Während die europäischen Regierungen die humanitäre Hilfe blockieren, ertrinken immer mehr Menschen

12.07.2018
Allein in den letzten vier Wochen sind über 600 Menschen, darunter auch Babys und Kleinkinder, ertrunken. Das bedeutet, dass sich die Hälfte aller bisherigen Tode im Jahr 2018 zu einer Zeit ereignete, als keine NGO-Rettungsschiffe im zentralen Mittelmeerraum im Einsatz waren.
Diplomatic Stand Off Mediterranean Sea
Kenny Karpov/SOS MEDITERRANEE
The 630 people currently onboard Aquarius were rescued during night of Saturday to Sunday, when Aquarius carried out six rescue and transfer operations in the span of nine hours – all under instruction from the Italian Maritime Rescue Coordination (IMRCC). The rescue of 2 rubber boats turned critical when one boat broke apart in the darkness, leaving over 40 people in the water.

Einen Monat nachdem Italien das von SOS Méditerranée und Ärzte ohne Grenzen betriebene Such- und Rettungsschiff „Aquarius“ davon abgehalten hat, 630 auf See gerettete Menschen an Land gehen zu lassen, ist die Zahl der Toten im zentralen Mittelmeerraum in die Höhe geschossen. Allein in den letzten vier Wochen sind laut der Migrationsbehörde der Vereinten Nationen (IOM) mehr als 600 Menschen, darunter auch Babys und Kleinkinder, ertrunken. Das bedeutet, dass sich die Hälfte aller bisherigen Tode im Jahr 2018 zu einer Zeit ereignete, als kein einziges NGO-Rettungsschiff im zentralen Mittelmeerraum aktiv war.

„Die politischen Entscheidungen der EU-Staaten der vergangenen Wochen haben tödliche Folgen. Es war eine kaltblütige Entscheidung, Männer, Frauen und Kinder im Mittelmeer ertrinken zu lassen. Das ist unfassbar und inakzeptabel“, sagt Karline Kleijer, Notfallkoordinatorin bei Ärzte ohne Grenzen. „Statt absichtlich lebensrettende medizinische und humanitäre Hilfe für Menschen in Seenot zu behindern, müssen die europäischen Regierungen besser selbst gezielte Such- und Rettungsaktivitäten starten.“

Die NGO-Schiffe, die in den internationalen Gewässern zwischen Malta, Italien und Libyen im Einsatz waren, wurden beschuldigt, ein Pull-Faktor zu sein. Die letzten Entwicklungen am Mittelmeer, zeigen jedoch, dass die Menschen so verzweifelt sind aus Libyen zu fliehen, unabhängig davon, ob Such- und Rettungsschiffe vor Ort sind oder nicht. Gewalt, Armut und der Konflikt drängen die Menschen zu dieser Entscheidung, ihr Leben und das ihrer Kinder auf hoher See zu riskieren.

Die europäischen Regierungen wissen umfassend Bescheid über das alarmierende Ausmaß an Gewalt und Ausbeutung, dem Flüchtlinge und Migranten in Libyen ausgesetzt sind. Trotzdem halten sie die Menschen um jeden Preis davon ab, Europa zu erreichen. Eine Schlüsselkomponente dieser Abschottungsstrategie ist es, die libysche Küstenwache auszurüsten, auszubilden und zu unterstützen. Nur dadurch ist es dieser möglich, die Menschen auf See abzufangen und nach Libyen zurückzubringen. Schiffsbesatzungen, die nicht unter libyscher Flagge fahren, würden gegen internationale Abkommen verstoßen, falls sie Menschen nach Libyen zurückbrächten. Libyen ist kein sicherer Ort. Menschen, die in internationalen Gewässern gerettet werden, dürfen nicht dorthin zurückgezwungen werden, sondern müssen in Einklang mit dem Seerecht und internationalen Abkommen in einen sicheren Hafen gebracht werden.

Die libysche Küstenwache hat seit Jahresbeginn etwa 10.000 Menschen auf dem Mittelmeer abgefangen und in Internierungslagern gefangen gesetzt, ohne Rücksicht auf die Gefahren für Leib und Leben, denen sie die Menschen dort aussetzt. Die Strategie der EU, alle Verantwortung für die Seenotrettung einfach auf die libysche Küstenwache abzuwälzen, wird zu mehr Leid und zu weiteren Todesfällen führen.

Die Rettung von Menschenleben muss absolute Priorität haben. Skrupellose Schleuser setzen nach wie vor Menschen in seeuntüchtige Boote und bringen sie so in Lebensgefahr. Ein ausreichend ausgestattetes und funktionierendes staatliches System zur Seenotrettung im Mittelmeer ist dringend nötig. Solange es dies nicht gibt, sind private Rettungsschiffe dringend notwendig, um Menschenleben zu retten. Der Zugang zu den nächstgelegenen sicheren Häfen, ob für die Ausschiffung Geretteter oder für die Aufstockung von Nahrungsmitteln, muss ihnen gewährt werden.

„Die politische Entscheidung, die Häfen für die Ausschiffung Geretteter zu schließen, und das totale Chaos im zentralen Mittelmeer, haben zu noch mehr Toten geführt auf dieser ohnehin lebensbedrohlichsten Fluchtroute über das Meer“, sagte Sophie Beau, Vizepräsidentin von SOS Mediterranee. „Europa trägt die Verantwortung für diese Ertrunkenen. Die europäischen Regierungen müssen sofort reagieren und garantieren, dass das internationale Seerecht und das humanitäre Völkerrecht voll und ganz eingehalten werden, die die Verpflichtung, Schiffbrüchige zu retten, festlegen.“