Ost-Ghuta: Mindestens 770 Tote und über 4000 Verletzte ohne ausreichende medizinische Versorgung

02.03.2018
Viele der Toten und Verletzten sind Frauen und Kinder. Das Gesundheitspersonal ist völlig überlastet und am Rande seiner Kräfte.
Destroyed Ambulances in East Ghouta, Syria
MSF
The last two functional ambulances in Al-Marj neighbourhood (in the East Ghouta besieged area near Damascus) were destroyed beyond repair in an aerial bomb attack on Monday 05 December 2016. They were parked in the hospital’s warehouse/garage, very near to the makeshift hospital’s location. Two hospital cars, used to transporting supplies and medical personnel, were also destroyed in the blast. The lack of ambulances will have an impact on the ability to quickly treat wounded when there is bombing or shelling in the area, but above all it will affect the capacity to refer the most sick patients to larger secondary referral hospitals. The makeshift hospital in Al-Marj is not equipped for complex or long-term in-patient hospital care, and this could have a big impact on the ability to refer patients for appropriate secondary care.

Nach Berichten von Ärzten und Ärztinnen aus Ost-Ghuta sind seit Beginn der schweren Angriffe auf die von Rebellen kontrollierten Gebiete östlich von Damaskus innerhalb von zehn Tagen mindestens 770 Menschen getötet und 4050 verletzt worden. Diese Zahlen beziehen sich auf die Zeit vom 18. bis 27. Februar. Dabei handelt es sich um Todesfälle bzw. Patienten und Patientinnen in 20 Gesundheitseinrichtungen in Ost-Ghuta, die von Ärzte ohne Grenzen/Médecins Sans Frontières (MSF) unterstützt werden.

Die tatsächliche Zahl der in Ost-Ghuta Getöteten und Verletzten liegt höher, da das medizinische Personal der unterstützten Kliniken Daten oft nur mit Verzögerung übermitteln kann, da es weitere Gesundheitseinrichtungen gibt, die nicht von Ärzte ohne Grenzen unterstützt werden, und da viele Menschen die Gesundheitseinrichtungen gar nicht erst erreichen. Viele der Toten und Verletzten sind Frauen und Kinder. Am vergangenen Freitag etwa waren die Hälfte der Patienten und Patientinnen Frauen und Kinder. Die von Ärzte ohne Grenzen unterstützten Mediziner und Medizinerinnen sind völlig überlastet und am Rande ihrer Kräfte.
Videoaufnahmen einer Geburtsklinik, die am 23. Februar getroffen wurde (und die seit 2014 von Ärzte ohne Grenzen unterstützt wird)

Seit Beginn der schweren Angriffe sind 15 der 20 von Ärzte ohne Grenzen unterstützten Kliniken in Ost-Ghuta durch Luftangriffe oder Beschuss getroffen worden. Bei diesen Angriffen wurden drei von Ärzte ohne Grenzen unterstützte Mediziner getötet und acht verletzt. In den vergangenen Tagen wurde eine dieser Kliniken zum dritten Mal seit dem 18. Februar getroffen. Darüber hinaus gibt es Berichte über weitere beschädigte oder zerstörte Gesundheitseinrichtungen in Ost-Ghuta, die nicht von Ärzte ohne Grenzen unterstützt werden. Eine ambulante medizinische Versorgung existiert praktisch nicht mehr, weil viele der ambulanten Einrichtungen notdürftig zur akuten Behandlung von Kriegsverwundeten verwendet werden.

Bombardierung und Beschuss muss sofort beendet werden - fünfstündige Feuerpause nicht ausreichend

Die von den Vereinten Nationen geforderte 30-tägige Waffenruhe wird weiterhin nicht umgesetzt. Ärzte ohne Grenzen fordert von den Kriegsparteien:

  • Bombardierung und Beschuss sofort zu beenden oder zu unterbrechen, damit eine grundlegende medizinische Versorgung geleistet werden kann. Die vorgeschlagene – aber ebenfalls nicht umgesetzte – tägliche fünfstündige Feuerpause wird nicht ausreichen, um angesichts des Ausmaßes der Gewalt, der langen Dauer der Belagerung und der langen Zeit ohne jeglichen Hilfskonvoi genügend medizinische und humanitäre Hilfsgüter nach Ost-Ghuta zu bringen.
  • die Evakuierung von Patienten und Patientinnen in kritischem Zustand zu ermöglichen.
  • unabhängige medizinische Organisationen nach Ost-Ghuta zu lassen.
  • lebenswichtige Medikamente und medizinisches Material nach Ost-Ghuta durchzulassen, um die massiven Versorgungslücken zu schließen.
  • sicherzustellen, dass die Zivilbevölkerung auf beiden Seiten der Front nicht beschossen wird – und dies nicht nur während möglicher Feuerpausen, sondern generell.

Ärzte ohne Grenzen unterstützt derzeit 20 Gesundheitseinrichtungen in Ost-Ghuta. Darunter befinden sich 10 Einrichtungen, die vollständig und regelmäßig und meist seit vielen Jahren von der Organisation unterstützt werden. Die 10 weiteren Einrichtungen kennt Ärzte ohne Grenzen gut, sie werden normalerweise durch andere Organisationen unterstützt, erhalten derzeit aber auch Notfallhilfe von Ärzte ohne Grenzen. Ärzte ohne Grenzen ist nicht in der Lage, mit eigenen Teams in Ost-Ghuta Hilfe leisten.

In ganz Syrien betreibt Ärzte ohne Grenzen fünf Gesundheitseinrichtungen und drei mobile Klinikteams im Norden des Landes und hat Partnerschaften mit fünf weiteren Einrichtungen. Aus der Ferne unterstützt Ärzte ohne Grenzen landesweit etwa 50 Gesundheitseinrichtungen in Regionen, in denen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen nicht direkt vor Ort sein können. Ärzte ohne Grenzen kann nicht in von der Regierung kontrollierten Gebieten arbeiten, da diese bislang den Zugang verwehrt. Die Organisation ist auch nicht in Gebieten tätig, die vom Islamischen Staat kontrolliert werden, da es von dessen Führung keine Zusicherungen im Hinblick auf Sicherheit und Unparteilichkeit gegeben hat. Um die Unabhängigkeit zu gewährleisten, nimmt Ärzte ohne Grenzen keine staatliche Unterstützung für die Arbeit in Syrien an.

Die Schilderung (und Tonaufnahme) einer Ärztin aus Ost-Ghuta vom 25. Februar: https://www.aerzte-ohne-grenzen.at/article/die-vergangene-woche-war-katastrophal-audiobericht-einer-aerztin-aus-ost-ghuta