Kommentar von Diyani Dewasurendra
14.11.2023
Die österreichische Ärztin Diyani Dewasurendra ist gerade auf Einsatz in Gaza, als die Situation eskaliert. Hier schildert sie die 26 Tage vom 7. Oktober bis zu ihrer Evakuierung am 1. November.

Ab dem 7. Oktober ist es uns wie der Bevölkerung im Gazastreifen gegangen, die auf der Flucht war. Wir waren ein kleines Team von 26 internationalen Mitarbeiter:innen – unter uns Chirurg:innen, Krankenpfleger:innen und Allgemeinmediziner:innen, wie ich es bin.

Die österreichische Ärztin Diyani Dewasurendra
MSF

Diyani Dewasurendra im Oktober in Gaza

Vor dem 7. Oktober waren wir alle in Gaza Stadt untergebracht. Unsere Unterkunft dort mussten wir verlassen, weil alle hundert Meter von uns entfernt Bomben eingeschlagen sind - ohne Pause. Insgesamt mussten wir fünf Mal umziehen, weil kein Ort wirklich sicher war.

Wir wurden dann in ein Gemeindezentrum im Süden gebracht. Innerhalb von zwei Tagen haben dort um die 30.000 Menschen Zuflucht gesucht. Aus Sicherheitsgründen konnten wir auch dort nicht lange bleiben. Mittlerweile sollen dort über 40.000 Menschen untergebracht sein – in einem Zentrum mit nur 14 Toiletten und drei oder vier Duschen. 

Auf der Flucht

In dem Gemeindezentrum sind viele Menschen zu uns gekommen und haben uns um Hilfe gebeten. Da waren Kinder mit Verbrennungen, die versorgt werden mussten. Da waren Menschen mit chronischen Krankheiten, die ganz verzweifelt nach einem Blutdruck-Medikament gesucht haben.

Doch selbst als Mitarbeiter:innen einer großen und bekannten medizinischen Hilfsorganisation, waren wir völlig hilflos. Ich konnte den Menschen nichts anderes anbieten als meinen privaten, kleinen Vorrat an Schmerzmitteln.  

Wir waren Teil der Geflüchteten und hatten keine Möglichkeiten unsere Arbeit, und damit medizinische Hilfe, fortzusetzen. 

In diesem Gemeindezentrum hat es somit niemanden gegeben, der die medizinische Versorgung der Menschen dort gewährleisten konnte.  

1 Liter Wasser am Tag

Sechs Tage vor unserer Evakuierung sind die Wasserflaschen in ganz Gaza ausgegangen. Nirgends war mehr abgefülltes, trinkbares Wasser verfügbar. Pro Person durften wir einen bis eineinhalb Liter Wasser täglich trinken, weil wir nicht wussten, wie lange wir noch Trinkwasser hatten. 

Außerdem haben wir anfangen unsere Lebensmittel zu rationieren. Das hieß: 700 Kalorien pro Tag pro Kopf, für zwei bis drei Tage. So lang hat unsere letzte Ration gehalten.  

Unsere einheimischen Kolleg:innen geben alles

Viele unserer Kolleg:innen aus Gaza arbeiten nach wie vor in den Krankenhäusern und Kliniken. Sie sind seit dem 7. Oktober rund um die Uhr im Einsatz. Sie wissen, wie hoch das Sicherheitsrisiko ist. Auch dass sie, wenn sie einmal in den Krankenhäusern sind, nicht regelmäßig zu ihren Familien können. Weil die Wege zu unsicher sind oder weil es zu wenig Benzin gibt, sodass Autos so sparsam wie möglich verwendet werden müssen.  

Ich war aus der Ferne jeden Tag, jede Stunde mit ihnen verbunden und habe mit ihnen mitgelitten. Ich habe Kolleg:innen verloren. Ich habe mitbekommen, dass Kolleg:innen ihre Kinder aus dem Schutt ausgraben mussten.  

An der Grenze

Unsere Kolleg:innen vor Ort haben für die Sicherheit unseres kleinen internationalen Teams gesorgt. Sie haben uns durch diese 26 Tage gebracht und versorgt. Ohne sie wären wir wahrscheinlich verhungert und verdurstet.  

Sie waren immer an unserer Seite, bis zum allerletzten Moment. Als wir nach sechzehn Stunden die Grenze in Rafah überqueren konnten, waren es unsere Kolleg:innen aus Gaza, die dafür gesorgt haben, dass wir sicher über die Grenze kommen. 

Am Tag nach der Ausreise habe ich erfahren, dass ein Kollege, der mit uns an der Grenze gewartet hat, seine ganze Familie bei einer Explosion verloren hat.

Operationen am Boden und in Gängen

Ich bin jetzt also wieder zuhause, aber nach wie vor in Kontakt mit einem Kollegen aus Gaza. Seine Schwester, die einzige Chirurgin im gesamten Gazastreifen, arbeitet rund um die Uhr im Al-Shifa Krankenhaus. Sie sagt, dass es kaum mehr medizinisches Personal gibt. Die Menschen können nicht mehr. Ich weiß, dass auch meine Kolleg:innen in Gaza zu tiefst erschöpft sind.  

Sie erzählt auch, dass Operationen am Boden und in den Gängen durchgeführt werden müssen. Es gibt kein künstliches Licht mehr, weil die Generatoren nicht mehr betrieben werden können. Dazu bräuchte es Benzin, das es auch nicht mehr gibt. Verbrennungen müssen mit Essig versorgt werden, weil es keine Alternativen gibt. Kinder mit starken Schmerzen können keine Medikamente bekommen, weil es fast keine mehr gibt. 

Auch wenn wir es geschafft haben, als Ärzte ohne Grenzen, eine weitere Ladung an Medikamenten ins Land zu bringen, reicht das nicht aus, um all diese Menschen zu versorgen. 

Nach Hause kommen

All das macht das Ankommen zu Hause zu einer schwierigen Situation für mich. Ich bin natürlich erleichtert, dass ich in Sicherheit bin. Aber ich weiß: Meine Kolleg:innen vor Ort in Gaza und unsere Patient:innen sind es nicht. 

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