Schlangenbisse auf Liste der vernachlässigten Tropenkrankheiten gesetzt

23.06.2017
An Schlangenbissen sterben jedes Jahr mehr als 100.000 Menschen – mehr als an jeder anderen Krankheit auf der Liste. Trotzdem gibt es kaum Möglichkeiten, Schlangenbisse zu verhindern oder deren Folgen zu behandeln.
Echis ocellatus - Viper
Gabriel Martinez
Echis ocellatus is a venomous viper species endemic to West Africa.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat Schlangenbisse in die Liste der vernachlässigten Tropenkrankheiten aufgenommen. Ärzte ohne Grenzen begrüßt diese Entscheidung. An Schlangenbissen sterben jedes Jahr mehr als 100.000 Menschen – mehr als an jeder anderen Krankheit auf der Liste. Trotzdem gibt es kaum Möglichkeiten, Schlangenbisse zu verhindern oder deren Folgen zu behandeln. Der Zugang zu lebenswichtigen Gegengiften ist oft sehr begrenzt.

In den meisten Ländern, in denen Schlangenbisse vorkommen, ist die mangelnde Verfügbarkeit von Antiseren noch immer ein großes Problem. So werden in einigen Fällen zum Beispiel Produkte weiterhin vermarktet, obwohl sie sich als unwirksam herausgestellt haben. In anderen Fällen wurde die Herstellung von Antiveninen gestoppt, obwohl sie wirksam waren – so zum Beispiel bei Fav-Afrique, einem Antiserum, das gegen viele in Afrika vorkommende Schlangengifte wirkte. Das Pharmaunternehmen Sanofi hat die Produktion von Fav-Afrique im Jahr 2014 eingestellt, die letzten Chargen des Mittels sind inzwischen abgelaufen.

Ärzte ohne Grenzen versorgt jährlich mehr als 2.000 Patienten und Patientinnen nach Schlangenbissen

Die WHO hat inzwischen damit begonnen, verschiedene existierende Antivenine auszuwerten. Ziel ist es, einzelne Länder dabei zu unterstützen, diejenigen qualitativ hochwertigen Antivenine zu identifizieren, die gegen das Gift der örtlich vorkommenden Schlangenarten wirksam und zugleich sicher zu verabreichen sind. 

Ärzte ohne Grenzen versorgt jährlich mehr als 2.000 Patienten und Patientinnen nach Schlangenbissen in Ländern wie der Zentralafrikanischen Republik, Äthiopien, dem Südsudan und im Nahen Osten. In den Projekten von Ärzte ohne Grenzen ist diese Behandlung kostenlos. Müssen Betroffene die Behandlung aus eigener Tasche zahlen, liegt der Preis in vielen Fällen bei mehr als 100 US-Dollar. Vor allem in ländlichen Regionen mit niedrigem Einkommen, wo die meisten Menschen betroffen sind, können sich das viele nicht leisten.

"Guter Zeitpunkt, mit der Bekämpfung von Schlangenbissen ernst zu machen"

Neben der mangelnden Versorgung mit Gegengiften wird die Behandlung von Schlangenbissen durch weitere Herausforderungen erschwert: Diagnosetests für eine genaue Identifizierung der Schlangenspezies sind unzureichend, es fehlt an systematischer Weiterbildung und klinischen Empfehlungen für das Gesundheitspersonal sowie an einem ausreichenden Verständnis über die tatsächliche Anzahl und Verbreitung von Schlangenbissen.

„Jetzt ist ein guter Zeitpunkt, mit der Bekämpfung von Schlangenbissen ernst zu machen“, sagt Julien Potet, Experte für vernachlässigte Tropenkrankheiten bei der Medikamentenkampagne von Ärzte ohne Grenzen. „Wir hoffen, dass Regierungen und Geber nun konkrete Schritte machen. Gesundheitspersonal muss besser im Umgang mit den Folgen von Schlangenbissen trainiert werden. Hotspots mit großen Behandlungslücken müssen identifiziert und Behandlungskosten subventioniert werden. Und schließlich braucht die WHO mehr Kapazitäten, um die Qualität der existierenden Antivenine prüfen und die Entwicklung neuer, besserer Produkte unterstützen zu können.“