Tuberkulose: Die verhängnisvolle Rückkehr

23.03.2010
Von Swasiland bis Kambodscha kämpfen Teams von Ärzte ohne Grenzen gegen die tödliche Infektionskrankheit.

Themengebiet:

Eriwan, Armenien, Februar 2010
Bruno De Cock
Erevan, Armenien, 01.02.2010: Besprechung eines TB-Patienten in der Malatsia Polyklinik

Am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts herrschte Optimismus: Die Tuberkulose war – so meinte man – weltweit im Aussterben begriffen. Doch die Krankheit kehrt mit voller Wucht zurück. Von Swasiland bis Kambodscha kämpfen Teams von Ärzte ohne Grenzen gegen die tödliche Infektionskrankheit.

Ein wahrhaftiges Paradies auf Erden. Das ist der erste Eindruck, der sich einem Besucher des Krankenhauses von New Haven bieten mag. Ärzte ohne Grenzen unterstützt in der Region Shiselweni in Swasiland 17 Gesundheitseinrichtungen, New Haven ist eine davon. Das Spital liegt auf einem üppig grünen Hügel, nur einige Schritte vom Dorf entfernt, das aus einem Dutzend Häusern, einer Kirche und einer Schule besteht und von Feldern und Wiesen umgeben ist. Im Schatten eines großen Baums verkaufen drei Frauen Obst und Gemüse.

Doppelepidemie HIV/Aids und Tuberkulose

Aber dieser paradiesische Schein trügt. Hinter der Klinik warten etwa 30 Patienten. Männer, Frauen, Kinder – sie alle sind gekommen, um ihre Verschreibung für antiretrovirale Medikamente zu verlängern oder um sich auf Tuberkulose testen zu lassen. Wie die meisten Dörfer in Swasiland wird auch New Haven von der Doppelepidemie HIV/Aids und Tuberkulose heimgesucht. Jeder vierte Erwachsene ist hier HIV-positiv. Davon leiden 80 Prozent zusätzlich an einer Tuberkulose-Infektion.

„Viele Leute sind tot, viele haben sämtliche Angehörige verloren“

„Aids und Tuberkulose haben in der Gemeinschaft viel Leid verursacht“, erzählt Sam Simelane, 62 Jahre alt – einer der wenigen älteren Menschen im Dorf. „Viele Leute sind tot, viele haben sämtliche Angehörige verloren“.

In Swasiland ist die Tuberkulose wie in den meisten Ländern des südlichen Afrikas zur Haupttodesursache bei Menschen geworden, die an HIV/Aids erkrankt sind und deren Immunabwehr geschwächt ist. Seit November 2007 ist Ärzte ohne Grenzen im Distrikt Shiselweni tätig und hilft bei der Behandlung von mehreren tausend Patienten, die mit HIV und/oder Tuberkulose infiziert sind. Ende 2009 waren über 2.700 Tuberkulosekranke in den von Ärzte ohne Grenzen unterstützten Einrichtungen in Behandlung. 105 von ihnen litten unter einer resistenten Form der Krankheit.

Resistenzen als zusätzliche Herausforderung

Die Rückkehr der Tuberkulose in die unrühmliche Liste der weltweiten Epidemien geht mit einem noch beunruhigenderen Phänomen einher: der Entwicklung von gegen gewöhnliche Medikamente resistenten Formen der Krankheit (MDRTB). Diejenigen Antibiotika, die Mitte des 20. Jahrhunderts entdeckt wurden, sind nicht mehr gleich effizient wie damals, und so muss manchen Patienten angesichts der von ihnen entwickelten Resistenzen eine andere, viel längere und unangenehmere Behandlung verordnet werden. Darüber hinaus gibt es keine Garantie für eine Heilung. „Diese Patienten erhalten durchschnittlich sechs Monate lang täglich Injektionen und ihre Behandlung auf Basis zahlreicher Tabletten kann bis zu drei Jahre lang dauern und viele Nebenwirkungen haben“, erklärt Dr. Hermann Reuter, ein Mitarbeiter von Ärzte ohne Grenzen in Swasiland. Die Nebenwirkungen variieren von unangenehm bis unerträglich oder sogar gefährlich. Mehrere Medikamente gegen Tuberkulose haben schlimme Auswirkungen auf die Verdauung. Sie führen zu plötzlichem Brechreiz und können eine Funktionsstörung der Nieren und der Leber verursachen. Die einzige Lösung im Kampf gegen diese Nebenwirkungen besteht darin, zusätzlich zur bereits extrem hohen Anzahl von täglich einzunehmenden Tabletten weitere Medikamente zu verabreichen.

