Mittelmeer: 1.800 Menschen gerettet – EU muss Seenotrettung unterstützen

14.07.2017
Die beiden Rettungsschiffe „Prudence“ und „Aquarius“ sind am Freitagmorgen mit fast 1.800 Menschen an Bord in Italien angekommen. Ärzte ohne Grenzen fordert die EU auf, sichere und legale Alternativen zu den gefährlichen Überfahrten zu schaffen.
Mittelmeer, 14.07.2017: Das Such- und Rettungsschiff "Prudence" läuft im Hafen von Salerno in Italien ein.

Die beiden Rettungsschiffe „Prudence“ und „Aquarius“ sind am Freitagmorgen mit 1.795 Menschen an Bord in Italien angekommen. Unter den in den vergangenen drei Tagen aus Seenot geretteten Menschen befinden sich auch mehrere Schwangere und Neugeborene, die dringend medizinische Hilfe benötigten. Die internationale Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen berichtet von den entsetzlichen Bedingungen in Libyen und fordert die EU auf, sichere und legale Alternativen zu den gefährlichen Überfahrten zu schaffen.

Eine Frau hatte mitten auf einem überfüllten Holzboot ein Kind zur Welt gebracht. Sie war bei der Ankunft auf der „Aquarius“ noch über die Nabelschnur mit ihrem Sohn verbunden. Bei einer Frau an Bord der „Prudence“ setzten die Wehen ein. „In unserer Klinik auf der Aquarius haben wir die Nabelschnur durchtrennt. Bei der Mutter mussten wir an einer Stelle das Gewebe etwas nähen, aber ansonsten verlief alles sehr gut. Das Baby namens Christ wiegt knapp dreieinhalb Kilogramm. Trotz der unglaublichen Umstände der Geburt geht es Mutter und Kind gut“, sagt Alice Gautreau, die Hebamme von Ärzte ohne Grenzen an Bord der „Aquarius“, die die Nachgeburt begleitete. „Aber wäre es nicht besser, wenn die beiden nicht durch diese extrem gefährliche Situation hätten gehen müssen? Wenn die Mutter nicht auf einem überfüllten Boot mit mehr als hundert zusammengepferchten Menschen irgendwo draußen im Meer hätte gebären müssen?“

Baby on Bord

Neben der Geburt behandelten die medizinischen Teams von Ärzte ohne Grenzen an Bord der „Aquarius“ und der „Prudence“ viele Patienten und Patientinnen mit Verletzungen durch Gewalt und Misshandlungen in Libyen. Ein Mann hatte eine große infizierte Wunde am Fuß, nachdem er mit einem Stock geschlagen worden war, „weil er eine dunkle Hautfarbe habe“, wie er sagte. Ein anderer Mann aus Mali war auf brutale Weise von Schmugglern zusammengeschlagen worden.

Unter den 860 Geretteten auf der „Aquarius“, die von SOS Mediterranee und Ärzte ohne Grenzen gemeinsam betrieben wird, befanden sich 10 schwangere Frauen und 60 unbegleitete Minderjährige. Unter den 935 Menschen an Bord der „Prudence“ sind 118 Frauen und 16 Kinder.

„Ich wurde in Libyen entführt und fünf Monate lang in einem Lager gefangen gehalten, wo ich mein Kind ganz ohne Hilfe zur Welt bringen musste“, erzählte Patience aus Nigeria an Bord der „Prudence“ dem Team. „Ich habe die Nabelschnur mit einem Rasiermesser durchtrennt. Ich hatte große Schmerzen. Das Boot war meine einzige Chance zu entkommen.“

Forderung nach sicheren und legalen Alternativen

„Jeden Tag bekommen unsere Teams die Geschichten dieser entsetzlichen Flucht durch Libyen und über das Meer erzählt und behandeln die Konsequenzen. Wir fragen uns, was passieren würde, wenn unsere Boote zu spät kämen, wenn es keine erfahrenen medizinischen Teams an Bord gäbe“, sagt Michele Trainiti, Koordinator der Seenotrettung von Ärzte ohne Grenzen. „Die Menschen werden weiter aus Libyen fliehen, unabhängig von dem Risiko, das ihnen auf dem Meer droht. Die EU und ihre Mitgliedsstaaten müssen sichere und legale Alternativen zu diesen gefährlichen Überfahrten schaffen und dringend eine europäische Seenotrettung schaffen, die sich ganz darauf konzentriert, Menschenleben zu retten.“

Die „Prudence“ ist am Freitagmorgen in Salerno bei Neapel angekommen. Die „Aquarius“ wird die Geretteten gemäß den Vorgaben der Seenotrettungsleitstelle in Rom in Brindisi an Land gehen lassen. Im Jahr 2017 haben die beiden Rettungsschiffe mit Teams von Ärzte ohne Grenzen mehr als 17.800 Menschen aus Seenot gerettet.