging, hielt mich die Polizei an und stellte hartnäckige Fragen, wer der Vater sei.  

Ich hatte Angst, weil sie nicht glaubten, dass Mazin mein Kind war. Deswegen beschloss ich, nicht mehr aus dem Haus zu gehen. 

Lieber ertrinken als in Libyen zu bleiben

Ich wusste, dass ich lieber auf dem Meeresgrund wäre als in Libyen zu bleiben, selbst mit Mazin. Ich versuchte ein zweites Mal, das Meer zu überqueren – diesmal mit Mazin. Er ist der Grund, warum ich noch lebe. Mazin ist das Wichtigste in meinem Leben. Ich habe keine Angst vor dem Tod, aber wenn ihm etwas zustoßen würde, könnte ich das nicht verkraften. 

Jetzt will ich unbedingt meiner Mutter helfen. Meine Mutter ist die dritte Frau meines Vaters. Sie ist sehr arm. Ich möchte etwas Geld sammeln und es ihr schicken, damit sie ihr eigenes kleines Unternehmen gründen kann. 

 

Janice und ihr Sohn Mazin werden bei ihrem zweiten Versuch, das Mittelmeer zu durchqueren, von unserem Team gerettet und an Bord der Geo Barents gebracht. Janice ist gerade mal 23 Jahre alt.    

*Anmerkung: Alle Namen wurden zum Schutz der handelnden Personen geändert.