Südsudan: Wie Gesundheitsaufklärung hilft, Leben zu retten (Teil 1)

07.01.2015
Teams klären Bevölkerung über Gesundheit von Mutter & Kind auf
Das Team von Ärzte ohne Grenzen, das für die Gesundheitsaufklärung der Bevölkerung zuständig ist, reist in die Dörfer im Gebiet um Yambio.
Matthias Steinbach
Yambio, Südsudan, 07.01.2015: Das Team von Ärzte ohne Grenzen, das für die Gesundheitsaufklärung der Bevölkerung zuständig ist, reist in die Dörfer im Gebiet um Yambio.

Yambio ist die Hauptstadt des südsudanesischen Bundesstaats West-Äquatoria. Das Gebiet hat die höchste Müttersterblichkeitsrate im Südsudan – es kommt zu rund 2.327 Todesfällen pro 100.000 Geburten. Die Sterblichkeitsrate im gesamten Land liegt im weltweiten Vergleich überhaupt unter den höchsten. Der Zugang zu medizinischer Hilfe wird weiterhin durch kulturelle Praktiken, traditionellen Glauben sowie soziale und ökonomische Hürden erschwert. Die meisten Frauen leiden oder sterben, weil sie schlichtweg kein ausreichendes Wissen über die Gesundheit von Mutter und Kind haben. Daher ist Gesundheitsaufklärung ein wichtiger Teil der Arbeit von Ärzte ohne Grenzen – denn ohne sie würde manchmal jede Hilfe zu spät kommen.

Begegnung einer Mutter mit dem Tod

Am Morgen des 3. November 2014 erreichte Adem die Geburtenstation des staatlichen Krankenhauses in Yambio. Die 29-jährige Mutter von drei Kindern hatte bereits sehr starke Wehen. Bei der Aufnahme ihrer Krankengeschichte stellte das medizinische Team fest, dass bei ihr vor genau einem Jahr, am 3. November 2013, ein Kaiserschnitt durchgeführt worden war. Aufgrund ihrer späten Ankunft und Komplikationen bei der Geburt verstarb damals unglücklicherweise das Kind. Daher versuchte Adem rasch, ein weiteres Kind zu bekommen – und war auch bereits nach drei Monaten wieder schwanger.

Ein solches Verhalten ist bei den Frauen in Yambio nicht unüblich. Wenn eine Mutter während der Geburt ihr Kind verliert oder eine Fehlgeburt erleidet, versucht sie sofort, so rasch wie möglich wieder schwanger zu werden. Die Frauen glauben, dass ein weiteres Kind die traurige Erfahrung mit einer glücklichen ersetzen kann. Doch dieses Vorgehen ist manchmal äußerst riskant.

Angst vor Entbindung im Spital

Wegen ihrer Erfahrung vor einem Jahr kam Adem diesmal nur widerwillig ins Krankenhaus. Sie wollte zu Hause gebären, wartete jedoch zu lange – und kam wieder erst sehr spät mit starken Wehen ins Spital. Hausgeburten sind in Yambio sehr üblich; die meisten Frauen haben Angst vor einer Entbindung im Krankenhaus. Gründe dafür sind unter anderem fehlendes Wissen über die Vorteile einer Geburt im Spital, verschiedene kulturelle Überzeugungen und sozioökonomische Faktoren. Diese Rahmenbedingungen kosten viele Leben. Deshalb versuchen die Teams von Ärzte ohne Grenzen im Bereich Gesundheitsaufklärung, der Bevölkerung zu helfen, ihr Verhalten zu ändern.

Weil Adems Wunde noch nicht einmal ein Jahr alt war und somit das Risiko eines Risses in der Gebärmutter bestand, entschieden die ÄrztInnen, einen Kaiserschnitt durchzuführen. Doch Adem wollte natürlich gebären – es brauchte viel Zeit und Aufklärungsarbeit für sie und ihre Familie, bevor sie schlussendlich in den Operationssaal gebracht werden konnte.

Ein Eingriff, um Leben zu retten

Während der Operation bestätigten sich die Ängste der ÄrztInnen: Adems Gebärmutter war bereits gerissen. Auch wenn es das medizinische Team Stunden gekostet hatte, Adem und ihre Familie von der Notwendigkeit eines Kaiserschnitts zu überzeugen, konnten sie zum Glück schlussendlich sowohl das Baby als auch die Mutter retten: Auf die Welt kam ein kräftiger Junge mit 3,01 kg Gewicht.

