Kambodscha war ursprünglich nicht am Plan der Krankenschwester Helen Tindall. Doch auf Grund der extrem hohen Verbreitung von Tuberkulose wollte sie ihren dortigen Einsatz mit Ärzte ohne Grenzen nur ungern beenden – und hat ihn stattdessen sogar verlängert. Im Interview schildert sie die Herausforderungen bei ihrer Arbeit im Land mit der zweithöchsten Tuberkulose-Rate weltweit.
„Ich wollte immer nach Afrika. Sogar in meinem Bewerbungsgespräch gab ich Afrika als meine Priorität an“, erzählt Helen. „Als ich dann von Ärzte ohne Grenzen das Angebot für einen Einsatz in Kambodscha erhielt, überredete ich mich selbst dazu, diese Möglichkeit anzunehmen. Doch um ehrlich zu sein wäre es ohnehin keine Option gewesen, abzusagen.“
Extreme Armut und Mangel an Ressourcen
Helen ist seit Oktober 2013 als leitende Krankenschwester der Tuberkulose-Abteilung im Kampong Cham Provinz-Krankenhaus tätig. Während dieser Zeit war sie mit vielen Herausforderungen konfrontiert: „Die extreme Armut, der enorme Mangel an Ressourcen und so viele Menschen an vermeidbaren Krankheiten sterben zu sehen.“
Als leitende Krankenschwester war Helen sowohl für ambulante als auch stationäre Behandlungen verantwortlich. Letztere waren in zwei Bereiche aufgeteilt: Eine Station für bestätigte Tuberkulose-Fälle und eine zweite für Verdachtsfälle und Pädiatrie – Kinder wurden getrennt von den erwachsenen PatientInnen behandelt. „Ich war auch bei unserem Programm zur Behandlung von DR-TB involviert, der medikamentenresistenten Tuberkulose. Ein Großteil des Programms besteht mittlerweile aus Heimpflege“, erklärt sie. „Auch Aufklärung über Gesundheitsförderung war ein großer Bereich meiner Arbeit – in Schulen und Dörfer zu gehen und die Bevölkerung über Tuberkulose aufzuklären.“
Aufklärungsarbeit als wesentlicher Faktor
Auf Grund der enorm hohen Häufigkeit von Tuberkulose im Kambodscha – im Land mit der zweithöchsten Rate weltweit sind rund 800 von 100.000 Menschen infiziert – ist Aufklärungsarbeit ein kritischer und wesentlicher Faktor. „Die Prävalenz ist hier so hoch, dass so gut wie jeder etwas über Tuberkulose weiß. Doch dieses Wissen ist nur sehr begrenzt“, so Helen. „Die meisten sagen, ‘ja, wir haben von Tuberkulose gehört, wir wissen dass es mit Husten zu tun hat’ – aber das ist auch schon alles.”
Nachdem im Land große Armut herrscht, spielt auch Mangelernährung eine verheerende Rolle in Kambodscha. „Tuberkulose ist die Krankheit der Armen, und Mangelernährung steht damit in direktem Zusammenhang. Wenn die Menschen mangelernährt sind, wird ihr Immunsystem geschwächt. Wer zusätzlich auch noch an Tuberkulose erkrankt, isst weniger, und wird dadurch noch schwächer. Menschen mit rund 50kg wiegen dann nur mehr 35kg oder gar 30kg – und Kinder, die schwer beeinträchtigt sind, sehen 5 Jahre jünger aus, als sie tatsächlich sind“, beschreibt Helen die Situation der PatientInnen.
Ein Beispiel dafür ist ein 13-jähriger Junge, den Helen am Anfang ihres Einsatzes kennenlernte: „Ich konnte nicht glauben, dass er tatsächlich 13 Jahre alt war. Ich dachte, er wäre erst sieben – so mangelernährt war er bereits. Man konnte jeden einzelnen Atemzug sehen, seine Haut wurde zwischen den Rippenknochen eingesogen. Ich besuchte ihn eine Woche lang jeden Morgen, doch eines Tages war sein Bett leer. Er war zu schwach gewesen und gestorben. Es war ein echter Schock“, erinnert sich die Krankenschwester.
Kampf gegen ansteckende Krankheiten nicht vorbei
Die Armut und mangelnde Ressourcen machen auch deutlich, wie schwer der Kampf gegen ansteckende Krankheiten ist – deshalb darf auch der langsame aber stetige Anstieg von MDR-TB (multiresistenter Tuberkulose) nicht ignoriert werden, obwohl er noch nicht kritisch ist.
Auch die Therapiemöglichkeiten unterscheiden sich zwischen Industrie- und Entwicklungsländern: In entwickelten Ländern werden MDR-TB PatientInnen für sechs Monate oder länger in Isolation behandelt, bis im Körper keine Bakterien mehr nachweisbar sind – was von einem Labor bestätigt werden muss. „Hier in Kambodscha wird die Behandlung begonnen, sobald der klinische Zustand des Patienten stabil ist. Die Unterstützung während der Behandlung wird innerhalb der Gemeinden organisiert – man geht einfach nach Hause und bekommt den Hinweis, sich von seiner Familie fernzuhalten, nicht mit ihnen zu essen und nicht in ihrer Nähe zu schlafen.“
Einsatz gegen Tuberkulose geht weiter
Doch trotz dieser Herausforderungen geht die Suche und Behandlung von Tuberkulose-Erkrankten in Kambodscha weiter – und wird das auch zukünftig tun.
Auch die Arbeit von Helen wird in Kambodscha weitergehen. Trotz ihres ursprünglichen Wunsches, in Afrika zu arbeiten, hat sie um eine Verlängerung ihres Einsatzes gebeten. Ihre Anfrage wurde kürzlich genehmigt.
„Ich glaube, dass es in Anbetracht der Gesamtsituation von Tuberkulose in Kambodscha Hoffnung gibt. Im Jahr 2012 hat die Weltgesundheitsorganisation WHO bekannt gegeben, dass sich die Tuberkulose-Rate in Kambodscha während der vergangenen Dekade halbiert hat. Auch wenn hier noch immer eine der höchsten Raten weltweit herrscht, ist sie doch weiterhin rückläufig. Ich denke, dass das Engagement von Ärzte ohne Grenzen Teil dieses Erfolgs ist.“
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