„Es war ein Albtraum. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie schwierig es war, all diese Medikamente zu nehmen“, erklärt Ruslan, ein ehemaliger kirgisischer Häftling, der von Ärzte ohne Grenzen wegen seiner multiresistenten Tuberkulose behandelt wurde. „Man möchte schlafen, kann aber nicht. Man ist müde, es ist einem schlecht. Man übergibt sich, fühlt sich aber nicht besser. Ich habe die Medikamente auch dann eingenommen, wenn es mir ganz schlecht ging, aber mein Zellenkumpan konnte nicht weiter machen. In seinem Fall waren die Nebenwirkungen unerträglich.“

Jedes Jahr sterben weltweit 120.000 Personen an MDR-TB, während es fast eine halbe Million neuer Fälle gibt. 97,5 Prozent von ihnen haben keinen Zugang zu einer Diagnose oder angemessenen Behandlung und müssen tagtäglich mit dieser potenziell tödlichen Infektionskrankheit leben. Die Zahl der Patienten mit einer medikamentenresistenten Tuberkulose steigt. Die meisten Patienten ziehen sich die multiresistente Form der Tuberkulose zu, weil sie nicht richtig behandelt werden. Allerdings stecken sich auch immer mehr Personen von Anfang an mit einem resistenten Stamm der Krankheit an.

Engagement über die bloße Behandlung hinaus

In Anbetracht der Gefahr, die vom weltweiten Wiederauftreten der Tuberkulose ausgeht, sowie ihrer bösartigen Verbindung mit dem HIV/Aids-Virus in manchen Regionen, kann sich Ärzte ohne Grenzen nicht nur damit zufriedengeben, die Patienten zu behandeln. Die Organisation engagiert sich auch, damit diese Krankheit leichter und schneller behandelt werden kann. „Wir kämpfen auf mehreren Ebenen in unseren Gesprächen mit den Regierungen, der Weltgesundheitsorganisation und pharmazeutischen Laboratorien“, erklärt Dr. Frauke Jochims, Tuberkuloseexpertin am Sitz von Ärzte ohne Grenzen in Genf. „Einerseits müssen bessere Mittel für die Erkennung und Diagnose von Tuberkulose und insbesondere von ihren resistenten Formen entwickelt werden. Andererseits ist es offensichtlich, dass die derzeitigen Antibiotika unzureichend sind und für die Patienten unerträgliche Nebenwirkungen verursachen. Wir brauchen schnell neue Behandlungsmethoden, die wirksam sind, aber für die Entwicklungsländer erschwinglich bleiben.

“Die Kinder werden unter den Opfern der Tuberkulose am meisten vernachlässigt, weil derzeit an ihre Bedürfnisse angepasste Diagnosemittel fehlen. In Dschibuti leiden beispielsweise zahlreiche mangelernährte Kinder, die in therapeutischen Noternährungszentren von Ärzte ohne Grenzen behandelt werden, an Tuberkulose. Ärzte ohne Grenzen fordert daher, dass die Labors für Kinder angemessene Tests und Dosierungen entwickeln.

Der Kampf gegen die Tuberkulose dürfte deshalb in den kommenden Jahren leider eine der Prioritäten für die Mitarbeiter von Ärzte ohne Grenzen vor Ort bleiben.

