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„Das war mein schwierigster Einsatz“
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Jessie Gaffric, Projektkoordinatorin von Ärzte ohne Grenzen im Gemeindespital in Bangui, berichtet von den Spannungen in der Zentralafrikanischen Republik:
Im Gemeindespital der Hauptstadt Bangui führt die Organisation Notoperationen für Opfer der Zusammenstöße durch, während die herrschende Gewalt weiterhin die Stadt erschüttert. Jessie war bereits mit Ärzte ohne Grenzen auf mehreren Einsätzen in Konfliktgebieten, unter anderem im Jemen und in der Demokratischen Republik Kongo. Trotzdem war ihr Einsatz in der Zentralafrikanischen Republik ihr bisher schwierigster, wie sie nun kurz nach ihrer Rückkehr berichtet.
Welche PatientInnen kommen in das Gemeindespital in Bangui? Welche Wunden haben sie?
In Bangui behandeln wir hauptsächlich Männer im Alter von 20 bis 35 Jahren. Die meisten von ihnen sind Kämpfer. Frauen und ältere Personen sind dagegen eher die Minderheit unter den PatientInnen – wenn sie zu uns kommen, dann waren sie zur falschen Zeit am falschen Ort. Kinder, die jünger als 15 Jahre sind, werden in einer anderen Einrichtung behandelt – der pädiatrischen Anstalt in Bangui. Die große Mehrheit derjenigen PatientInnen, die von unseren Teams und dem Internationalen Roten Kreuz (ICRC) von außerhalb der Stadt eingeliefert werden – aus niedergebrannten und geplünderten Dörfern in der Umgebung – sind jedoch Frauen und Kinder.
Fast alle unserer PatientInnen sind Opfer von Gewalt. Die meisten Wunden stammen von Kugeln oder Granaten, gefolgt von Verletzungen durch Messer und Macheten. Die nächste Kategorie beinhaltet Opfer von Lynchjustiz, Gefangennahmen und Folterungen sowie Menschen, die während ihrer Flucht verletzt wurden. Die Beschaffenheit der Wunden ist wegen der Art der Kämpfe fast immer gleich, auch wenn die Anzahl der Granaten- und Messerwunden etc. zu bestimmten Zeiten ansteigt.
Mit welchen Herausforderungen warst du konfrontiert?
Die schwierige Sicherheitslage ist das Hauptproblem und erschwert uns, unsere Arbeit zu tun. Wir müssen zum Beispiel unsere Arbeitszeiten anders einteilen. Unsere Teams können nicht länger als bis 18:00 Uhr im Krankenhaus bleiben – es ist zu gefährlich. Also müssen wir die Arbeit eines gesamten Tages in jenen elf Stunden erbringen, die wir dort sein können. Manchmal mussten wir uns auch im Operationssaal einsperren – um zu „überwintern“ – oder sofort evakuieren. Wegen des hohen Zeitdrucks mussten wir oft Operationen auf den nächsten Tag oder sogar um Tage verschieben. Die Unsicherheit bedeutet auch, dass nur sehr wenige oder gar keine MitarbeiterInnen über Nacht im Krankenhaus sind. Wenn der Zeitpunkt des Aufbruchs gekommen war, mussten wir PatientInnen ohne medizinische Beobachtung alleine lassen. Wir wussten nicht, ob sie bei unserer Rückkehr noch am Leben sein würden.
An den Tagen, an denen gekämpft wurde, und wir einen großen Zustrom an Verwundeten erwarteten, war die Stadt am gefährlichsten. Die Beschäftigten des Krankenhauses konnten ihre Häuser nicht verlassen, um zur Arbeit zu kommen. Wir mussten dann so gut wie möglich mit unseren internationalen MitarbeiterInnen und den wenigen lokalen auskommen, die im Krankenhaus übernachtet hatten. Die Tage mit der meisten Arbeit waren meist jene, an denen wir die wenigsten MitarbeiterInnen zur Verfügung hatten.
Als Projektkoordinatorin warst du für die Sicherheit deiner Teams verantwortlich. Wie bist du vorgegangen?
Es hat sehr viel Zeit in Anspruch genommen. Die Situation war chaotisch: Im Krankenhaus kamen und gingen ständig Menschen – bewaffnete Männer, bewaffnete PatientInnen, Familienmitglieder und BesucherInnen, die auch potentiell bewaffnet waren. Manche von ihnen lehnten es kategorisch ab, ihre Waffen am Eingang des Krankenhauses abzugeben. Es war jedenfalls unmöglich, jeden zu durchsuchen. Alle waren eingeschüchtert und sehr misstrauisch, was die Dinge noch weiter verkompliziert hat.
