Gaza: Ärzte ohne Grenzen verstärkt medizinische Teams

18.07.2014
Kurz vor Beginn der israelischen Bodenoffensive im Gazastreifen konnte am Donnerstag ein weiteres Team ach Gaza-Stadt einreisen.
Das chirurgische Team von Ärzte ohne Grenzen behandelt in Gaza-Stadt die 2-jährige Eshgen Karabi
Bruno Stevens/MSF
Gaza-Stadt, Palästinensische Gebiete, 27.01.2009: Das chirurgische Team von Ärzte ohne Grenzen behandelt in Gaza-Stadt die 2-jährige Eshgen Karabi - sie erlitt bei der Zerstörung ihres Wohnhauses während einer Militäroffensive im Jänner 2009 Verbrennungen zweiten Grades im Gesicht, am Nacken und am Oberkörper.

Kurz vor Beginn der israelischen Bodenoffensive im Gazastreifen konnte am Donnerstag ein weiteres Team von Ärzte ohne Grenzen nach Gaza-Stadt einreisen. Die Mitarbeiter weiten nun ihre medizinische Hilfe aus. Nach dem Ende der fünfstündigen Waffenruhe am Donnerstagnachmittag wurden die Teams in Gaza-Stadt Zeugen zahlreicher Explosionen in schneller Folge.

Vor Beginn der Offensive hatte sich den Mitarbeitern ein ganz anderes Bild geboten: Hupen, Staus, Straßenverkäufer mit Karren voller Melonen, Geschäfte mit bunten Fußbällen, Farbdosen oder Kinderfahrrädern, Bäckereien auf den Gehsteigen. Am 10. Tag der Militäroperation „Fels in der Brandung“ sah Gaza-Stadt so ganz anders aus als in den Tagen zuvor, als alle Geschäfte geschlossen hatten und die Straßen verlassen waren. 28 Patienten schafften es am Donnerstag in die Klinik von Ärzte ohne Grenzen in Gaza-Stadt, fast dreimal so viele wie in den Tagen zuvor. Mitarbeiter der Organisation konnten auch in Khan Junis und Rafah im Süden des Gazastreifens Wundverbände an Patienten verteilen.

„Durch die Waffenruhe konnten wir fast all unsere Patienten erreichen, die nach ihren Operationen Verbände wechseln lassen müssen und eine Nachbehandlung brauchen“, sagt Nicolas Palarus, Einsatzleiter von Ärzte ohne Grenzen in Gaza. „Die Waffenruhe war eine Atempause von fünf Stunden für die Bewohner von Gaza, aber das ändert nichts am Beschuss in den übrigen 19 Stunden des Tages.“

Am Eingang zum Gazastreifen

Nach einem guten Kilometer Fußmarsch durch einen vergitterten Korridor begrüßen einen am Eingang in den Gazastreifen die Ruinen eines zerstörten Hamas-Checkpoints. Leider entsteht dort der Eindruck, dass mehr Journalisten als humanitäre Helfer hineinkommen. „Unser Chirurg wurde an dem Checkpoint wegen Verzögerungen mit den Papieren aufgehalten, während TV-Teams schnell die Erlaubnis für ihre Tagesreise in den Gazastreifen bekamen“, beschreibt Palarus. Der ganze Hof des Al Shifa-Krankenhauses steht voller Kameras und Übertragungswagen mit großen Satellitenschüsseln, um Verletzte in der Notaufnahme zu filmen. Auch an der Grenze zu Ägypten ist der Zugang für humanitäre Helfer nicht besser. Der Grenzübergang Rafah ist meist geschlossen. Das trägt dazu bei, dass die Bevölkerung von Gaza weitgehend abgeschnitten ist, und es beschränkt den Zugang für humanitäre Helfer und Hilfsgüter.

Ärzte ohne Schlaf

Das zusätzliche Team von Ärzte ohne Grenzen wird die Mitarbeiter der palästinensischen Gesundheitsbehörden im Al Shifa-Krankenhaus unterstützen. Dorthin werden die meisten Verwundeten gebracht. Es ist das größte Krankenhaus in Gaza, mit etwa 250 Betten und acht OP-Sälen. Die chirurgischen Teams machen 24-Stunden-Schichten. Am Donnerstag war die Notaufnahme aber kaum mit ernsthaften Verletzungen beschäftigt. Ab etwa zwei Uhr nachmittags begannen dort alle, auf die Uhr zu schauen – der Countdown zum Ende der Waffenruhe hatte begonnen. Ein palästinensischer Chirurg vertraute unseren Mitarbeitern an, dass er sehr niedergeschlagen sei. Er erzählte die Geschichte eines kleinen Mädchens, das auf seine Station überwiesen worden war. Es hatte durch einen Luftangriff seine Mutter und seine Schwester verloren. Sein Vater und sein Bruder waren auf der Intensivstation, aber sie überlebten nicht. „Gestern hat sie laut geweint und nach ihrer Mutter und ihrer Schwester gerufen.“

Der Lärm des Krieges

Nachmittags dauerte es nicht sehr lange, bis der Lärm des Kriegs wieder begann: Das Heulen der Sirenen, das Rattern der Hubschrauber und das Summen der Drohnen, der Widerhall von Explosionen, meist weiter weg, manchmal näher. Mehr als 100 Raketen wurden aus Gaza abgefeuert, acht Palästinenser starben innerhalb weniger Stunden durch Luftangriffe. Und um halb zehn Uhr abends kam die Nachricht: Die Bodenoffensive hat begonnen.

Glücklicherweise hatten zu diesem Zeitpunkt die meisten Mitglieder des zusätzlichen Teams die Grenze in den Gazastreifen schon passiert. Der Chirurg soll so schnell wie möglich nachgeholt werden.