Als Adem wieder zu Bewusstsein kam, erklärten ihr die ÄrztInnen und GesundheitsberaterInnen, was während der Operation geschehen war. „Ich habe riskiert, wieder mein Baby zu verlieren! Das wäre mein Ende gewesen. Ich hatte solches Glück, dass es noch nicht zu spät war“, rief Adem aus. Sie war glücklich mit der Beratung, die sie vom Team erhalten hatte, und die ihr eine weise Entscheidung ermöglicht hatte. Sie weiß nun, dass jede andere Entscheidung ein tragisches Ende zur Folge gehabt hätte – beim Anblick des Kindes, das sie nun in ihren Armen hält, kaum vorstellbar. Vier Tage später wurden Adem und ihr Kind bei guter Gesundheit entlassen.

Wo Aufklärungsarbeit auf Medizin trifft

Adems Situation ist in Yambio kein Einzelfall. Das ist einer der Gründe, weshalb die Teams zur Gesundheitsaufklärung jeden Morgen hinaus gehen, um die Bevölkerung weiterzubilden und alle Fragen über die Gesundheit von Mutter und Kind zu beantworten, die Mütter, Väter, ganze Familien und Dorfgemeinschaften haben.

„Es ist furchtbar, eine Mutter zu verlieren, wenn du weißt, dass die meisten Todesfälle bei Müttern vermieden werden könnten. Die meisten von ihnen kommen sehr spät und in einem äußerst schlimmen Zustand. Wir tun unser Möglichstes, um sie zu retten. Doch am Ende des Tages, selbst wenn du weißt, dass du mit den dir zur Verfügung stehenden Mitteln dein Bestes getan hast, ist es schmerzhaft, ein Leben zu verlieren“, unterstreicht Lisa Errol. Die in Australien geborene Hebamme hat gerade erst ihren Einsatz in Yambio beendet.

Gesundheitsaufklärung ist ein integraler Bestandteil der Arbeit von Ärzte ohne Grenzen auf Gemeinde- und Spitalsebene. Die Teams verwenden verschiedene Kommunikationsmittel, um ihre Botschaften weiterzutragen. Rundfunk und Fernsehen sind zwei Möglichkeiten mit einer hohen Reichweite und einem großen Publikum in Yambio. Ärzte ohne Grenzen nutzt Radio, um Gesundheitsinformationen zu verbreiten und die Aufmerksamkeit auf bestimmte Problembereiche zu lenken - wie Geburten in einer Gesundheitseinrichtung und die Wichtigkeit von pränatalen und postnatalen Kliniken. Der Kanal wird auch verwendet, um Feedback von den Gemeinden zu erhalten.

Menschen ändern ihr Verhalten und helfen richtig

In den zehn Jahren, die Ärzte ohne Grenzen bereits in Yambio tätig ist, haben die Maßnahmen der Gesundheitsaufklärung einen wichtigen Beitrag bei der Veränderung des Verhaltens von Frauen und besonders Schwangeren in ihrem Zugang zu medizinischer Hilfe geleistet.

Gesundheitsaufklärung wird auch eingesetzt, um das Überweisungssystem von der Gemeinde bis zum Spital mit Informationen zu versorgen und zu verbessern: Menschen werden über die Leistungen von Ärzte ohne Grenzen informiert sowie wo und wie sie diese finden. Wenn sie dann auf einen komplizierten Fall stoßen, organisiert die  lokale Gemeinschaft den Transport des Kranken zum nächstgelegenen Gesundheitszentrum oder Krankenhaus – oder von einem primären, kommunalen Zentrum in ein Spital und umgekehrt.

Viele Frauen wie Adem leiden oder sterben, weil sie nicht genügend Wissen besitzen. Diese Geschichte verdeutlicht die essentielle Rolle, die Gesundheitsaufklärung bei der Arbeit von Ärzte ohne Grenzen einnimmt.

Lesen Sie demnächst den zweiten Teil unserer Reihe mit Patienten-Berichten aus dem Südsudan über unsere Aktivitäten im Bereich Gesundheitsaufklärung!