Nepal: „Die größte Herausforderung sind jetzt Transportmittel.“

01.05.2015
Dr. Prince Mathew berichtet aus Nepal von den großen logistischen Herausforderungen vor Ort im Erdbebengebiet und von unseren ersten Hilfsaktivitäten.

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Kathmandu, Nepal
Jean-Paul Delain/MSF
Kathmandu, Nepal, 29.04.2015: Nach dem verheerenden Erdbeben vom 25. April sind tausende Todesfälle zu beklagen - weit mehr Menschen sind verletzt und obdachlos. Ärzte ohne Grenzen hat Einsatzkräfte und Material nach Nepal entsandt und Hilfsaktivitäten vor Ort gestartet.

Nach dem Erdbeben vom vergangenen Samstag wurde Dr. Prince Mathew sofort nach Nepal geschickt. Eigentlich arbeitet er für uns in Indien, wo er unsere Projekte in Bihar koordiniert. Er berichtet von den großen logistischen Herausforderungen vor Ort im Erdbebengebiet und von unseren ersten Hilfsaktivitäten – wie mobile Kliniken für Menschen in entlegenen Bergregionen.

„Gemeinsam mit zwei anderen Kollegen verließ ich Dehli am Sonntag um 11 Uhr vormittags. Wegen der starken Nachbeben, die zur Evakuierung des Flughafens führten, kreisten wir stundenlang über der Stadt und wurden zunächst nach Dehli zurück geschickt. Schließlich landeten wir abends um 20 Uhr auf dem Flughafen in Kathmandu, wo völliges Chaos herrschte: Tausende Menschen wollten das Land verlassen, und Hunderte versuchten, hineinzukommen, um Hilfe zu leisten. Um 1 Uhr nachts kamen wir dort schließlich mit den medizinischen Hilfsgütern, die wir mitgebracht hatten, raus.

Flughafen überlastet, Hilfsgüter auf dem Landweg

Wir wussten, dass es extrem schwierig werden würde, Einsatzkräfte und Material über den Flughafen in Kathmandu ins Land zu bekommen. Daher machten sich vier unserer Teams aus Bihar auf dem Landweg mit einem Lastwagen auf, der 1.000 Kits mit Plastikplanen sowie 500 Hygiene-Kits und 500 Kits mit Hilfsgütern für Familien enthielt. Nach einigen Verzögerungen an der Grenze erreichten diese Teams am Montag die Stadt Gorkha, die 200 Kilometer nordwestlich von Kathmandu und damit in der Nähe des Epizentrums des Erdbebens liegt.

Am Montagmorgen haben wir alles in unserer Macht Stehende versucht, um einen Hubschrauber in Kathmandu zu finden. Zum Glück fanden wir einen Piloten, der bereit war, uns nachmittags drei Stunden lang über Gebiete außerhalb Kathmandus zu fliegen, damit wir uns ein Bild von den betroffenen Regionen machen konnten. Die Verwüstungen waren eindeutig zu sehen. Wir flogen über Bezirke im Osten, Norden und Westen Kathmandus und konnten erkennen, dass von 65 Dörfern mindestens 45 ganz oder teilweise zerstört worden waren. Wir sahen Menschen in behelfsmäßigen Unterkünften – es war somit klar, dass es einen großen Bedarf für Notunterkünfte, Hygienematerialien und Kochutensilien gibt.

Menschen schlafen in Zelten und Notunterkünften

In Kathmandu selbst sind die Zerstörungen relativ gering – die meisten Gebäude und Häuser stehen noch. Allerdings schlafen viele Menschen draußen in Zelten oder in Notunterkünften, da wegen der Nachbeben Angst haben, sich in Innenräumen aufzuhalten. Dabei ist zu bedenken, dass die saisonalen Regenfälle bereits begonnen haben und in den kommenden Tagen und Wochen zunehmen werden. Der enorme Druck auf die Krankenhäuser in und um Kathamandu, weil so viele Patienten operiert werden mussten, um Gliedmaßen oder ihr Leben zu retten, hat nachgelassen. Die Menschen warten jetzt auf kleinere oder Folge-Operationen sowie auf die Behandlung üblicher Krankheiten.

Größte Herausforderung sind Transportmittel

Wir verfügen noch nicht über einen vollständigen Überblick über die Bedürfnisse des Landes, weil die am stärksten betroffenen Gebiete in der abgelegenen Bergregion außerhalb Kathmandus sind. Es ist schon schwierig, Informationen über das Ausmaß der Beschädigung und den Verlust von Menschenleben in diesen Bereich zu erhalten; erst jetzt fängt das alles an, klar zu werden. Die größte Herausforderung sind jetzt Transportmittel. Es gibt viele kleine Dörfer, die über einen großes Gebiet von sehr schwierigem Gelände verteilt sind. Schon vor dem Erdbeben waren diese schwer zugänglich. Aufgrund der vielen durch Lawinen abgeschnittenen Straßen und dem Risiko weiterer Erdrutsche ist der einzige Weg dort hin via Hubschrauber. Die sind jedoch Mangelware – vor allem Transporthubschrauber, die in der Lage sind, tonnenweise Hilfsgüter zu transportieren.

In den Tagen nach dem Erdbeben gab es aus der ganzen Welt einen großen Zustrom von Hilfsorganisationen und staatlichen Hilfsteams. Das Wichtigste ist jetzt, dass die Hilfe die betroffenen Gebiete außerhalb Kathmandus erreicht. Unsere Priorität ist es, Menschen an Orten zu erreichen, wo sonst noch niemand ist und die Menschen noch keine Unterstützung erhalten. Es ist eine enorme logistische Herausforderung, die erforderlichen Lieferungen durch den immer noch überlasteten Flughafen zu schleusen und den Lufttransport sicherzustellen, den wir brauchen, um medizinische Hilfe zu leisten und Hilfsgüter zu den Menschen zu bringen, die sie am dringendsten brauchen.

Mehr mobile Kliniken in entlegenen Regionen nötig

Am Donnerstag starteten wir mobile Kliniken mit dem Hubschrauber in abgelegenen Dörfern der Bergregion nördlich von Kathmandu. In den Wochen nach Naturkatastrophen wie einem Erdbeben werden Wasserversorgung und Abwasserentsorgung zu kritischen Faktoren. Menschen können Durchfallerkrankungen und Infektionen der Atemwege entwickeln, weil sie im Freien leben müssen. Wir müssen daher die Zahl der mobilen Kliniken so schnell wie möglich erhöhen und wachsam bleiben in Bezug auf übertragbare Krankheiten wie Masern. Unsere Teams planen auch, Tonnen von Material für provisorische Unterkünfte, persönliche Hygiene und Kochutensilien zu verteilen. Mit der bevorstehenden Monsunzeit machen wir uns Sorgen, dass sich das Zeitfenster, in dem wir diese Menschen erreichen können, rasch schließen könnte.“