Libyen: Mangelernährte Menschen in Internierungslager in Tripolis zusammengepfercht

21.03.2019
Fast ein Viertel der Flüchtlinge im Internierungslager Sabaa in Tripolis ist akut mangelernährt oder untergewichtig. Das ist das Ergebnis eines Berichts, für den Ärzte ohne Grenzen zweimal alle Gefangenen auf Mangelernährung untersucht hat. Die Inhaftierten berichten, sie bekämen oft tagelang kein Essen.
Condemned to drown at sea or be locked up in Libya
Sara Creta/MSF
Refugees and migrants detained in the detention centre get rice or pasta for lunch and dinner. For breakfast people receive bread with some cheese. Food is prepared in-house and is served in large metal bowls to be shared by five to 10 people.

Tripolis/Wien, 21. März 2019. Fast ein Viertel der Flüchtlinge und Migranten im Internierungslager Sabaa in Tripolis sind akut mangelernährt oder untergewichtig. Das ist das Ergebnis eines Berichts von Ärzte ohne Grenzen/Médecins Sans Frontières (MSF), für den die Teams zweimal alle Gefangenen auf Mangelernährung untersucht haben. Die Inhaftierten berichten, sie bekämen oft tagelang kein Essen. In dem Internierungslager der libyschen Einheitsregierung, die von der EU unterstützt wird, werden derzeit mehr als 300 Menschen willkürlich festgehalten, darunter mehr als 100 Kinder und Jugendliche. Einige der Gefangenen waren in einem kleinen Raum zusammengepfercht worden, in dem jede Person weniger als einen Quadratmeter Platz hatte. Ärzte ohne Grenzen fordert die libyschen Behörden und die internationale Gemeinschaft auf, die unmenschlichen und krankmachenden Bedingungen in den libyschen Haftanstalten umgehend zu beenden.

„Bislang haben die EU-Staaten alles daran gesetzt, unabhängige Seenotrettung im Mittelmeer zu behindern und die libysche Küstenwache mit Booten, Ausrüstung und Geld aufzubauen. Auch Bundeskanzler Sebastian Kurz hat beim Besuch des Ministerpräsidenten der libyschen Einheitsregierung bekräftigt, dass er die völkerrechtswidrige Rückführung von Bootsflüchtlingen nach Libyen unterstützt“, sagt Laura Leyser, Geschäftsführerin von Ärzte ohne Grenzen Österreich. „Unsere Teams sehen jetzt, wozu das führt: Menschen, die mit europäischen Geldern in das Bürgerkriegsland zurückgezwungen werden, bekommen nicht einmal ausreichend zu essen. Wir fordern die österreichische Regierung auf, sich für den Schutz der in Libyen gefangenen Migranten, Migrantinnen und Flüchtlinge einzusetzen, statt zu ihrem Leid beizutragen.“

Der Bericht zeigt, dass zwei Prozent der Inhaftierten in Sabaa an schwerer Mangelernährung leiden und dringend medizinische Behandlung brauchen. Bei fünf Prozent wurde moderate Mangelernährung festgestellt, weitere 16 Prozent sind untergewichtig. Kinder und Jugendliche sind signifikant häufiger mangelernährt als Erwachsene. Diese Ergebnisse bestätigen zahlreiche Schilderungen der Gefangenen, dass sie nur alle zwei bis drei Tage eine Mahlzeit erhalten. Neuankömmlinge müssen demnach bis zu vier Tage auf Essen warten.

31 Menschen in einem Raum von 4,5 mal 5 Metern eingesperrt

Am 21. Februar hat Ärzte ohne Grenzen aufgrund der Notlage selbst Nahrungsmittel in Sabaa verteilt. An diesem Tag entdeckten die Mitarbeitenden 31 Menschen, die in einem kleinen Raum von nur 4,5 mal 5 Metern eingesperrt waren. Pro Person standen nur 0,7 Quadratmeter Fläche zur Verfügung. Die Menschen konnten sich nicht einmal hinlegen. Der Raum hatte keine Toiletten. Die Menschen waren gezwungen, in Eimer und Plastikflaschen zu urinieren. Trotz wiederholter Interventionen von Ärzte ohne Grenzen, sie in einen geeigneteren Raum zu verlegen, wurden die Menschen in dieser Zelle mehr als eine Woche lang festgehalten.

„In diesem Internierungslager sind die grundlegenden Überlebensnotwendigkeiten nicht gewährleistet", sagt Karline Kleijer, Leiterin der Projektabteilung von Ärzte ohne Grenzen. Wenn Lebensmittel, Schlafstellen und lebenswichtige Güter nicht angemessen bereitgestellt werden können, dann sollten diese Menschen von den libyschen Behörden unverzüglich freigelassen werden.“

Ärzte ohne Grenzen protestiert energisch gegen die willkürliche Inhaftierung von Flüchtlingen, Migranten und Asylsuchenden in Libyen und gegen die Politik der EU-Staaten. Die Organisation fordert von den libyschen Behörden und der internationalen Gemeinschaft:

  1. Jeder, der in Sabaa oder einem anderen Internierungslager in Libyen gefangen gehalten wird, muss regelmäßig ausreichende Mengen an Nahrungsmitteln erhalten.
  2. Alle Kinder und Jugendlichen müssen sofort freigelassen werden. Für ihr Wohlbefinden muss gesorgt werden.
  3. Solange nicht sichergestellt ist, dass die Gefangenen in Sabaa ausreichend Nahrungsmittel und Platz zur Verfügung haben, müssen auch die Erwachsenen freigelassen oder zumindest in andere Lager verlegt werden. Keine weiteren Menschen dürfen dorthin gebracht werden.
  4. Die Bedingungen in libyschen Internierungslagern müssen künftig libyschen und internationalen Standards gerecht werden.

Teams von Ärzte ohne Grenzen leisten seit mehr als zwei Jahren medizinische Hilfe für Flüchtlinge, Migranten und Asylsuchende, die in Internierungslagern in Tripolis, Khoms, Sliten und Misrata festgehalten werden. Die Verantwortung für diese Lager liegt formal bei der Behörde zur Bekämpfung illegaler Migration (Directorate for combatting illegal migration, DCIM), die dem libyschen Innenministerium unterstellt ist. Die Gefangenen in diesen Lagern haben keinen gesicherten Zugang zu medizinischer Versorgung. Diese wird von einigen wenigen humanitären Organisationen, darunter Ärzte ohne Grenzen, sowie von UN-Organisationen geleistet, die trotz der weit verbreiteten Gewalt und Unsicherheit in Libyen in geringem Umfang im Land tätig sein können.

Mediziner von Ärzte ohne Grenzen behandeln Gefangene mit Gesundheitsproblemen und überweisen Menschen in lebensbedrohlichen Zuständen in Krankenhäuser. Die Gesundheitsprobleme der Patienten werden von den unmenschlichen Lebensbedingungen in den Internierungslagern verursacht oder verschlimmert. Dazu zählen Atemwegs- und Durchfallerkrankungen, Krätze und Tuberkulose. Viele Patienten leiden zudem unter Angstzuständen und Depressionen oder zeigen Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung. Teams von Ärzte ohne Grenzen sehen häufig sogar Patienten mit psychiatrischen Erkrankungen, die von der Internierung in den Lagern verschlimmert werden und die einer stationären Behandlung bedürfen.