Psychische Verletzungen im Irak und ein Weg zu helfen

18.12.2012
Ärzte ohne Grenzen führt psychologische Betreuung ein

Themengebiet:

Libanon 2012
Dina Debbas
Saida, Libanon, 17.04.2012: Auch in Flüchtlingslagern im Libanon setzt Ärzte ohne Grenzen erfolgreich auf psychologische Betreuung.

Der Chefarzt der Abteilung Rehabilitation des größten Krankenhauses in Falludscha erzählt, er verschreibe seinen Patientinnen und Patienten wegen der Einführung der psychologischen Betreuung durch Ärzte ohne Grenzen nun weniger Medikamente. Viele Menschen in dieser Abteilung wurden bei gewalttätigen Zusammenstößen, etwa Bombenexplosionen, verletzt. Der Arm eines jungen Mannes Anfang Zwanzig wurde bei einer sechs Monate zurückliegenden Explosion zertrümmert. Die Metallschiene, die an den Knochen angebracht wurde, tritt an drei Stellen aus seinem Arm heraus. Er sieht deprimiert aus und sein Vater sagt, er sei besorgt um seine Zukunft. Gerade ist er zu seiner ersten Beratungssitzung überwiesen worden, sein Arzt ist optimistisch, dass sich sowohl sein Arm als auch seine Stimmung erholen werden.

Neuer Zugang zu psychischen Leiden

Während der vergangenen zwei Jahre hat Ärzte ohne Grenzen dabei geholfen, einen neuen Zugang zur psychischen Gesundheit im Irak zu schaffen. Während im Land schwer psychische Kranke mit Psychopharmaka und Elektrokrampftherapie behandelt werden, arbeitet Ärzte ohne Grenzen mit dem irakischen Gesundheitsministerium daran, psychologische Beratung zu etablieren. Sehr oft ist etwa eine Behandlung mit Medikamenten bei Traumata nicht notwendig. Mit der richtigen Anleitung und dem Erklären einfacher Bewältigungsstrategien, können die Menschen lernen, mit Angst und Sorge umzugehen und sie können in ihren Lebensalltag zurückfinden. Die Nachfrage nach dieser Art von Hilfe scheint in Anbetracht der großen Zahl Menschen, die die Auswirkungen der Gewalt in ihren verschiedenen Formen erleben mussten, enorm.

Viele Fälle, viele Beispiele

Es gibt so viele Beispiele. So kam etwa eine Frau in das Krankenhaus, die aufgrund ihrer starken Rückenschmerzen fürchtete, sie könnte einen Tumor haben. Die Ärzte fanden jedoch nichts und überwiesen sie daher zur psychologischen Beratung. Dabei stellte sich heraus, dass ihr Sohn im vergangenen Jahr an Ramadan am Ende des Tages vor das Haus trat und dort von einer Bombe erwischt wurde. Der Kummer seiner Mutter war so groß, dass er sich psychisch auswirkte.

Vor einigen Monaten wurde ein Mann bei einer Explosion von einem Schrapnell getroffen. Der Splitter entstellte ihn und ließ ihn auf einem Auge erblinden. Er war Händler, zog sich jedoch zurück, verlor seine Zuversicht und fühlte sich stigmatisiert. Seine Frustration ließ er zuhause an seiner Frau und seinem Sohn aus, beide sind nun in psychologischer Beratung.

Ausweitung der Beratungen

Es gibt viele solcher Patientenberichte unter den hunderten Patientinnen und Patienten, die die Teams von Ärzte ohne Grenzen und Gesundheitsministerium jedes Monat beraten. Im Schnitt sind es 300 neue Klientinnen und Klienten und mehr als 800 Beratungen pro Monat. Bislang hat Ärzte ohne Grenzen in drei Spitälern in Bagdad und Falludscha die psychologischen Beratungen eingeführt. Das Modell soll an weiteren Gesundheitseinrichtungen wiederholt werden. Das Gesundheitsministerium hat sich verpflichtet und Ärzte ohne Grenzen hilft dabei, eine nächste Generation von Beratern und Trainern für die nächsten Einsatzorte auszubilden. An zwei Orten wurden telefonische Beratungsstellen für Patienten eingerichtet, die mehr Information möchten oder keinen Zugang zu Beratern haben. Teams von Sozialarbeitern wurden damit beauftragt, die Services in den Gemeinden bekannt zu machen. Außerdem werden Fortschritt und Verbesserung des Zustandes der Patientinnen und Patienten gemessen.

Zusammenhang zu anhaltender Gewalt

Im Irak fehlt es deutlich an psychologischen Diensten. Die Bedürfnisse sind groß, aber die positiven Auswirkungen der Beratungen sind auch sichtbar. Mehr als die Hälfte der Fälle weisen einen Zusammenhang zu Gewalt auf, sei es etwa häusliche Gewalt, einschließlich sexueller Übergriffe, oder auch durch das Mitansehen/Erleben von gewalttätigen Ereignissen, oft Explosionen. Vor einiger Zeit wurde zum Beispiel eine Granate in einen Bereich geworfen, in dem ein Mann gerade mit seiner Familie saß. Seine Frau und seine Tochter wurden getötet und sein Bein sehr schwer verletzt. Im Krankenhaus verweigerte er die Behandlung und die Einnahme von Medikamenten. Nach zwei Wochen psychologischer Beratung nahm er die Behandlung an und konnte bald darauf aus dem Krankenhaus entlassen werden.

Starke Einschränkungen

Ein anderes Beispiel ist ein sechsjähriger Junge, der psychologische Beratung bekommt, da er wiederholt das Opfer sexuellen Missbrauchs geworden war. Eine Kindergartenpädagogin macht Beratungen nach einer Entführung, bei der sie auch körperlich angegriffen worden war und der sie entfliehen konnte. Solche Fälle seelischer Verletzungen behandeln die Berater von Ärzte ohne Grenzen jeden Tag.

Die Wirkung solcher psychischer Traumata kann zu einem Leben mit starken Einschränkungen führen. Die Menschen leiden an Albträumen, Ängsten, Depressionen, Apathie oder Aggressionen und in manchen Fällen können sie ihr Leben nicht mehr normal führen. Die psychologische Beratung ist kein Wundermittel, aber sie kann schnell die Symptome der Menschen verbessern und ihnen helfen, rasch in ihr Leben zurückzufinden, ihre Pflichten wieder aufzunehmen. Psychologische Hilfe ist kein Ersatz für psychiatrische Behandlung, aber sie kann einen großen Unterschied im Leben der betroffenen Menschen bewirken.