Um Menschen in Krisengebieten rasch helfen zu können, sind Helfer und Helferinnen auf hochwertiges Kartenmaterial angewiesen. Für viele Gebiete müssen diese erst angefertigt werden. Dabei wird Ärzte ohne Grenzen von moderner Technologie unterstützt – und von tausenden Freiwilligen, auch in Wien. Pete Masters leitet das Projekt „Missing Maps“, das es sich zur Aufgabe macht, detaillierte Landkarten vernachlässigter Regionen herzustellen und erzählt im Interview mehr darüber:
Wie entstand das Missing Maps-Projekt?
Die Idee entstand nach dem Erdbeben in Haiti. Als der nachfolgende Cholera-Ausbruch am Höhepunkt war, erreichten die Teams Meldungen aus Dörfern, in denen viele Menschen an der Krankheit starben. Es war für die Teams nicht nur schwierig, die Dörfer zu finden; auch wussten sie nicht, wie diese im Verhältnis zueinander lagen, ob sie etwa am selben Fluss lagen und dieselbe verseuchte Wasserquelle teilten. Diese Information fehlte, weil es keine Karten der Gegend gab. Ende 2014 gründeten wir dann gemeinsam mit anderen Organisationen das „Missing Maps“-Projekt. Es spiegelt die Arbeit von Ärzte ohne Grenzen ziemlich gut wieder: Wir setzen Regionen auf die Landkarte, für die sich sonst nur wenige interessieren. Es gibt nämlich kaum Anreize, Karten für vergessene Krisen wie etwa die Zentralafrikanische Republik herzustellen, die es nie in die Schlagzeilen schaffen.
Wie entsteht eine „Missing Map“?
Zuerst besorgen wir ein Satellitenbild. Freiwillige übernehmen die Verantwortung für jeweils einen Abschnitt, den sie dann bearbeiten – entweder von zuhause aus auf der Plattform von Missing Maps, oder auf „Mapping Parties“, auf denen Menschen gemeinsam an den Karten arbeiten. Sie erhalten bestimmte Anweisungen, zum Beispiel das Einzeichnen aller Straßen oder Wohngebiete, die sie auf der Karte erkennen können. Das heißt: Auf ihrem Laptop ziehen sie Linien rund um Häuser oder entlang der Straßen:
Diese grobe Karte schicken wir dann an Freiwillige oder einheimische Angestellte von Ärzte ohne Grenzen im betroffenen Gebiet. Sie gehen damit in die Gemeinden und fügen Informationen ein – Straßennamen, die Namen und die Grenzen von Dörfern oder Vierteln, und so weiter. Dazu verwenden sie verschiedene Hilfsmittel, von Papier-Atlanten über Smartphones bis hin zu GPS-Geräten.
Als letzten Schritt fügen wir Bezirke und administrative Grenzen ein. Dann ist die Karte fertig und man kann beginnen, damit zu arbeiten.
Wofür werden die Karten benötigt?
Es gibt viele Gründe. Ärzte ohne Grenzen benötigt sie vor allem für epidemiologische Zwecke. Karten sind von grundlegender Bedeutung: Sie ermöglichen uns, besser auf Krankheitsausbrüche zu reagieren, auch Impfkampagnen lassen sich leichter durchführen, wenn man weiß, wo die Menschen leben und wohin man die Impfstoffe transportieren muss. Im Südsudan haben wir Material für Teams angefertigt, die ihre Karten selbst mit der Hand zeichnen mussten, weil es sonst keine Informationen gab. Wir konnten ihnen eine digitale Karte samt ungefähren Bevölkerungsdaten zur Verfügung stellen. Das erleichtert die Arbeit natürlich sehr.
Über das Map Center:
Alle Karten, die Ärzte ohne Grenzen für die Hilfseinsätze benötigt, werden vom Map Center verwaltet. Dabei handelt es sich um eine digitale Bibliothek, die 2013 gegründet wurde. Auf einer eigenen Webseite können die Teams in der Datenbank nach geeigneten Karten für ihre Einsatzregion suchen. Bei Bedarf fertigt ein eigenes Expertenteam mit Sitz in Genf Karten für bestimmte Zwecke und Regionen an. Diese können von den Teams ebenfalls online bestellt werden. „Wir haben alle möglichen Karten: Manche sind relativ einfach und zeigen uns wo wir arbeiten, wo sich die Gesundheitseinrichtungen in einer Region befinden, und so weiter. Andere sind spezieller und zeigen zum Beispiel das Vorkommen bestimmter Krankheiten“, erklärt Frédéric Ham, der Leiter des Map Center. Die Bedeutung solcher Karten zeigt sich etwa bei Epidemien: „Bei Krankheitsausbrüchen bekommen wir direkt von unseren Teams medizinische Informationen. Mit diesen Daten können wir thematische Karten produzieren, auf denen wir die Krankheitsfälle in den einzelnen medizinischen Einrichtungen einer Region dokumentieren. So können wir eine Epidemie in Echtzeit mitverfolgen.“ Dies ist wichtig, damit man die vorhandenen Hilfsmittel dort einsetzt, wo sie am nötigsten gebraucht werden.
Derzeit enthält das Map Center mehr als 1.500 Karten, wovon gut 80 Prozent von Ärzte ohne Grenzen selbst produziert wurde. Auch Karten des „Missing Maps“-Projekts sollen künftig in das Map Center eingespeist werden.
Der nächste Mapathon in Wien findet am 11. Jänner 2017 in Wien statt, die Teilnahme ist kostenlos!
Für alle, die nicht zum Event selbst kommen können, gibt es die kostenlose App Mapswipe, mit der man direkt und in wenigen Minuten am Smartphone aktiv werden kann: Hier mehr über Mapswipe erfahren.
Dieses Interview ist im Original in der Ausgabe 01/2016 des Magazins DIAGNOSE erschienen.