Tuberkulose in der Ukraine: Haftinsassen besonders vernachlässigt

19.02.2014
Koordinatorin Paola Mermati über die Herausforderungen bei der Behandlung medikamentenresistenter Tuberkulose

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Eine Krankenschwester versucht einen Patienten mit medikamentenresistenter Tuberkulose zu überzeugen, seine tägliche Medikation weiter einzunehmen.
Alexander Glyadyelov/MSF
Donetsk, Ukraine, 04.11.2014: Eine Krankenschwester versucht einen Patienten mit medikamentenresistenter Tuberkulose zu überzeugen, seine tägliche Medikation weiter einzunehmen - eine große Herausforderung. Er wird auf Grund eines Herzproblems und seiner schweren Tuberkulose-Erkrankung demnächst aus dem Gefängnis entlassen.

Seit Juni 2012 behandelt Ärzte ohne Grenzen im Gebiet Donetsk in der östlichen Ukraine Haftinsassen und ehemalige Häftlinge mit medikamentenresistenter Tuberkulose. Diese Form der Tuberkulose beschreibt Krankheitsstämme, die gegen eine oder mehrere Medikamente der Erstbehandlung resistent sind. Sie ist besonders schwer zu behandeln, da die Medikamente teuer sind, starke Nebenwirkungen erzeugen und für eine lange Zeit eingenommen werden müssen.

Koordinatorin Paola Mermati berichtet von den Herausforderungen der Behandlung von PatientInnen mit medikamentenresistenter Tuberkulose in der Ukraine.

 

Was unterscheidet diese PatientInnen von anderen?

 

Die Tuberkulose-Rate ist hier in der Region Donetsk in den Haftanstalten zehn Mal höher als in der allgemeinen Bevölkerung. Die Insassen stammen oft aus benachteiligten Verhältnissen und haben schwierige Familiengeschichten. Ihr sozialer Status und ihr gesundheitlicher Zustand setzen sie gesellschaftlicher Ausgrenzung aus. Manche von ihnen leiden unter psychischen Erkrankungen, viele sind drogenabhängig und Alkoholiker. Einige sind HIV-positiv – oft, weil sie Nadeln gemeinsam mit anderen Drogenabhängigen verwenden. Deshalb ist es extrem wichtig, Tuberkulose innerhalb der Haftanstalten zu behandeln, wo sie am häufigsten auftritt und die PatientInnen am meisten vernachlässigt werden.

 

Was sind die Herausforderungen bei der Behandlung dieser PatientInnen?

 

Leider haben die heutigen Medikamente oft äußerst unangenehme Nebenwirkungen, zum Beispiel Erbrechen, Übelkeit, psychische Symptome und der Verlust des Hör- und Sehvermögens. Die Behandlung kann extrem langwierig und schmerzhaft sein – im schlimmsten Fall dauert sie drei Jahre. Man kann sich vorstellen, wie schwer es für einen Betroffenen sein muss, das alles durchzumachen – besonders im Fall eines Gefängnisinsassen mit einem Suchtproblem und sehr wenigen Zukunftsperspektiven. Außerdem wissen die Häftlinge, dass sie früher entlassen werden können, wenn ihr Gesundheitszustand sehr kritisch ist – für manche ein Faktor, sich nicht behandeln zu lassen. Es ist nicht leicht, sie zu motivieren, die Behandlung durchzuhalten, obwohl die Krankheit tödlich ist.

 

Wie geht Ärzte ohne Grenzen mit diesen Herausforderungen um?

 

Wir kümmern uns sehr um die Betreuung der PatientInnen und bieten psychologische Beratungen an damit sie verstehen, warum die Fortsetzung ihrer Behandlung so wichtig ist. Wir stecken auch sehr viel Energie in den Aufbau von Vertrauen mit den Insassen, da viele von ihnen Ärzte ohne Grenzen und unsere humanitäre Arbeit nicht kennen. Sobald die PatientInnen aus dem Gefängnis entlassen werden, hilft ihnen ein spezielles Team von uns dabei, sich wieder an die Gesellschaft zu gewöhnen. Wenn beispielsweise ein Patient keine Unterkunft hat, suchen wir für ihn eine entsprechende Einrichtung, die ihn aufnimmt, damit er nicht auf der Straße landet. Wir arbeiten laufend an der Verbesserung der Situation, um die bestmöglichen Lebensbedingungen für eine Fortsetzung der Behandlung zu ermöglichen.

 

Welche Maßnahmen würde Ärzte ohne Grenzen im Umgang mit der Behandlung von Tuberkulose in der Ukraine begrüßen?

 

Obwohl Tuberkulose behandelbar ist, beginnt nur die Hälfte der geschätzten Anzahl an infizierten Menschen in der Ukraine eine Behandlung gegen medikamentenresistente Tuberkulose. Zu dieser Epidemie tragen einige Faktoren bei – der Mangel an qualifiziertem Personal und an Diagnosegeräten, eine unzureichende Versorgung mit Medikamenten und nur spärliche Versuche, bei Abbruch der Behandlung die jeweiligen PatientInnen wieder zurück zu holen. All diese Punkte müssen besser bewältigt werden, vor allem innerhalb der Gefängnisse, damit mehr Menschen behandelt werden könnten und ihr Durchhaltevermögen gestärkt wird. In den Haftanstalten müssen außerdem eine frühe Diagnose und die Kontrolle möglicher Infektionen durchgeführt werden, damit die infizierten Insassen nicht andere anstecken. Deshalb ist Ärzte ohne Grenzen hier – wir teilen unsere Tuberkulose-Expertise mit dem ukrainischen System und versuchen eine Verbesserung zu bewirken.

Ärzte ohne Grenzen behandelt seit Juni 2012 Gefangene und ehemalige Häftlinge in der Region Donetsk im Osten der Ukraine, um gegen die wachsende Epidemie medikamentenresistenter Tuberkulose vorzugehen. Ärzte ohne Grenzen versorgt ca. 230 PatientInnen in der Kolonie 3 – einem speziellen Gefängnisspital für Insassen mit Tuberkulose – und in drei Untersuchungshaftanstalten. Sobald die PatientInnen aus dem Gefängnis entlassen werden, führt Ärzte ohne Grenzen die Behandlung weiter, bis sie geheilt sind. Zusätzlich stellt Ärzte ohne Grenzen antiretrovirale Medikamente für diejeningen zur Verfügung, die auch mit HIV infiziert sind. Die medizinischen Aktivitäten werden in Kollaboration mit der jeweiligen Gefängnisführung und dem ukrainischen Gesundheitsministerium durchgeführt.