Noteinsatz in Haiti: Tag 5

17.01.2010
Konzentration auf lebensrettende chirurgische Eingriffe

Themengebiet:

Erdbeben in Haiti
Julie Remy
Port-au-Prince, Haiti, 16.01.2010: Amputation eines durch herabfallende Trümmer schwer verletzten, bereits von Wundbrand befallenen Beins eines zwölfjährigen Mädchen.

Am fünften Tag des Noteinsatzes nach der Katastrophe in Haiti sind die Teams von Ärzte ohne Grenzen weiterhin darum bemüht, so gut wie möglich auf den immensen Bedarf an lebensrettenden chirurgischen Eingriffen für die Schwerverletzten zu reagieren. In den bestehenden, nur eingeschränkt funktionstüchtigen Operationssälen wird rund um die Uhr operiert. Gleichzeitig suchen die Teams nach Möglichkeiten, die Kapazitäten zu vergrößern, indem sie weitere OP-taugliche Lokalitäten finden und mobile Einrichtungen ins Land bringen.

In dem seit kurzem wieder einsatzfähigen OP-Saal im Krankenhaus des Stadtteils Carrefour hat das Team mittlerweile 90 Operationen durchgeführt. Zwei Stunden, nachdem die Mitarbeiter das Krankenhaus ausfindig gemacht hatten, war der Operationssaal wieder verwendbar.  Auch im Choscal Krankenhaus hat das dortige Team am Samstag etwa 90 Operationen durchgeführt. Ein anderes Team arbeitet in einem Container und hat etwa 20 Verletzte chirurgisch versorgt. 

Mehr Material unterwegs

Mehr Material und Strukturen sind unterwegs, doch das aufblasbare Krankenhaus mit zwei Operationssälen, auf das die Teams warten, ist verspätet, da eines der Transportflugzeuge keine Landeerlaubnis für den Flughafen von Port-au-Prince erhalten hatte und in die Dominikanische Republik umgeleitet wurde. Die andere Hälfte des Krankenhauses kam heute an. Ärzte ohne Grenzen befürchtet weiterhin, dass die Einfuhr überlebenswichtiger Güter verzögert wird. 

Über die Bedingungen in Städten außerhalb der Hauptstadt, von denen manche sogar noch näher am Epizentrum des Erdbebens liegen, gibt es mittlerweile auch Informationen. Ein Team von Ärzte ohne Grenzen plant heute, mit einem Hubschrauber in die Stadt Jacmel an der Südküste der Insel zu fliegen. Andere haben den Bedarf an Hilfe in Léogâne - etwa eine Stunde außerhalb von Port-au-Prince - ermittelt. In Saint­Marc, einem weniger verwüsteten Gebiet, in das sich Tausende Menschen aus der Stadt geflüchtet haben, sind Hunderte Verletzte im Krankenhaus.

Trotz der logistischen Einschränkungen konnte Ärzte ohne Grenzen seit dem Erdbeben mehr als 100 Hilfskräfte zur Verstärkung der bestehenden Teams nach Haiti bringen – darunter Chirurgen, Anästhesisten, Nierenspezialisten und Psychologen. Viele von ihnen mussten auf dem Landweg über die benachbarte Dominikanische Republik einreisen. Vier Frachtflugzeuge mit Tonnen von Hilfsgütern und einigen Hilfskräften konnten seit Donnerstag direkt in Port-au-Prince landen.

Die Teams vor Ort berichten, dass sich die Lage der oft verzweifelten Menschen in den Straßen noch nicht verbessert hat. Der Mangel an Nahrungsmitteln und an sauberem Trinkwasser verschärft die Spannungen.Ärzte ohne Grenzen versucht nach wie vor, Klarheit über das Schicksal aller haitianischen Mitarbeiter der Organisation zu bekommen. Es ist traurige Gewissheit, dass einige von ihnen das Beben nicht überlebt haben. Aufgrund der enorm schwierigen Kommunikation in Port-au-Prince konnten noch nicht alle Kollegen von Ärzte ohne Grenzen ausfindig gemacht werde.