Demokratische Republik Kongo: Geburten sind immer noch lebensgefährlich

21.11.2014
Dr. Susanne Mortazavi: "Es darf nicht sein, dass heute noch Frauen bei der Geburt sterben"
DRC MSB14894 Dr Mortazavi Jeep web
MSF
Shamwana, Demokr. Republik Kongo, 10.10.2014: Dr. Susanne Mortazavi während einer Outreach-Klinik in Shamwana in der Provinz Katanga.

Dr. Susanne Mortazavi ist Ärztin und derzeit in Shamwana im Einsatz. In ihrem Bericht schildert sie den tragischen Fall einer jungen Familie und das anhaltende Problem der hohen Mütter- und Säuglingssterblichkeit in der Demokratischen Republik Kongo: "Es darf nicht sein, dass heute noch Frauen bei der Geburt sterben!"

"Ich werde plötzlich um 6.30 Uhr wach, als einer unserer Wächter an die Tür meiner Hütte klopft. Ein Notfall ist in unserer Klinik eingetroffen: ein Taxifahrer mit einem neugeborenen Baby auf dem Rücksitz seines Motorrades. Der Säugling ist apathisch und schlapp.

Wir können den extrem niedrigen Blutzuckerspiegel des Kindes schnell wieder auf einen normalen Wert bringen. Der Fahrer berichtet, dass er zusammen mit den Eltern des Babys mitten in der Nacht unterwegs war, um das Krankenhaus rechtzeitig zu erreichen. Die Frau hatte das Kind am Tag zuvor zur Welt gebracht und litt seitdem unter starken Blutungen. Sie konnte nicht auf dem Motorrad weiterfahren, und der Taxifahrer musste sie und ihren Mann am Straßenrand zurücklassen. Der Ehemann hatte den Fahrer gebeten, das Kind zur Klinik in Shamwana zu bringen und bei Ärzte ohne Grenzen zu fragen, ob Hilfe geschickt wird.

 

Keine Transportmöglichkeiten für Verletzte

 

Wenn eine Frau nach der Geburt stark blutet und sich die Plazenta nicht vollständig gelöst hat, kann das lebensgefährlich sein. Mir ist sofort klar, dass diese Frau dringend medizinisch versorgt werden muss, um überhaupt eine Überlebenschance zu haben. Doch in der Region Katanga fehlt es an Transportmöglichkeiten. Es ist nahezu unmöglich, einen bewusstlosen Angehörigen auf eigene Faust in die Klinik zu bringen. Auch wenn der Ehemann jemanden mit einer Trage findet, würde es Stunden dauern, um von den entlegenen Dörfern nach Shamwana zu gelangen.

Innerhalb von fünfzehn Minuten gelingt es uns, zwei Jeeps organisieren – wir sind immer im Konvoi unterwegs, falls etwas mit einem der Fahrzeuge passiert. Eine Hebamme, eine Krankenschwester, ein anderer Arzt und ich machen uns in die Richtung auf, in die uns der Taxifahrer geschickt hat. Wir wissen, dass sich die beiden irgendwo zwischen zwei Dörfern aufhalten, also zwischen fünf und 40 km von Shamwana entfernt. Ich sitze auf dem Beifahrersitz und hoffe inständig, dass die Frau nicht weit weg vom nächsten Dorf ist. Ich weiß, dass für sie jede Minute zählt.

 

"Da weiß ich, dass wir zu spät gekommen sind."

 

Sobald wir am ersten Dorf vorbeifahren, suchen wir den Rand der staubigen Straße ab. Doch es ist schwierig, weil Bäume und  Sträucher den Blick behindern. Eine Stunde später erreichen wir das Dorf, das am weitesten entfernt ist. Rechts vor mir sehe ich eine Menschenmenge, die um eine Person herum steht, die unter einem großen Mangobaum auf dem Boden liegt. Plötzlich löst sich ein junger Mann aus der Gruppe, seine Kleidung ist mit Blut befleckt. Er läuft schreiend auf uns zu, Angst und Trauer zeichnen sich auf seinem Gesicht ab. Von diesem Moment an weiß ich, dass wir zu spät gekommen sind.

Ich verlasse den Jeep und sehe den leblosen Körper der jungen Frau im Schatten des Mangobaums. Sie ist in einen schönen Stoff gewickelt, wie er von vielen Frauen im Kongo getragen wird. Ihr Mann ist am Boden zerstört und legt sich neben den leblosen Körper, wie wenn er ihn beschützen möchte und weint und weint. Weder er noch seine Frau sind älter zwanzig Jahre. Nach der Erzählung der Dorfbewohner war die Frau um sechs Uhr morgens gestorben, genau in dem Moment, in dem der Taxifahrer unsere Klinik erreicht hatte.

 

Es fehlt an Infrastruktur

 

Es ist so schwer, die Hinterbliebenen zu erleben. In diesem Fall ist nicht nur ein Ehemann betroffen, der seine Frau verloren hat, sondern auch ein kleines Baby. Um unnötige Todesfälle wie diese zu verhindern, engagieren sich Ärzte ohne Grenzen und andere Organisationen in Ländern wie der Demokratischen Republik Kongo. Es ist eine der wichtigsten Aufgaben, und sie investieren viel in die Ausbildung der traditionellen Geburtshelferinnen, damit diese die Warnzeichen für tödliche Gefahren erkennen und Infektionen verhindern können. Doch gibt es viele Gründe, warum die Menschen nicht rechtzeitig die medizinischen Versorgungszentren erreichen: Es fehlt an Infrastruktur in Katanga, an Transportmitteln, und die Straßen sind schlecht.

Ich denke, es darf nicht sein, dass heute noch Frauen bei der Geburt sterben, unabhängig davon, wo sie leben. Schwangerschaft und Geburt sind natürliche Prozesse, aber manchmal braucht auch die Natur Hilfe: die wärmenden Händen einer Hebamme und ihre beruhigende Stimme oder in komplizierten Fällen die Erfahrung und das Wissen eines Chirurgen.

Ich fahre mit schwerem Herzen zurück ins Krankenhaus nach Shamwana, um nach dem kleinen Baby zu schauen. Es geht ihm gut. Im Moment bekommt es eine Milch, die speziell Babys gegeben wird. In ein paar Tagen, wenn sein Vater die Beerdigung hinter sich hat, wird er mit seinem Sohn nach Hause zurückkehren. Er hat eine Schwester, die das Baby als Amme mit großziehen kann. Zwar konnten wir das Leben der Mutter nicht retten, aber wir konnten ihrem Baby helfen."

Der jahrzehntelange Konflikt, das unterfinanzierte Gesundheitssystem und die  anhaltende Gewalt verursachen große Not in der Demokratischen Republik Kongo. Humanitäre Hilfe konzentriert sich vielfach auf große Städte und Orte, die als sicher gelten. Es gibt jedoch einen großen Bedarf an schneller, flexibler humanitärer Hilfe im gesamten Osten des Landes. Die Teams von Ärzte ohne Grenzen bemühen sich, die Verfügbarkeit von medizinischer Hilfe zu erhöhen und auf Gesundheitskrisen zu reagieren. Mehr dazu auf der Detailseite zu unserem Einsatzland:  Demokratische Republik Kongo