Kommentar von Diyani Dewasurendra
23.04.2025
Infektiologin Diyani Dewasurendra ist gerade auf Einsatz im Südsudan, als erste Cholera-Fälle ins Krankenhaus kommen. Jetzt heißt es: Schnell handeln!

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Jede Epidemie beginnt mit einem Verdacht – ein plötzlicher Anstieg von Erkrankungen, Symptome, die sich häufen, erste schwer erkrankte Patient:innen. In Krisengebieten können sich Infektionskrankheiten rasend schnell ausbreiten. Bei der Eindämmung solcher Krankheiten zählt jede Minute. Vor allem in den ersten 72 Stunden müssen wir schnell und strategisch handeln, um Leben zu retten und eine Katastrophe zu verhindern. 

2023 bin ich gerade auf Einsatz in Malakal, im Südsudan, als eine Cholera-Epidemie ausbricht ...  

Stunde 0–12: Verdacht und erste Maßnahmen

In unserem Krankenhaus in Malakal kommen innerhalb kurzer Zeit ungewöhnlich viele Kinder mit starkem Durchfall an. In einer Region mit unsicherer Wasserversorgung ist das ein Alarmsignal. Außerdem haben wir gerade März - den letzten Monat der Trockenzeit. Seit November hat es kaum geregnet und viele Wasserquellen sind versiegt. Im Durchschnitt gibt es zwischen November und März in dieser Region keinen einzigen Regentag. 

Wir wissen, dass Cholera eine Möglichkeit ist, aber wir müssen sicher sein. 

Deshalb nehmen wir Proben und schicken sie ins Labor. Parallel beginnen wir mit der Überwachung der Fallzahlen. Sobald die ersten Testergebnisse positiv auf Cholera zurückkommen, müssen wir schnell handeln. Ein Ausbruch ist offiziell bestätigt – jetzt zählt jede Minute. 

In einer Region, in der viele Menschen keinen Zugang zu sauberem Wasser haben, kann eine solche Krankheit schnell eskalieren. Besonders gefährlich ist, dass die einzige Wasserquelle oft ein Fluss ist – derselbe Fluss, in dem sich Tiere abkühlen, in dem sich Menschen waschen und aus dem sie trinken. Die Verunreinigung mit Keimen kann in solchen Situationen katastrophale Folgen haben.

Stunde 12–24: Isolierung und Schutzmaßnahmen

Das wichtigste Ziel ist es, die weitere Ausbreitung zu stoppen. Im Krankenhaus richten wir sofort eine Isolierstation ein. In Malakal ist das besonders herausfordernd, weil wir bereits eine separate Isolierstation für Masern haben. Wir müssen sicherstellen, dass die beiden hochansteckenden Krankheiten nicht in Kontakt kommen und auch andere Patient:innen vor Infektionen geschützt werden. 

Gleichzeitig beginnen wir mit Präventionsmaßnahmen: Wir installieren zusätzliche Waschanlagen und klären die Bevölkerung darüber auf, wie wichtig Hygiene und Händewaschen sind.  

Unsere Gesundheitshelfer:innen gehen in die umliegenden Gemeinden, um zu erklären, wie die ersten Symptome aussehen und wann eine Behandlung notwendig wird. Cholera ist eine schwere Durchfallerkrankung. Solche Krankheiten sind besonders für kleine Kinder lebensbedrohlich. Eine Infektion ist behandelbar, kann aber innerhalb weniger Stunden zum Tod führen.

Stunde 24–48: Behandlung von Patient:innen und Quelle der Epidemie finden

Während wir die ersten Patient:innen behandeln, analysieren wir die Wasserversorgung. In vielen Regionen Südsudans gibt es keine Brunnen oder Pumpen – die Menschen holen ihr Wasser aus Flüssen oder Tümpeln. Die sind aber oft verunreinigt. 

Ich erinnere mich an eine Situation, in der ein großes Rindersterben stattfand und hunderte Kadaver am Ufer lagen. Doch die Menschen hatten keine Wahl: Sie mussten weiterhin Wasser aus dem Fluss trinken. Vielen war nicht bewusst, dass dieses Wasser gefährlich sein könnte. 

Gemeinsam mit der WHO und anderen Partner:innen testen wir die Wasserqualität und untersuchen mögliche Infektionsquellen. Wir wissen, dass wir nicht nur die Krankheit selbst behandeln können – wir müssen verhindern, dass sich noch mehr Menschen infizieren.  

Deshalb starten wir mit der Bereitstellung von sauberem Wasser. In einigen Dörfern setzen wir zusätzlich Kohlefilter oder Chlorbehandlungen ein, um die Wasserversorgung langfristig zu verbessern. Außerdem installieren wir sanitäre Einrichtungen wie Toiletten. 

Stunde 48–72: Impfkampagne und Epidemie-Kontrolle

Jetzt geht es darum, die Epidemie nicht nur zu verlangsamen, sondern langfristig unter Kontrolle zu bringen. Neben der Behandlung der Erkrankten ist die nächste große Maßnahme die Impfung. Cholera kann mit einer oralen Impfung eingedämmt werden – ein entscheidender Vorteil, da wir damit große Gruppen schnell und effizient impfen können. 

Bevor wir jedoch mit der Impfung der Bevölkerung beginnen, müssen wir unser medizinisches Personal schützen. Ärzt:innen, Pflegekräfte und Helfer:innen sind in direktem Kontakt mit Infizierten – eine Impfung ist für sie überlebenswichtig. Erst danach starten wir die großflächige Impfkampagne für die betroffene Bevölkerung. 

Auch Aufklärung spielt eine entscheidende Rolle: Viele Menschen in Krisengebieten stehen Impfungen nicht grundsätzlich skeptisch gegenüber, aber sie wissen oft nicht, dass es überhaupt eine gibt. Sobald wir den ersten Gruppen erklären, warum die Impfung hilft, steigt die Akzeptanz rapide. 

Schnelles Handeln rettet Leben

Die ersten 72 Stunden einer Epidemie entscheiden darüber, ob sie eingedämmt oder zu einer Katastrophe wird. Im Fall des Cholera Ausbruchs 2023 in konnten wir schnell genug reagieren und die Fallzahlen auf 1.471 begrenzen. Nach 90 Tagen, am 16. Mai 2023, konnte die Epidemie für beendet erklärt werden. 

Dieser Ausbruch hat wieder einmal gezeigt, wie wichtig Diagnose, Isolierung, Identifikation der Infektionsquelle und schnelle Impfmaßnahmen sind. All diese Schritte sind entscheidend, um Leben zu retten. 

In Krisengebieten arbeiten wir unter schwierigsten Bedingungen, doch der Zugang zu Impfungen gibt uns eine der wirksamsten Maßnahmen im Kampf gegen Epidemien. Gleichzeitig dürfen wir nicht vergessen, dass langfristige Lösungen – wie der Zugang zu sauberem Wasser – genauso wichtig sind, um zukünftige Ausbrüche zu verhindern. 

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