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Irak: Das Leben nach dem Krieg
Seit Sommer 2017 herrscht wieder Frieden im Irak – doch in den Alltag der Menschen ist noch lange kein Normalzustand eingetreten. Seit Mitte Juli ist Vera Schmitz als medizinische Teamleiterin in Al-Qayyara im Einsatz und berichtet von den Herausforderungen, die dort auf sie warten.
Was sind die Bedürfnisse der Menschen vor Ort? Wie ist die Gesundheitsversorgung anderer Organisationen – wer macht was (nicht)? Und was brauchen wir dafür – ist eine Ärztin genug, brauchen wir einen zusätzlichen Psychologen oder mehr Medikamente? Besonders wichtig für Ärzte ohne Grenzen ist auch stets die Frage – erreichen wir die, die uns am meisten brauchen?
All das sind Fragen, die ich mir als Leitung des medizinischen Teams in meinem Projekt im Nordirak stelle. Hier bin ich zuständig für die Implementierung der notwendigen Aktivitäten und die konstante Evaluierung der Situation.
Al-Qayyara liegt etwa 1,5 Std. südlich von Mosul und beherbergt noch immer ca. 115.000 Binnenvertriebene - allein in den Flüchtlingslagern, in denen wir arbeiten. Der Krieg ist vorbei, aber wirklichen Frieden hat dieses Land noch nicht gefunden. Mosul ist stark zerstört, in den Ruinen finden sich noch immer Blindgänger und Landminen, die bis heute ihre Opfer fordern. Sie erschweren und verzögern nicht nur den Wiederaufbau, sondern auch die Rückkehr der ehemaligen Bewohner und Bewohnerinnen. Auch das Vertrauen innerhalb der Gesellschaft muss erst wieder wachsen. Viele Menschen sind traumatisiert von Kriegserlebnissen, viele müssen erst lernen, sich wieder ein neues Leben aufzubauen und den Verlust von Familienmitgliedern und Freunden zu verarbeiten.
Ärzte ohne Grenzen arbeitet seit über einem Jahr in den Flüchtlingslagern von Al-Qayyara. Das Projekt in dem ich arbeite, besteht primär aus einem Gesundheitszentrum, um der Bevölkerung Zugang zu medizinischer Versorgung zu gewährleisten. Menschen aller Altersklassen werden hier medizinisch und psychologisch betreut. Da das Gesundheitssystem vor dem Krieg prinzipiell gut ausgebaut war, gibt es auch einen erhöhten Bedarf an Behandlungsmöglichkeiten für Menschen mit nicht übertragbaren Krankheiten, darunter fallen z.B. Diabetes, Herz-Kreislauferkrankungen oder auch Asthma.
Zudem führen wir ein ambulantes Ernährungsprogramm für mangelernährte Kinder durch. Die meisten unserer Patienten und Patientinnen sind noch sehr klein – jünger als sechs Monate und benötigen aufgrund ihres Alters ganz besondere Zuwendung. Dies gilt auch für deren Mütter, die häufig unter enormem Stress stehen. Oftmals sind sie auf sich allein gestellt und müssen ihre Familien ohne Unterstützung versorgen. Die Zeit und Kraft zum Stillen fehlt dann häufig.
Die letzten Wochen gab es aber auch sonst viel zu tun. Ende August hat unsere Notaufnahme eröffnet und gewährleistet somit rund um die Uhr Erste Hilfe für die Camp Bewohner und -Bewohnerinnen. Noch wichtiger ist aber die Eröffnung unserer Geburtsstation Anfang September! 20 Babys haben in den ersten fünf Wochen bereits das Licht der Welt bei uns erblickt. Schon seit Juli betreuen wir Frauen ambulant rund um das Thema Frauengesundheit, die meisten kommen zur vor- oder nachgeburtlichen Untersuchung, andere zur Beratung hinsichtlich Familienplanung oder zu allem was sonst nur Frauen betrifft.
Die Geschichten dieser Frauen sind oft sehr eindrücklich. Die Schilderungen des Krieges, aber auch aus dem alltäglichen Leben im Camp, zeigen deutlich die Spuren, die das Erlebte hinterlassen hat.
Unser psychologisches Team ist ein weiterer Schwerpunkt unserer Arbeit und wird derzeit ausgeweitet. Zu den Aufgaben dieses Teams zählen Einzel-, Familien-, und Gruppentherapieangebote. Der Bedarf ist enorm, das erfahrene Trauma der Menschen kaum zu erahnen. Immer wieder treffen wir auf Patienten und Patientinnen nach Suizidversuchen –und diese sind nur die Spitze des Eisbergs.
Für mich ist dies mein mittlerweile zehnter Einsatz mit Ärzte ohne Grenzen. Zur Routine wird diese Arbeit jedoch nie. Denn in erster Linie geht es um die Menschen, die unsere Unterstützung brauchen – seien es die frühgeborenen mangelernährten Zwillinge, die endlich langsam zunehmen oder die traumatisierten Bewohner und Bewohnerinnen, denen ein offenes Ohr und das Gefühl, gehört zu werden, geschenkt wird.
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