30.07.2024
Erfahren Sie im Interview mit Claudia Ackerl-Lehner, Leiterin Philanthropie, welche Form der Unterstützung den größten Unterschied macht und warum.

Claudia Ackerl-Lehner | Ärzte ohne GrenzenWarum sind Geldspenden oft die effektivste Form der Hilfe? Welche entscheidenden Vorteile haben sie gegenüber Sachspenden? Und wie wirkt Ihre Spende am besten? 

Claudia Ackerl-Lehner leitet unsere Philanthropie-Unit. Im Interview erzählt sie, wie Unternehmen unsere Arbeit am sinnvollsten unterstützen können. 

Spenden Unternehmen lieber Sachspenden als Geld?

Ja, es kommt vor, dass uns Unternehmen neben Geldspenden auch Sachspenden oder Hilfsgüter spenden wollen. Das reicht von Operationshandschuhen über Logistikleistungen bis hin zu Medikamenten oder anderen Produkten.  

Die eigenen Produkte sind den Unternehmen natürlich ganz nah. Wenn es dann in Krisenfällen einen Bedarf dazu gibt, ist es für viele selbstverständlich, diese Produkte kostenfrei anzubieten. 

Und es ist auch schön zu sehen, wenn die eigenen Produkte über den Unternehmenszweck hinaus positiv wirken können.   

Außerdem verkörpern Sachspenden eine direktere und greifbarere Hilfe als vielleicht Geldspenden. Es ist Hilfe, die man haptisch sieht. Wie zum Beispiel die OP-Handschuhe, mit denen Chirurg:innen operieren.  

Wir können also gut nachvollziehen, warum manche Unternehmen Hilfsgüter spenden wollen. Und wir freuen uns auch sehr über diese Angebote. Sie zeigen ihr Engagement und den Wunsch, Hilfe zu leisten. Das ist sehr schön und ein guter Anknüpfungspunkt für eine Kooperation. 

Allerdings ist es für uns nur in sehr seltenen Fällen möglich, Sachspenden anzunehmen. Denn wir können sie schwer wirkungsvoll einsetzen. 

Ihr Unternehmen und Sie wollen sich engagieren? Hier finden Sie die verschiedenen Möglichkeiten, aktiv zu werden.

Warum ist es oft schwierig, Sachspenden anzunehmen?

Um das gut zu erklären, muss ich etwas weiter ausholen. Eine unserer größten Leistungen ist die Logistik. Denn im Notfall muss es schnell gehen. Mit unserem einzigartigen Netzwerk können wir in nur 48 bis 72 Stunden Fachkräfte, Ausrüstung und Medikamente an jeden Einsatzort der Welt bringen. 

Das Zusammenspiel aller Elemente ist hierbei sehr wichtig: Die richtige Person mit den richtigen Qualifikationen muss zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein. Genauso wie die richtigen Materialien und Medikamente.  

Wir arbeiten mit abgepackten Kits und bereits verzollten Hilfsgütern und Medikamenten. Unsere Logistik ist international organisiert und funktioniert im Krisenfall wie ein fein abgestimmtes Uhrwerk. Eine Sachspende hat in diesem System sehr schwer Platz. Sie würde unsere Logistik beeinträchtigen und unsere Kosten erhöhen. 

Außerdem können wir Materialien nicht einfach so verwenden. Sie müssen überprüft, standardisiert und zertifiziert sein. Und der Transport müsste extra organisiert werden. Deshalb kann Ärzte ohne Grenzen in Österreich leider nur in sehr seltenen Fällen Sachspenden annehmen. 

Warum war das Interesse an Sachspenden für die Ukraine so groß?

Als der Krieg ausgebrochen ist, haben wir besonders viele Anfragen für Sachspenden für die Ukraine bekommen. Verständlicherweise. Die Betroffenheit, die ein Krieg in so unmittelbarer Nähe auslöst, ist nochmal eine ganz andere. Die Nähe schafft eine gewisse Verbundenheit, diese Verbundenheit regt zum Helfen an. 

Und viele Menschen haben gedacht, dass gespendete Hilfsgüter leichter und schneller am Einsatzort ankommen als zum Beispiel im Sudan. Doch unser Logistiknetzwerk ist genau auf solche Katastrophen vorbereitet und stellt schnelle humanitäre Hilfe sicher.   

Ganz besondere Einzelfälle gibt es schon. Unter speziellen Kriterien nehmen wir Sachspenden oder gespendete Hilfsgüter an. Wie zum Beispiel die bereits erwähnten OP-Handschuhe. Diese konnten wir aufgrund der großen Menge und der Qualität gut in unsere Einsätze integrieren. Doch dies sind Ausnahmen. Die effektivste Hilfe ist immer noch eine direkte Geldspende.  

Ukraine emergency response
Remi Decoster
Februar 2022: In unserem Logistikzentrum in Bordeaux werden medizinische Hilfsgüter für die Ukraine verpackt.

Warum sind Geldspenden wirksamer? Welche Vorteile haben Geldspenden im Vergleich zu Sachspenden?

Als Nothilfeorganisation müssen wir jederzeit einsatzbereit sein, damit wir in Krisenfällen schnell und flexibel helfen können. Deshalb hat eine projektunabhängige Geldspende einen enormen Vorteil gegenüber einer Sachspende: 

Sie gibt uns maximale Flexibilität die Spende dort einzusetzen, wo sie am dringendsten gebraucht wird. Und wo sie den größten Beitrag zu unserer Hilfe leisten kann. Und wir haben keinen zusätzlichen Aufwand für die Verwaltung oder Koordinierung. 

