Eindrücke aus Port-au-Prince (Teil 2)

19.01.2010
Isabelle Jeanson von Ärzte ohne Grenzen beschreibt ihre Erlebnisse vom 19.01.2010.Sie schildert eine Begegnung mit einem kleinen Mädchen, das viel erlitten hat.

Themengebiet:

Dienstag, 19. Jänner, Port-au-Prince

Gestern habe ich das Trinité-Krankenhaus besucht. Ein kleines Mädchen, etwa anderthalb Monate alt, lag im Bett auf einer Seite. Ihr rechter Arm war amputiert worden und sie war bandagiert. Die Hilfskrankenschwester erzählte mir ihre Geschichte – traurig und gleichzeitig ein kleines Wunder. Das Baby war im Krankenhaus, als das Erdbeben dieses teilweise zerstörte. Irgendwie überlebte sie den Sturz zwischen Betonböden und –wänden und wurde aus dem Schutt gerettet. Wir haben keine Ahnung, wo ihre Mutter ist. Wahrscheinlich hat sie keine Familie mehr.

Manche Menschen verkaufen jetzt Lebensmittel auf improvisierten Märkten und es gibt wieder mehr Verkehr auf den Straßen. Überall ist der Lärm von Hubschrauben zu hören. Mehr und mehr Hilfsorganisationen tauchen jetzt auf, und Lastwägen und einige Kräne arbeiten sich durch die Ruinen der Gebäude. Wer weiß, wie lange es dauern wird, bis sie sich durch den ganzen Schutt gegraben haben und all die Verschütteten gefunden sind. Ein Mann mit einer Schussverletzung wurde auf einer Trage hereingebracht. Zwei Ärzte liefen sofort herbei, überprüften zunächst, ob er bei Bewusstsein war und ob er seine Arme und Beine fühlen konnte. Obwohl der Schuss durch seinen Hals gegangen war, entschieden sie, dass er „operierbar“ sei, das heißt, dass das Team sein Leben auch unter den eingeschränkten  Bedingungen unseres Operationssaals (in diesem Fall ein Frachten-Container) retten könnte.

Die Patienten, die wir behandeln, werden unser Krankenhaus als veränderte Menschen verlassen. Viele benötigen Amputationen, da ihre Extremitäten so eingequetscht wurden, dass sie nicht mehr gerettet werden konnten. Ein Kollege von mir, der bereits auf seinem vierten Einsatz ist, sagte mir, wie beeindruckt er sei, da er nicht wusste, dass Ärzte ohne Grenzen in der Lage sei, das Personal, die Logistik und die Einrichtungen aufzustellen, die für diese Art von Noteinsatz notwendig sind.

Noch beeindruckender allerdings ist die Tatsache, dass jeder hier, einschließlich unserer hatianischen Mitarbeiter, auf ein gemeinsames Ziel konzentriert ist: jenes, so viele Menschenleben wie möglich zu retten.