Unsere Krankenschwester Becky, die für postoperative Betreuung verantwortlich war, erklärt den Menschen ständig: “Dieses Krankenhaus ist ein Ort, wo Menschen medizinische Versorgung erhalten – Konflikte müssen draußen bleiben.” Wir sprachen viel mit den PatientInnen und mit allen, die auf dem Gelände lebten. Ärzte ohne Grenzen unterscheidet nicht zwischen der Gruppierung oder Religion der jeweiligen PatientInnen und separiert sie auch nicht entsprechend. Wir mussten den PatientInnen und ihren Familien diese Regelung erst erklären. Dafür benötigten wir auch sehr viel Zeit. Aber ich denke, dass uns dadurch schwere Zwischenfälle erspart wurden, angesichts der täglichen Bedrohungen der PatientInnen und der Waffenpräsenz im Krankenhaus. Die Bevölkerung respektiert unsere Arbeit und akzeptiert unsere Regeln. Trotzdem wussten wir an manchen Tagen, wenn wir abends aufbrachen, nicht, ob alle unsere PatientInnen am nächsten Tag noch da sein würden. Es war furchtbar.
Die Sicherheit außerhalb des Krankenhauses ist ebenso wichtig. Ich war in ständigem Kontakt mit unserem Einsatzleiter Thomas. Ich informierte ihn über laufende Ereignisse (beispielsweise Schusswechsel oder Bewegungen bewaffneter Gruppen) und er tat dasselbe. Er war eine enorme Hilfe. Er kam beispielsweise in das Krankenhaus bei einem Zwischenfall oder akuten Anstieg von PatientInnen und half uns dabei, mit dem Ansturm an Menschen umzugehen. Wir trafen Entscheidungen gemeinsam – betreffend des Stopps von Bewegungen der Teams oder deren Evakuierung, wenn es im Spital zu gefährlich wurde. Es wäre noch sehr viel schwieriger gewesen, wenn ich damit alleine zurecht kommen hätte müssen.
Hattest du jemals Angst?
Ja. Manche der bewaffneten Männer im Krankenhaus jagten mir Angst ein. Ich musste zwischen sie treten, um das Lynchen eines Patienten zu verhindern. Die Angreifer starrten mich voll Hass in ihren Augen an.
Ich hatte auch Angst, als wir mit dem Auto während eines Schusswechsels unterwegs waren und auf Kämpfer trafen, die sehr einschüchternd wirkten, und als wir Leichen auf den Straßen sahen. Ich hatte auch Angst in unserer Unterkunft, wenn wir Schüsse in der Nachbarschaft hörten. Das kam fast jede Nacht vor, aber manche Nächte waren besonders schlimm. Unser Haus wurde sogar von Irrläufern erwischt.
Ich hatte auch Angst davor, die falsche Entscheidung getroffen zu haben, als wir ein Team evakuierten. Und vor meiner Verantwortung für ihre Sicherheit.
Wie hat sich dein Einsatz in der Zentralafrikanischen Republik von anderen deiner Einsätze unterschieden? In wie fern war es schwieriger?
Die anhaltende Spannung und die Komplexität des Konflikts. Bei meinen anderen Einsätzen waren die Dinge klarer: Die eine Gruppe bekämpfte die andere Gruppe. In der Zentralafrikanischen Republik haben sich die Auseinandersetzungen zu einem interkommunalen Konflikt entwickelt. Jeder kämpft gegen jeden. Der Anstieg der Gewalt, das Ausmaß und der Hass, der diese Raserei zu töten und zu verstümmeln auslöst – all das war wirklich hart. Die Wunden und Verletzungen, besonders die Messerwunden, waren schrecklich.
Die Arbeitslast war sehr hoch. Wir hatten mehrere große Wellen an PatientInnen, von denen der Großteil schwere Fälle waren. Das ist unüblich. In Bangui war der Prozentsatz der schweren Fälle höher als jener der leichten Verletzungen. Jeder „normale“ Tag war viel schlimmer als ich sonst gewohnt war.
Ich denke, dass mein Einsatz in Bangui der bisher schwierigste war. Glücklicher Weise hatten wir ein tolles Team. Wir hatten einen großartigen Gruppenzusammenhalt, sowohl in der Arbeit als auch in unserer Unterkunft. Das zentralafrikanische Team arbeitete ebenfalls sehr hart. Das und abends Janis Joplin zu hören hat uns geholfen.
Gab es PatientInnen, die dich besonders berührt haben?
Es gab einige. Zum Beispiel Michael, dem in Hals und in Brustkorb gestochen worden war. Das ganze Team half zusammen: Er wurde stabilisiert und das chirurgische Team leistete fantastische Arbeit. Er ist wohlauf und kann nun seinen Arm wieder bewegen, der davor leblos war. Das war ein kleiner Sieg!
Auch alle PatientInnen im orthopädischen Zelt, die dort für mehrere Wochen waren – nah beisammen, ruhig und in einer relativ entspannten Atmosphäre, trotz ihrer Konflikte und Unterschiede. Sie waren über das, was sie draußen zu Feinden machte, hinausgewachsen.