Am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts herrschte Optimismus: Die Tuberkulose war – so meinte man – weltweit im Aussterben begriffen. Doch die Krankheit kehrt mit voller Wucht zurück. Von Swasiland bis Kambodscha kämpfen Teams von Ärzte ohne Grenzen gegen die tödliche Infektionskrankheit.
Ein wahrhaftiges Paradies auf Erden. Das ist der erste Eindruck, der sich einem Besucher des Krankenhauses von New Haven bieten mag. Ärzte ohne Grenzen unterstützt in der Region Shiselweni in Swasiland 17 Gesundheitseinrichtungen, New Haven ist eine davon. Das Spital liegt auf einem üppig grünen Hügel, nur einige Schritte vom Dorf entfernt, das aus einem Dutzend Häusern, einer Kirche und einer Schule besteht und von Feldern und Wiesen umgeben ist. Im Schatten eines großen Baums verkaufen drei Frauen Obst und Gemüse.
Doppelepidemie HIV/Aids und Tuberkulose
Aber dieser paradiesische Schein trügt. Hinter der Klinik warten etwa 30 Patienten. Männer, Frauen, Kinder – sie alle sind gekommen, um ihre Verschreibung für antiretrovirale Medikamente zu verlängern oder um sich auf Tuberkulose testen zu lassen. Wie die meisten Dörfer in Swasiland wird auch New Haven von der Doppelepidemie HIV/Aids und Tuberkulose heimgesucht. Jeder vierte Erwachsene ist hier HIV-positiv. Davon leiden 80 Prozent zusätzlich an einer Tuberkulose-Infektion.
„Viele Leute sind tot, viele haben sämtliche Angehörige verloren“
„Aids und Tuberkulose haben in der Gemeinschaft viel Leid verursacht“, erzählt Sam Simelane, 62 Jahre alt – einer der wenigen älteren Menschen im Dorf. „Viele Leute sind tot, viele haben sämtliche Angehörige verloren“.
In Swasiland ist die Tuberkulose wie in den meisten Ländern des südlichen Afrikas zur Haupttodesursache bei Menschen geworden, die an HIV/Aids erkrankt sind und deren Immunabwehr geschwächt ist. Seit November 2007 ist Ärzte ohne Grenzen im Distrikt Shiselweni tätig und hilft bei der Behandlung von mehreren tausend Patienten, die mit HIV und/oder Tuberkulose infiziert sind. Ende 2009 waren über 2.700 Tuberkulosekranke in den von Ärzte ohne Grenzen unterstützten Einrichtungen in Behandlung. 105 von ihnen litten unter einer resistenten Form der Krankheit.
Resistenzen als zusätzliche Herausforderung
Die Rückkehr der Tuberkulose in die unrühmliche Liste der weltweiten Epidemien geht mit einem noch beunruhigenderen Phänomen einher: der Entwicklung von gegen gewöhnliche Medikamente resistenten Formen der Krankheit (MDRTB). Diejenigen Antibiotika, die Mitte des 20. Jahrhunderts entdeckt wurden, sind nicht mehr gleich effizient wie damals, und so muss manchen Patienten angesichts der von ihnen entwickelten Resistenzen eine andere, viel längere und unangenehmere Behandlung verordnet werden. Darüber hinaus gibt es keine Garantie für eine Heilung. „Diese Patienten erhalten durchschnittlich sechs Monate lang täglich Injektionen und ihre Behandlung auf Basis zahlreicher Tabletten kann bis zu drei Jahre lang dauern und viele Nebenwirkungen haben“, erklärt Dr. Hermann Reuter, ein Mitarbeiter von Ärzte ohne Grenzen in Swasiland. Die Nebenwirkungen variieren von unangenehm bis unerträglich oder sogar gefährlich. Mehrere Medikamente gegen Tuberkulose haben schlimme Auswirkungen auf die Verdauung. Sie führen zu plötzlichem Brechreiz und können eine Funktionsstörung der Nieren und der Leber verursachen. Die einzige Lösung im Kampf gegen diese Nebenwirkungen besteht darin, zusätzlich zur bereits extrem hohen Anzahl von täglich einzunehmenden Tabletten weitere Medikamente zu verabreichen.
„Es war ein Albtraum. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie schwierig es war, all diese Medikamente zu nehmen“, erklärt Ruslan, ein ehemaliger kirgisischer Häftling, der von Ärzte ohne Grenzen wegen seiner multiresistenten Tuberkulose behandelt wurde. „Man möchte schlafen, kann aber nicht. Man ist müde, es ist einem schlecht. Man übergibt sich, fühlt sich aber nicht besser. Ich habe die Medikamente auch dann eingenommen, wenn es mir ganz schlecht ging, aber mein Zellenkumpan konnte nicht weiter machen. In seinem Fall waren die Nebenwirkungen unerträglich.“
Jedes Jahr sterben weltweit 120.000 Personen an MDR-TB, während es fast eine halbe Million neuer Fälle gibt. 97,5 Prozent von ihnen haben keinen Zugang zu einer Diagnose oder angemessenen Behandlung und müssen tagtäglich mit dieser potenziell tödlichen Infektionskrankheit leben. Die Zahl der Patienten mit einer medikamentenresistenten Tuberkulose steigt. Die meisten Patienten ziehen sich die multiresistente Form der Tuberkulose zu, weil sie nicht richtig behandelt werden. Allerdings stecken sich auch immer mehr Personen von Anfang an mit einem resistenten Stamm der Krankheit an.
Engagement über die bloße Behandlung hinaus
In Anbetracht der Gefahr, die vom weltweiten Wiederauftreten der Tuberkulose ausgeht, sowie ihrer bösartigen Verbindung mit dem HIV/Aids-Virus in manchen Regionen, kann sich Ärzte ohne Grenzen nicht nur damit zufriedengeben, die Patienten zu behandeln. Die Organisation engagiert sich auch, damit diese Krankheit leichter und schneller behandelt werden kann. „Wir kämpfen auf mehreren Ebenen in unseren Gesprächen mit den Regierungen, der Weltgesundheitsorganisation und pharmazeutischen Laboratorien“, erklärt Dr. Frauke Jochims, Tuberkuloseexpertin am Sitz von Ärzte ohne Grenzen in Genf. „Einerseits müssen bessere Mittel für die Erkennung und Diagnose von Tuberkulose und insbesondere von ihren resistenten Formen entwickelt werden. Andererseits ist es offensichtlich, dass die derzeitigen Antibiotika unzureichend sind und für die Patienten unerträgliche Nebenwirkungen verursachen. Wir brauchen schnell neue Behandlungsmethoden, die wirksam sind, aber für die Entwicklungsländer erschwinglich bleiben.
“Die Kinder werden unter den Opfern der Tuberkulose am meisten vernachlässigt, weil derzeit an ihre Bedürfnisse angepasste Diagnosemittel fehlen. In Dschibuti leiden beispielsweise zahlreiche mangelernährte Kinder, die in therapeutischen Noternährungszentren von Ärzte ohne Grenzen behandelt werden, an Tuberkulose. Ärzte ohne Grenzen fordert daher, dass die Labors für Kinder angemessene Tests und Dosierungen entwickeln.
Der Kampf gegen die Tuberkulose dürfte deshalb in den kommenden Jahren leider eine der Prioritäten für die Mitarbeiter von Ärzte ohne Grenzen vor Ort bleiben.