5 Dinge, die wir beim COVID-19-Einsatz in Brasilien gelernt haben

02.11.2021
Der COVID-19-Einsatz in Brasilien stellte uns vor unerwartete Herausforderungen. Hier sind 5 Dinge, die wir dabei gelernt haben.

Themengebiete:

Anfang des Jahres erlebte Brasilien seine dramatischsten Momente der COVID-19-Pandemie. Der starke Anstieg der Anzahl an Patient:innen in Manaus, der Hauptstadt des Bundesstaates Amazonas, führte zu einem Sauerstoffengpass. Der steigende Bedarf konnte nicht mehr gedeckt werden. Viele Patient:innen erstickten. Die Tragödie wurde zu einem Symbol für die fehlende Strategie der brasilianischen Behörden seit Beginn der Pandemie.

MSF response to COVID-19 in Ji-Paraná - Rondônia
Diego Baravelli
Eine COVID-19-Patientin wird untersucht.

Selbst unsere erfahrensten Mitarbeiter:innen zeigten sich überrascht über die Geschwindigkeit, mit der sich die Krise ausbreitete. So schnell wie möglich wurde ein Notfallteam in Manaus mobilisiert. Außerdem unterstützte zusätzliches medizinisches Personal von Ärzte ohne Grenzen die unterbesetzten lokalen Gesundheitseinrichtungen. 

Schon zu Beginn der COVID-19-Pandemie unterstützten unsere Teams im April 2020 Obdachlose in Sao Paolo, die keine Zuflucht hatten. In den folgenden anderthalb Jahren entwickelte sich unser Corona-Einsatz zum größten Einsatz in der 30-jährigen Geschichte von Ärzte ohne Grenzen in Brasilien. Ein Einsatz, der uns vor viele neue und unerwartete Herausforderungen stellte.

Hier ist, was wir aus dem COVID-19-Einsatz in Brasilien gelernt haben: 

1. Antwort auf COVID-19 muss in Gemeinden beginnen, nicht auf Intensivstationen

Brasilien hat ein gutes öffentliches Gesundheitssystem und konnte auf vergangene Gesundheitskrisen meist gut und schnell reagieren. Angesichts der Größe des Landes und der regionalen Unterschiede stand es diesmal jedoch vor enormen Herausforderungen. Als die Zahl der Fälle und Todesfälle weiter anstieg, wurde deutlich, dass es Brasilien an einer kohärenten und koordinierten Antwort auf die Pandemie fehlte. Das wurde dem Land schnell zum Verhängnis. 

Die Art und Weise, wie diese Krise bewältigt wurde, führte zu einer langen Liste verpasster Gelegenheiten: Die Sauerstoffkrise in Manaus war das grausame Ergebnis. Schon lange davor wurde viel versäumt. Selbst die Regierung verharmloste das Virus und verzichtete auf Masken, räumliche Distanzierung und Maßnahmen zur Einschränkung von Aktivitäten.

2. „Fake-News“ sind gesundheitsgefährdend

Viele Entscheidungsträger:innen, allen voran die brasilianische Bundesregierung, unterstützten die Verschreibung des so genannten "Kit-COVID", einer Kombination unwirksamer Medikamente. Unsere Teams sahen aus erster Hand, welchen Schaden dieses Kit den Patient:innen zufügte. Viele Menschen, die das Kit-COVID benutzten, suchten erst dann eine angemessene medizinische Versorgung auf, wenn ihr Zustand bereits kritisch war und nicht mehr viel für sie getan werden konnte.

3. Es hilft, Wissen aus vorherigen Epidemien weiterzugeben

Home visit at indigenous village Limao Verde
Diego Baravelli/MSF
Unsere Teams führen Hausbesuche in entlegenen Gegenden durch, um möglichst viele Menschen zu erreichen.

Trotz Herausforderungen wie „Fake-News“ machten wir weiter und versuchten, etwas zu bewirken. Angesichts der begrenzten Ressourcen und Mitarbeiter:innen war es wichtig, dass unsere Teams die Wirkung ihrer Arbeit so weit wie möglich verstärkten. Viele unserer Ressourcen flossen daher in die Schulung von einheimischem Gesundheitspersonal. Unsere Teams gaben die Erfahrungen mit vergangenen Epidemien auf der ganzen Welt, insbesondere im Bereich der Infektionsprävention und -bekämpfung, weiter. So war das Personal besser gerüstet, um dieses Wissen auch in ihren Gemeinden weiterzugeben und damit zu helfen.

4. Auch das Gesundheitspersonal muss betreut werden

Neben der fachlichen Kompetenz des Gesundheitspersonals darf dessen psychologischer Zustand in einer Pandemie nicht vergessen werden. Unsere Teams kümmerten sich um die erschöpften Mitarbeiter:innen des Gesundheitswesens, die mit der emotionalen Last der vielen täglichen Todesfälle zu kämpfen hatten. Das Wissen, dass auch sie die Krankheit von der Arbeit mit nach Hause zu ihren Familien nehmen könnten, machte ihre Arbeit zusätzlich nicht einfacher. 

Unsere Psycholog:innen boten psychologische Beratungen und Behandlungen an und organisierten Schulungen für lokale Psycholog:innen, die dieses Wissen wiederum weitergeben konnten.
 

Caring for isolated communities in Portel
Mariana Abdalla/MSF
Gesundheitsaufklärung in entlegenen Gegenden in Portel.

5. Einbindung der Bevölkerung ist Schlüssel zum Erfolg

Der letzte Punkt ist zugleich der wichtigste und in all unseren Einsätzen weltweit erkennbar. Der Erfolg im Umgang mit Gesundheitskrisen liegt vor allem daran, wie gesetzte Maßnahmen und Interventionen von der Bevölkerung mitgetragen werden. 

Auch in Brasilien - einem Land mit diversen Bevölkerungsgruppen - war die Einbindung der Bevölkerung ein besonders entscheidender Erfolgsfaktor. Wir suchten lokale Mitarbeiter:innen zur Gesundheitsaufklärung und Übersetzer:innen, die sich mit präzisen Gesundheitsbotschaften an ihre eigenen Gemeinden wenden konnten. Diese Botschaften wurden auch in die indigenen Sprachen übersetzt.
 

Unser COVID-19-Einsatz in Brasilien

In den vergangenen eineinhalb Jahren leiteten unsere Teams Projekte in zwölf brasilianischen Bundesstaaten und boten medizinische Versorgung und Hilfe für marginalisierte Bevölkerungsgruppen wie Migrant:innen, indigene Gruppen und Bewohner:innen verarmter oder abgelegener Gebiete an. Die Pandemie stellte unsere Teams vor viele neue Herausforderungen, auf die sie schnell reagieren mussten und aus denen sie lernen durften.

Jetzt unsere Teams unterstützen