Syrien: Zehntausende Menschen in Deir Azzour brauchen dringend Hilfe

12.12.2012
Zivilisten in Stadt eingeschlossen

Paris/Wien, 12. Dezember 2012. Zehntausende Menschen, darunter viele Kranke und Verwundete, sind derzeit aufgrund intensiver Kämpfe und Bombardierungen in der Stadt Deir Azzour im Osten Syriens gefangen. Ärzte ohne Grenzen/Médecins Sans Frontières (MSF) fordert eine Evakuierung der Kranken und Verwundeten an sichere Orte. Internationalen medizinischen Teams soll offiziell erlaubt werden, unparteiisch Hilfe zu leisten.

"In Deir Azzour gibt es derzeit nur ein provisorisches Krankenhaus, in dem nur vier Ärzte arbeiten", sagt Ärzte ohne Grenzen-Koordinator Patrick Wieland, der gerade aus Syrien zurückgekehrt ist. „Die Ärzte sind nach sechs Monaten Arbeit in einer Kampfzone völlig erschöpft. Doch sie weigern sich, die Stadt zu verlassen, und behandeln weiterhin rund um die Uhr Verwundete." Trotz Unterstützung seitens einer syrischen Ärzte-Organisation ist es fast unmöglich, an medizinisches Material zu kommen. Luftangriffe und Scharfschützen machen eine Evakuierung der Patienten auf Tragen extrem schwierig.

Ein Team von Ärzte ohne Grenzen hat Ende November inoffiziell das Gouvernement Deir Azzour besucht, um die Bedürfnisse in dieser abgelegenen Region zu bewerten, die stark vom Krieg betroffen ist. Es war zu gefährlich die Stadt Deir Azzour selbst zu besuchen, in der vor dem Konflikt 600.000 Menschen lebten. Doch Zeugen berichteten dem Team, dass Zehntausende Menschen in der Stadt gefangen sind, die derzeit täglich beschossen und bombardiert wird. Jene die bleiben sind überwiegend arme und ältere Menschen, weil sie nicht fähig oder nicht willens sind die Stadt zu verlassen.

Gesundheitssystem gezielt angegriffen

Ärzte ohne Grenzen hat in einem Umkreis von 50 Kilometern um die Stadt Deir Azzour herum mehrere öffentliche und private Krankenhäuser besucht. Für diese Einrichtungen ist es extrem schwierig, Chirurgie und Notfallmedizin anzubieten. Trotzdem musste eines der Krankenhäuser in der Woche vor dem Besuch des Teams 300 verwundete Patienten aufnehmen. Vierzig der Verletzten mussten mehr als 400 km zur Grenze transferiert werden, in der Hoffnung, diese überqueren zu können um in der Türkei adäquate medizinische Versorgung zu erhalten.

Das Gesundheitspersonal, das vor Ort geblieben ist, gibt sein Bestes, muss aber mit minimalen Ressourcen auskommen. Das Gesundheitssystem wird gezielt angegriffen und medizinisches Material, einschließlich Medikamente und Blutprodukte, wird knapp, während die Zahl der Verletzten weiter ansteigt. Das notwendige medizinische Material kann nicht aus Damaskus bezogen werden, und die Versorgung aus den Nachbarländern ist aufgrund von Entfernung, Problemen beim Grenzübertritt und dem Mangel an Sicherheit nicht möglich.

Evakuierung dringend notwendig

Viele Bewohner, die aus der Stadt Deir Azzour geflohen sind, wurden vor dem nahenden Winter von Menschen in den umliegenden Gebieten aufgenommen oder leben in öffentlichen Gebäuden, vor allem in Schulen. Obwohl die Hilfe der lokalen Bevölkerung sehr großzügig ist, kann diese nicht alle dringenden Bedürfnisse der Vertriebenen erfüllen.

Angesichts der derzeitigen Lage fordert Ärzte ohne Grenzen eine Evakuierung der Verwundeten und der Kranken aus der Stadt Deir Azzour, gemäß dem humanitären Völkerrecht. Zudem fordert Ärzte ohne Grenzen die Regierung auf, internationale und unparteiische medizinische Hilfe offiziell zu autorisieren. Diese Unterstützung soll von allen Konfliktparteien respektiert werden.

Trotz der Ausmaße der humanitären Bedürfnisse in der Region haben die syrischen Behörden bisher keinen Einsatz internationaler und unparteiischer medizinischer Hilfe zugelassen. Trotzdem setzt Ärzte ohne Grenzen alles daran, die Präsenz vor Ort und die Unterstützung für die betroffenen Menschen zu erhöhen, in Zusammenarbeit mit den Netzwerken der syrischen Ärzte, im Gouvernement Deir Azzour wie in anderen Landesteilen.

Teams von Ärzte ohne Grenzen sind in drei Krankenhäusern im Norden und im Nordwesten Syriens tätig, in Gebieten, die von bewaffneten Oppositionsgruppen kontrolliert werden. Ärzte ohne Grenzen bietet medizinische Notfallversorgung einschließlich Chirurgie an und führt medizinische Konsultationen durch. Seit Ende Juni 2012 haben die Teams mehr als 2.500 Patienten behandelt mehr als 550 Operationen durchgeführt. In den Nachbarländern Jordanien, Libanon und Irak bietet Ärzte ohne Grenzen syrischen Flüchtlingen medizinische Versorgung an.