Eine projektunabhängige oder ungewidmete Spende ist übrigens eine Spende, die uns ohne Widmung für ein bestimmtes Projekt oder Land gegeben wird. Sie ist der Schlüssel für effektive und schnelle humanitäre Hilfe. 

Und eine Geldspende wird direkt zur Hilfe: von Ermittlung und Start eines Noteinsatzes über den Transport unserer Hilfsgüter bis hin zur medizinischen Versorgung. 

Eine Geldspende ist die Masern-Impfung, die Kinder schützt. Die OP-Lampe, die im Operationszelt für Licht sorgt. Die Hebamme, die ein Kind sicher zur Welt bringt. Und die mobile Klinik, die Menschen in abgelegenen Gebieten versorgt. Eine Geldspende ist die Hilfe, die unsere Einsätze möglich macht.  

Können Unternehmen wählen, für welches Land oder Projekt sie spenden?

Ja, unter bestimmten Bedingungen, die besprochen werden. Wir nehmen gerne Wünsche entgegen und freuen uns über die individuelle Motivation dahinter. Immer wieder möchten Unternehmen zum Beispiel für ein Land spenden, mit dem sie geschäftlich verbunden sind. 

Falls es möglich ist, versuchen wir diese Wünsche umzusetzen. Das hängt von verschiedenen Faktoren ab. Aufgrund des größeren internen Aufwands wissen wir in so einem Fall einen etwas größeren Spendenbetrag sehr zu schätzen. So können wir ein effizientes Kosten-Nutzen-Verhältnis erzielen. Und sicherstellen, dass eine große Wirkung mit der Spende erzielt wird. 

Und was natürlich über all dem steht, ist der Bedarf in unseren Einsatzgebieten. 

Wir nehmen nicht automatisch für jedes Land oder Projekt Spenden an. Nur dann, wenn wir auch vor Ort sind und die Menschen uns brauchen. Wir sind eine Nothilfeorganisation. 

Wenn der Notfall vorbei ist und wir nicht mehr gebraucht werden, ziehen wir uns zurück. Wenn der Bedarf gedeckt ist, nehmen wir keiner Spendengelder mehr an. Und falls wir noch gewidmete Gelder haben, fragen wir bei unseren Unterstützer:innen nach, ob wir sie auch für andere Projekte einsetzen dürfen. Und bieten auch an, das Geld wieder zurückzuüberweisen. 

Ein Beispiel dafür wäre wieder die Ukraine. Bei Kriegsausbruch haben uns so viele Spenden erreicht, dass wir vorerst keine Gelder für die Ukraine mehr angenommen haben. Wir wollten zuerst den tatsächlichen Bedarf vor Ort abzuschätzen. In solchen Fällen nehmen wir erst wieder Spenden an, wenn wir sie brauchen.  

Nimmt Ärzte ohne Grenzen jede Geldspende an?

Als Nothilfeorganisation ist unsere Unabhängigkeit sehr wichtig für unsere humanitäre Hilfe. Sie stellt sicher, dass unsere Arbeit in Krisengebieten überhaupt möglich ist. Und, dass wir flexibel und schnell helfen können. Und zwar unabhängig von politischen, wirtschaftlichen oder religiösen Interessen. 

Deswegen finanzieren wir uns ausschließlich über private Spenden. Und deswegen ist auch oft der „Ursprung“ einer Spende von Bedeutung.  

Wir haben eine besondere Verantwortung unseren Patient:innen gegenüber. Also nehmen wir keine Spenden aus Branchen an, die im Widerspruch zu unseren humanitären Prinzipien stehen. Wie die Waffen-, Tabak- oder Erotikindustrie. Ein Beispiel: Wir behandeln sehr oft durch Waffen verletzte Menschen und nehmen natürlich keine Gelder einer Waffenfirma an. 

Auch von der Pharmaindustrie nehmen wir nichts an. Was für manche vielleicht naheliegend wäre. Der Grund ist allerdings einfach: Wir wollen Zugang zu leistbaren Medikamenten in ärmeren Ländern ermöglichen. Doch die wirtschaftlichen Interessen der Pharmaindustrie stehen diesem Ziel oft im Weg.  

Deswegen prüfen wir Unternehmen vor Annahme einer Spende basierend auf unseren Prinzipien. Dafür haben wir auch besondere Richtlinien für die Annahme von Spenden entwickelt.  

Wie wichtig sind Unternehmensspenden für die Arbeit von Ärzte ohne Grenzen?

Jede Spende ist wichtig und macht einen Unterschied für die Menschen, für die wir täglich im Einsatz sind. Denn unsere Arbeit ist, wie gesagt, fast ausschließlich durch private – also nicht institutionelle– Spenden finanziert. 

Unternehmensspenden sind ein wichtiger Teil davon. Und sehr oft entscheiden sich Unternehmen dazu, uns langfristig zu unterstützen. Langfristigen Kooperationen geben uns Stabilität und helfen uns, unsere Hilfe nachhaltig zu planen. 

Das schätzen wir sehr. Und es motiviert uns zusätzlich, dass ein erfolgreiches Unternehmen unserer Kompetenz und unserem Engagement vertraut.