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Smartphones, die Leben retten: Malaria-Diagnose für Kinder
Unsere Teams in Mali testen derzeit eine vielversprechende neue Technologie: Ein Smartphone-Augen-Scanner soll helfen, Kinder mit zerebraler Malaria zu diagnostizieren. Die gefährliche Krankheit kann unbehandelt zum Tod führen, ist aber schwierig von anderen Erkrankungen unterscheidbar. Estrella Lasry ist Spezialistin für Tropenmedizin bei Ärzte ohne Grenzen in Großbritannien und erklärt, wie diese einfache Technik dabei hilft, Untersuchung und Behandlung für Menschen in entlegenen Regionen zu verbessern.
Was ist “PEEK”?
Die Abkürzung PEEK steht für “Portable Eye Examination Kit” – also ein „tragbares Augen-Untersuchungs-System“. Es besteht aus einem aufsteckbaren Gerät und einer App. Gemeinsam ermöglicht dieses System unseren medizinischen Teams, mit einem ganz normalen Smartphone die Augen eines Patienten oder einer Patientin zu untersuchen. Das Tool entwickelte ein wissenschaftliches Team an der Schule für Hygiene und Tropenmedizin in London in Zusammenarbeit mit der Universität von Strathclyde.
Warum ist diese Erfindung so spannend?
Zur Untersuchung der Retina (Netzhaut) eines Menschen wird entweder ein Ophthalmoskop eingesetzt – was schwierig und zeitaufwendig ist – oder die sogenannte binokulare indirekte Ophthalmoskopie. Diese ausgeklügelte und teure Technik kann nur von Augenärzten und –ärztinnen verwendet werden und ist in unseren Einsatzländer kaum bzw. überhaupt nicht verfügbar.
Das tolle an PEEK ist im Gegensatz dazu, dass es einfach, billig und zugänglich ist. Nach ein paar Tagen Schulung kann es sowohl von jedem nicht-spezialisierten Mediziner als auch von einem Augenarzt verwendet werden.
Weshalb wird diese Technologie in Mali getestet?
Unsere kinderärztliche Abteilung im Koutiala Krankenhaus in Mali versorgt sehr viele Kinder im Alter von unter fünf Jahren. Und viele dieser Kinder leiden unter zerebraler Malaria, von der sie in ein Koma fallen.
Das Problem dabei ist jedoch, dass zerebrale Malaria sehr leicht mit anderen Krankheiten verwechselt werden kann – wie zum Beispiel Meningitis (Gehirnhautentzündung). Wir haben also eine steigende Anzahl an Kindern mit Verdacht auf zerebrale Malaria, können aber mit den nur eingeschränkten diagnostischen Möglichkeiten nicht mit Sicherheit sagen, an welcher Krankheit sie wirklich leiden – und welche Behandlung die richtige ist.
Wir wussten, dass wir bessere Diagnosemöglichkeiten brauchen – direkt vor Ort am Krankenbett. Als dann einer unserer Kinderärzte von diesem tragbaren Untersuchungs-Tool für Augen hörte, wurde uns klar, dass es genau das ist, wonach wir gesucht hatten.
Wie funktioniert das System genau?
- Der PEEK-Aufsatz wird auf ein Smartphone gesteckt. Mit dem eingebauten Licht des Handys leuchtet der Arzt in die erweiterte Pupille des Patienten.
- Der Aufsatz bündelt das Licht und fokussiert automatisch auf die Netzhaut – das feine Gewebe auf der hinteren Seite des Auges.
- Das Display des Handys zeigt eine Nahaufnahme der Netzhaut.
- Diese Bilder werden aufgenommen und abgespeichert.
- Nun können die Aufnahmen im medizinischen Team diagnostiziert werden, man kann das Bild später nochmals ansehen oder auch an via Email an Fachkollegen schicken, um eine zweite Meinung einzuholen.
- Zusammen mit dem Aufsatz gibt es auch eine App, die alle Notizen zu diesem Fall am Smartphone speichert. So sind alle Informationen zusammen an einem Ort.
Dort, wo Ärzte ohne Grenzen arbeitet, ist eine Biopsie am Gehirn kaum möglich. Aber es gibt eben eine andere Möglichkeit, in das Gehirn zu sehen – indem man die hintere Seite des Auges untersucht. Die Netzhaut ist ein Spiegel dessen, was im Gehirn passiert. Bei zerebraler Malaria verändert sich die Netzhaut in einer bestimmten Art und Weise – auch bekannt als Malaria-Retinopathie.
(1) Blutungen – verursacht durch rote Blutkörperchen, die verklumpen und daher keine Mikrozirkulation mehr ermöglichen. (2) Weiße Flecken und (3) abnormale Gefäße, ausgelöst durch die Malaria-Parasiten. Sie haften am Saum der kleinen Blutkörperchen im Gehirn und in den Augen, wo sie die Versorgung mit Sauerstoff und Nährstoffen stören.
Diese Veränderungen bestätigen, dass der Patient zerebrale Malaria hat – auch wenn er möglicherweise noch an anderen Krankheiten leidet. Solche Einblicke ermöglichen uns auch eine ungefähre Prognose – je mehr Veränderungen bereits zu erkennen sind, desto wahrscheinlich ist es, dass die Krankheit tödlich verlaufen wird. Das zu wissen, hilft uns dabei, die Familie der Betroffenen auf den möglichen Ausgang vorzubereiten.
Der Prototyp dieser Technologie befindet sich noch immer im Freigabeprozess, aber schon jetzt fragen alle danach. Wir hoffen darauf, PEEK überall dort einsetzen zu können, wo wir mit vielen Kindern konfrontiert sind, die an zerebraler Malaria leiden – das ist vor allem in Ländern in Ost- und Westafrika der Fall. Auch andere Krankheiten wie Diabetes oder HIV gehen mit Veränderungen der Netzhaut einher. Wir hoffen deshalb sehr, dieses Tool auch für diese Patienten verwenden zu können.
Video: “Lassen Sie Ihre Augen nächstes Mal gleich am Smartphone untersuchen!”
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