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COVID-19: Ärzte ohne Grenzen fordert Aussetzung von Patenten während der Pandemie
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Ärzte ohne Grenzen fordert alle Regierungen im Rahmen der Gespräche der Welthandelsorganisation (WTO) auf, eine Initiative zum Verzicht auf Patente im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie zu unterstützen. Die Initiative zur Aussetzung von geistigen Eigentumsrechten wurde von Indien und Südafrika im Oktober auf den Weg gebracht. Fast 100 Ländern unterstützen sie bereits – nicht jedoch wohlhabende Länder wie die USA, Japan oder auch die Staaten der Europäischen Union. Dazu Marcus Bachmann von Ärzte ohne Grenzen Österreich: „Eine Pandemie ist erst dann besiegt, wenn sie weltweit besiegt ist.“
Mit der Initiative wäre es allen Ländern erlaubt, die Durchsetzung des Rechts auf geistiges Eigentum von Medikamenten, Impfungen, Diagnosemethoden und weiteren Technologien in Verbindung mit COVID-19 bis zum Erreichen einer weltweiten Herdenimmunität auszusetzen. Dieser Ansatz hat bereits vor 20 Jahren viele Leben gerettet, als während der HIV/AIDS-Epidemie erschwingliche generische HIV-Medikamente auf den Markt kamen, die in Ländern ohne Patent-Blockade auf die Produktion hergestellt wurden.
„Scheinbar hält nicht einmal eine Pandemie Pharmakonzerne davon ab, ihren ‚Business-as-usual‘-Ansatz zu verfolgen. Deshalb müssen die Länder jedes verfügbare Instrument nutzen, um sicherzustellen, dass medizinische Produkte mit Bezug zu COVID-19 für alle, die sie benötigen, zugänglich und erschwinglich sind", sagt Sidney Wong, der Leiter der Medikamentenkampagne von Ärzte ohne Grenzen. "Alle Entwicklungen im Zusammenhang mit COVID-19 sollten echte globale öffentliche Güter sein, frei von den Barrieren, die Patente und das Recht auf geistiges Eigentum schaffen. Wir appellieren an alle Regierungen, diesen bahnbrechenden Vorschlag dringend zu unterstützen, der in diesem für die globale Gesundheit kritischen Moment Menschenleben über Unternehmensgewinne stellt.“
Seit dem Beginn der Pandemie haben die Pharmaunternehmen an ihrer bisherigen Praxis festgehalten und streng über ihr geistiges Eigentumsrecht gewacht. Gleichzeitig versuchten sie, geheime Monopol-Deals auszuhandeln, die viele Entwicklungsländer ausschließen. So hat etwa das Unternehmen Gilead restriktive bilaterale Lizenzvereinbarungen für Remdesivir abgeschlossen - eines der wenigen Medikamente, das einen potentiellen Nutzen bei der Behandlung von COVID-19 hat. Durch diese Vereinbarungen wurde nahezu die Hälfte der Bevölkerung davon ausgeschlossen, von einem preissenkenden Generika-Wettbewerb zu profitieren.
Hinzu kommt, dass einige neue und bereits bekannte Medikamente sowie monolokale Antikörper, die als vielversprechende Mittel zur Behandlung von COVID-19 erprobt wurden, in Ländern wie Brasilien, Südafrika, Indien, Indonesien, China und Malaysia schon patentiert wurden. Und bis auf ein einziges erklärt sich keines der mit der Entwicklung eines Impfstoffes beschäftigten Pharmaunternehmen dazu bereit, anders mit geistigem Eigentum umzugehen als bislang. Manche Unternehmen haben erste Schritte in die richtige Richtung gemacht, indem sie existierende Produktionskapazitäten nutzen, um den erwarteten Engpass bei einem möglichen Impfstoff abzumildern. Doch es bleibt die Ausnahme – und die entsprechenden Lizenzvereinbarungen sind oft mit großen Einschränkungen verbunden.
Pandemie kann nur global besiegt werden
„Wir können es uns gar nicht leisten, Corona-Impfstoffe, sobald sie verfügbar sein werden, nicht mit größter Effizienz für die Bevölkerung – und das ist bei einer Pandemie die Weltbevölkerung – einzusetzen. Eine Pandemie ist erst dann besiegt, wenn sie weltweit besiegt ist“ erklärt Marcus Bachmann, humanitärer Berater von Ärzte ohne Grenzen Österreich. „Es muss daher sichergestellt werden, dass alle Menschen weltweit Zugang zu einem Impfstoff haben werden, die ihn benötigen. Dazu braucht es die Leistbarkeit, die raschestmögliche Verfügbarkeit von Milliarden Impfstoffdosen. Um dies zu erreichen, müssen Patente im Einklang mit dem Regelwerk der Welthandelsorganisation ausgesetzt werden, bis die Pandemie unter Kontrolle gebracht ist.“
In der Vergangenheit ist einiges passiert, um Monopole zu überwinden, die es den Pharmafirmen ermöglichen, Preise künstlich hoch zu halten. So wurde 2001, auf dem Höhepunkt der HIV/AIDS-Epidemie, die „Doha Declaration on TRIPS and Public Health“ unterschrieben. Sie ermächtigte Regierungen, Patente und andere Hürden zu umgehen, um die öffentliche Gesundheit über die unternehmerischen Interessen zu stellen. Die aktuelle Aussetzungsforderung an die WTO würde in gleicher Weise zur schnellen Bekämpfung von COVID-19 beitragen.
Eine Aussetzung der Monopole auf medizinische Mittel im Kampf gegen COVID-19 würde eine globale Zusammenarbeit ermöglichen, die die Produktion, die Versorgung und den Zugang für alle verbessert. Da bereits mehr als 1,3 Millionen Menschen durch Corona ums Leben gekommen sind, können es sich die Regierungen nicht leisten, noch mehr Zeit damit zu verschwenden, auf freiwillige Maßnahmen der Pharmaindustrie zu warten.