Psychologische Hilfe in Nord-Kivu

05.02.2014
Mehr als 80% der Vertriebenen sind Opfer von Gewalt - Bedarf an psychosozialer Betreuung enorm

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Krankenschwester Emmanuelle Wahl trägt ein mangelernährtes Kind
Demokr. Republik Kongo, 21.12.2011: Die Krankenschwester Emmanuelle Wahl trägt ein Kind, das unter Mangelernährung leidet. Es wird in das Krankenhaus in Mweso überstellt. Ohne Behandlung würde das Kind nicht überleben.

Der über Monate anhaltende Konflikt zwischen bewaffneten Gruppen in der Region Nord-Kivu in der Demokratischen Republik Kongo hat die Bevölkerung einem extremen Ausmaß an Gewalt ausgesetzt. Viele Menschen haben lebensbedrohliche Verletzungen erlitten, Familienmitglieder in den Kämpfen verloren und wurden gezwungen, aus ihren Häusern zu flüchten. Neben den dadurch entstandenen physischen Traumata wurden den Menschen auch tiefe psychologische Wunden zugefügt, die oft weniger offensichtlich als körperlicher Verletzungen sind – und daher Gefahr laufen, unbehandelt zu bleiben.

Währen des vergangenen Jahres haben tausende Familien Zuflucht in Vertriebenenlagern in Bibwe in Nord-Kivu gesucht. Im Zeitraum von Jänner bis August 2013 hat sich die Bevölkerung in dieser Gegend beinahe verdoppelt – von ca. 8.000 auf mehr als 15.000 Menschen. Als Reaktion auf die psychologischen Bedürfnisse haben die Teams von Ärzte ohne Grenzen psychosoziale Betreuung in ihre bestehendes medizinisches Programm in Bibwe aufgenommen.

 

Ethnischer Konflikt: 80% sind Opfer der Gewalt

 

Bibwe ist eine Stadt mit einigen Tausend EinwohnerInnen und liegt ca. 135km nordwestlich von Goma im konfliktreichen Gebiet Nord-Kivu. Obwohl Bibwe in der Vergangenheit selbst Schauplatz interreligiöser Zusammenstöße war, sind wegen der ethnisch motivierten Gewalt in den benachbarten Regionen im vergangenen Jahr mehr als 3.000 vertriebene Familien nach Bibwe geflüchtet.

Die Teams von Ärzte ohne Grenzen haben eine Erhebung der psychologischen Bedürfnisse durchgeführt, nachdem sie von den neu ankommenden vertriebenen Menschen verstörende Erzählungen gehört hatten. Die Ergebnisse waren alarmierend: Von insgesamt 600 Befragten gaben mehr als 80% an, Opfer von direkter Gewalt gewesen zu sein – fast 90% waren Zeuge eines Gewaltaktes.

Die Folgen der Gewalt auf die psychosoziale Gesundheit der Menschen sind verheerend. 71% der Befragten berichteten von Alpträumen, und 74% erzählten von Flashbacks der gewaltsamen Ereignisse, die sie erlebt hatten.

„Eines morgens sah ich Körperteile von Menschen überall liegen – ich konnte nicht zuordnen, welcher Fuß zu welchem Kopf gehörte“, erzählt ein 38-jähriger Mann. Er beobachtete wie 30 Menschen, darunter auch seine vier Brüder, zu Tode gehackt wurden. „Jetzt geht mir diese Bilder von dem, was damals passiert ist, immer wieder untertags und in der Nacht durch den Kopf.“

 

Psychologische Beratung als Bestandteil humanitärer Hilfe

 

Um auf die beträchtlichen pychologischen Bedürfnisse zu reagieren trainiert Ärzte ohne Grenzen BeraterInnen, die mit den Überlebenden der Gewalt in den Lagern arbeiten. Die Teams bieten Hilfegruppen an sowie Beratungen für Einzelpersonen, Familien und Gruppen.

„Die überwiegende Mehrheit dieser Menschen haben entweder selbst Gewalt erlebt oder waren in Lebensgefahr, und viele haben direkte Familienmitglieder verloren“, erklärt Isabel Rivera, die für das Programm verantwortliche Psychologin von Ärzte ohne Grenzen . „Der Bedarf an psychologischer Hilfe in Bibwe ist enorm und sollte als wichtiger Bestandteil humanitärer Hilfe in dieser Gegend betrachtet werden.“

Viele weitere humanitäre Bedürfnisse bleiben in den Lagern weiterhin unerfüllt. Nur wenige humanitäre Organisationen sind in Bibwe präsent. Die meisten davon haben keinen regelmäßigen Zugang zum Gebiet auf Grund des schlechten Zustands der Straßen sowie wegen Erdrutschen und Steinschlägen während der Regenzeit. Viele Familien erzählen, dass sie immer noch zu wenig Nahrung, Wasser und Kochmöglichkeiten haben und sie kein Geld für den Kauf von Saatgut oder Werkzeug besitzen, um ihr eigenes Essen anzubauen. Die Unterkünfte sind sehr einfach und bieten keinen ausreichenden Schutz vor dem Regen.

„Die schlechten Lebensbedingungen der Menschen macht sie noch angreifbarer für psychologische Probleme wie Stress und Krankheiten“, erläutert Rivera. „Während in bestimmten Regionen von Nord-Kivu bereits eine verhältnismäßig friedvolle Phase eingetreten ist dürfen wir nicht vergessen, dass viele Gebiete immer noch von der Gewalt und den Vertreibungen betroffen sind und die Menschen weiterhin Hilfe benötigen. Wir müssen die psychische Not der Menschen hier anerkennen und darauf reagieren.“

Ärzte ohne Grenzen ist seit 1981 in der Demokratischen Republik Kongo tätig und bietet primäre Gesundheitsversorgung in Gesundheitszentren in Bibwe an sowie sekundäre Versorgung im nahegelegenen Mweso Krankenhaus. In der Provinz Nord-Kivu führ Ärzte ohne Grenzen Hilfsprogramme in den Gegenden von Goma, Walikale, Masisi und Rutshuru durch. Fast 3.000 nationale und internationale MitarbeiterInnen sind derzeit in mehr als 20 Projekten beschäftigt in Kinshasa, Maniema, Nord-Kivu, Süd-Kivu, Katanga und der Provinz Orientale.