Zehntausenden Syrern an der Grenze wird medizinische Hilfe vorenthalten – Berichte über Tote

21.09.2016
Die Teams von Ärzte ohne Grenzen haben Berichte über einen Krankheitsausbruch mit mehreren Toten erhalten.
MSF Press Release: Syrian Refugees Stuck on Jordan Border
HH
A Syrian refugee child sits next to his grandmother while peeling eggplant for dinner, outside their tent at an informal tented settlement near the Syrian border on the outskirts of Mafraq, Jordan. The number of Syrian refugees stranded in a remote desert area known as "the berm," on the Jordanian border has tripled to 12,000 since last month, the U.N. refugee agency said Tuesday, Dec. 8, 2015.

Seit drei Monaten sitzen mehr als 75.000 vertriebene Syrer ohne jegliche medizinische Hilfe an der geschlossenen Grenze zu Jordanien fest. Die Teams von Ärzte ohne Grenzen haben nun Berichte über einen Krankheitsausbruch mit mehreren Toten erhalten.

„Nach bislang unbestätigten Berichten ist unter den Vertriebenen eine Atemwegserkrankung ausgebrochen“, sagt Natalie Thurtle, medizinische Leiterin des Teams von Ärzte ohne Grenzen im äußersten Nordosten Jordaniens, das nicht zu den Vertriebenen vorgelassen wird. „Es heißt, die Menschen litten an beständigem Husten und es gebe mehrere Tote. Die Menschen konnten nicht geimpft werden und es besteht das Risiko, dass es sich um Keuchhusten handelt. Wir können die Patienten aber nicht diagnostizieren und behandeln, wenn wir nicht zu ihnen dürfen.“

75.000 Menschen ohne medizinische Hilfe

Die jordanische Regierung hatte die Grenze am 21. Juni geschlossen, nachdem ein Anschlag auf den Grenzübergang verübt worden war. Seitdem sitzen mehr als 75.000 Syrer in dem „Berm“ genannten Gebiet in einem improvisierten Lager in der Wüste fest. Drei Viertel von ihnen sind Frauen und Kinder. Sie leben unter unhygienischen Bedingungen bei Temperaturen von bis zu 50 Grad Celsuis. Sie wurden in eingeschränktem Ausmaß mit Wasser und ein einziges Mal mit Nahrungsmitteln versorgt. Medizinische Hilfe gibt es seit Juni überhaupt nicht mehr.

Vor dem 21. Juni hatte Ärzte ohne Grenzen 23 Tage lang Hilfe in dem Lager leisten können. Die Teams stellten damals einen massiven Bedarf an medizinischer Versorgung fest. Sie behandelten etwa zahlreiche Kinder gegen Mangelernährung und Durchfallerkrankungen.

Ärzte ohne Grenzen fordert Aufhebung der Restriktionen für humanitäre Hilfe

Angesichts der akuten Notlage fordert Ärzte ohne Grenzen die jordanische Regierung auf, alle Restriktionen für humanitäre Hilfe aufzuheben und den medizinischen Teams Zugang zu dem Gebiet zu gewähren. Ärzte ohne Grenzen betont, dass die Organisation keinen Vorschlag akzeptiert, der die Rückführung von Menschen ins Landesinnere Syriens vorsieht oder der keine unparteiische medizinische Versorgung ermöglicht. Ärzte ohne Grenzen fordert erneut eine langfristige Lösung für die Menschen.

Mehr als 250 Kilometer weiter westlich wird kriegsverletzten Syrern an der syrisch-jordanischen Grenze nach wie vor der Grenzübertritt in die jordanische Stadt Ramtha verweigert, wo Ärzte ohne Grenzen chirurgische Nothilfe anbietet. Zwischen September 2013 und der Grenzschließung im Juni 2016 haben die Teams in der Notaufnahme in Ramtha mehr als 2.400 verwundete Syrer behandelt.

"Ich fühle mich hilflos"

„Derzeit ist unser Krankenhaus praktisch leer“, sagt der Projektkoordinator Michael Talotti. „Wir haben nur neun Patienten. Wir wissen, dass sich nur fünf Kilometer von hier verletzte Syrer befinden, die wegen der Grenzschließung keine Behandlung bekommen können. Ich fühle mich hilflos in unserer leeren Notaufnahme, während die Zahl der Verwundeten im Süden Syriens kontinuierlich steigt.“

Seit dem 21. Juni hat Ärzte ohne Grenzen 56 Fälle registriert, in denen verletzten Syrern der Grenzübertritt verweigert wurde, obwohl sie eine Behandlung in Jordanien dringend gebraucht hätten. Elf dieser Patienten waren Kinder zwischen drei und 14 Jahren.

Ärzte ohne Grenzen fordert die jordanische Regierung erneut dazu auf, sofort Krankentransporte verletzter Syrer nach Jordanien über den Grenzübergang im Nordwesten des Landes zu erlauben. Nur so können sie die lebensrettende medizinische Versorgung erhalten, die es in Syrien nicht mehr gibt.