Erewan, Armenien, Februar 2010
© Bruno De Cock
Armenien, 02.02.2010: Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion hat sich Tuberkulose in Armenien und anderen Ländern in der Region ausgebreitet. Viele Armenier glauben, die resistente Form der Krankheit betreffe nur gesellschaftliche Randgruppen. Doch inzwischen breitet sich die Krankheit in weiten Teilen der Gesellschaft aus.
Eriwan, Armenien, Februar 2010
© Bruno De Cock
Armenien, 02.02.2010: Zusammen mit dem Gesundheitsministerium bietet Ärzte ohne Grenzen Patienten mit medikamentenresistenter Tuberkulose eine kostenfreie Behandlung an. Seit dem Start des Programms wurden 320 Menschen behandelt.
Eriwan, Armenien, Februar 2010
© Bruno De Cock
Armenien, 02.02.2010: Armenien zählt zu den Ländern, in denen es weltweit zu den meisten Neuerkrankungen an multiresistenter Tuberkulose (MDR-TB) kommt.
Eriwan, Armenien, Februar 2010
© Bruno De Cock
Armenien, 02.02.2010: Die multiresistente Form entsteht, wenn Patienten die medikamentöse Behandlung von Tuberkulose unterbrechen – die Erkrankten können andere Menschen dann auch direkt mit resistenter Tuberkulose anstecken.
Eriwan, Armenien, Februar 2010
© Bruno De Cock
Armenien, 02.02.2010: Ärzte ohne Grenzen betreut eine 90-Betten-Klinik für Patienten mit medikamentenresistenter Tuberkulose im Nationalen Tuberkulose-Behandlungszentrum in Abovian, einem Vorort der Hauptstadt Eriwan.
Eriwan, Armenien, Februar 2010
© Bruno De Cock
Armenien, 02.02.2010: Tuberkulose-Proben werden im nationalen Labor auf eine Medikamentenresistenz untersucht. Auf Ergebnisse muss man oft drei Wochen warten.
Erewan, Armenien, Februar 2010
© Bruno De Cock
Armenien, 24.03.2010: Patienten, bei denen die medikamentenresistente Form von Tuberkulose diagnostiziert wurde, werden solange stationär aufgenommen, bis sie nicht mehr ansteckend sind – das sind meist etwa zwei Monate. Die weitere ambulante Behandlung der Krankheit kann von sechs Monaten bis zu zwei Jahren dauern – manchmal sogar länger.
Eriwan, Armenien, Februar 2010
© Bruno De Cock
Armenien, 02.02.2010: Gagic Safarian leidet an MDR-TB. Er wird auf der Tuberkulose-Station von Ärzte ohne Grenzen behandelt. „Mir fällt es sehr schwer, die Tabletten eine nach der anderen zu nehmen, darum nehme ich sie alle auf einmal“, sagt er.
Rosarno, Kalabrien
© Livio Senigalliesi
Rosarno, 06.01.2010: Die Orangenernte dauert von November bis Anfang März und zieht jedes Jahr Tausende Arbeitsmigranten nach Kalabrien.
Eriwan, Armenien, Februar 2010
© Bruno De Cock
Armenien, 02.02.2010: Die meisten Patienten leiden an Nebenwirkungen. Manchmal sind diese schlimmer sind als die Symptome der Krankheit. Viele Betroffene halten daher die strapaziöse Behandlung nicht bis zum Ende durch.
Eriwan, Armenien, Februar 2010
© Bruno De Cock
Armenien, 02.02.2010: Krankenschwestern und Pfleger stellen die Medikamente täglich zusammen und überwachen die Patienten bei der Einnahme, um sicherzustellen, dass sie alle Pillen schlucken.
Erewan, Armenien, Februar 2010
© Bruno De Cock
Armenien, 02.02.2010: Nach der Behandlung im Nationalen Tuberkulose-Behandlungszentrum können Patienten, die nicht mehr ansteckend sind, nach Hause zurück kehren. Sie müssen jedoch täglich in die Polyklinik in Eriwan kommen, um ihre Medikamente unter medizinischer Aufsicht einzunehmen.
Eriwan, Armenien, Februar 2010
© Bruno De Cock
Armenien, 02.02.2010: Eine ganze Handvoll Medikamente müssen die Patienten täglich einnehmen. Die Unterbrechung der Behandlung kann zu weiteren Resistenzen führen.
Erewan, Armenien, Februar 2010
© Bruno De Cock
Armenien, 02.02.2010: Das medizinische Personal kann zusätzliche Medikamente verschreiben, um die Nebenwirkungen zu lindern. Oftmals verschlimmern sich diese, je länger die Behandlung dauert, vor allem, wenn ein Erkrankter schon vorher anfällig war.
Erewan, Armenien, Februar 2010
© Bruno De Cock
Armenien, 02.02.2010: Von allen Patienten, die im Jahr 2007 mit der Tuberkulose-Behandlung begonnen haben, haben es 21 Prozent nicht geschafft, die Behandlung bis zum Ende durchzuhalten.
Eriwan, Armenien, Februar 2010
© Bruno De Cock
Armenien, 02.02.2010: Die Patienten erhalten im Nationalen Tuberkulose-Behandlungszentrum die Behandlung kostenlos – doch Ärzte ohne Grenzen kosten die Medikamente Tausende von Dollar pro Kopf.
Eriwan, Armenien, Februar 2010
© Bruno De Cock
Armenien, 02.02.2010: Mithilfe des Green Light Committees, einer Initiative der Weltgesundheitsorganisation (WHO), werden sie zu einem reduzierten Preis eingekauft.
Eriwan, Armenien, Februar 2010
© Bruno De Cock
Armenien, 02.02.2010: Adriana Palomares, die als Krankenschwester für Ärzte ohne Grenzen arbeitet, spricht mit einem Patienten zu Hause. Mit sozialer und psychologischer Unterstützung wollen die Mitarbeiter gewährleisten, dass die Patienten ihre Behandlung vollständig abschließen.
Eriwan, Armenien, Februar 2010
© Bruno De Cock
Armenien, 02.02.2010: Wenn Patienten nicht in eine der fünf Polykliniken rund um Eriwan kommen können, um ihre Medikation abzuholen, bringen ihnen Mitarbeiter von Ärzte ohne Grenzen die Medikamente nach Hause.
Eriwan, Armenien, Februar 2010
© Bruno De Cock
Armenien, 02.02.2010: Auch Vazgen Hakobyan leidet an MDR-TB. Tuberkulose-Patienten werden in Armenien stark stigmatisiert. Die Menschen haben Angst, sich mit der Krankheit zu infizieren, auch wenn Patienten längst nicht mehr ansteckend sind. „Hier in Armenien treffen sich die Leute lieber mit HIV-Positiven als mit TB-Kranken“, sagt Vazgen.