Kaum Zugang zu medizinischer Versorgung für Bevölkerung im belagerten Rakka

31.07.2017
Bei den anhaltenden Kämpfen um die Kontrolle Rakkas erhalten Kranke und Verletzte in der Stadt kaum lebensrettende medizinische Hilfe. Ärzte ohne Grenzen fordert alle kriegsführenden Parteien und ihre Verbündeten auf, den Schutz der Zivilbevölkerung zu gewährleisten.
Ain Issa
MSF
Ain Issa camp is home of internally displaced families that fled Raqqa city. MSF provides vaccination services to children who newly arrived to the camp. Many children coming out of Raqqa are behind on their vaccination schedule. MSF also supports a primary health care clinic in the camp.

Bei den anhaltenden Kämpfen um die Kontrolle Rakkas erhalten Kranke und Verletzte in der Stadt kaum lebensrettende medizinische Hilfe. Ärzte ohne Grenzen fordert alle kriegsführenden Parteien und ihre Verbündeten auf, den Schutz der Zivilbevölkerung zu gewährleisten und den Zugang zur medizinischen Versorgung zu ermöglichen. Die Organisation bekräftigt zudem die Bedeutung des Zugangs zu Nordost-Syrien für internationale Organisationen. Diese sollten die Möglichkeit haben, Minen zu räumen, so dass die Bewohner sicher in ihre Häuser zurückkehren sowie Hilfsorganisationen dringend benötigte humanitäre Hilfe leisten können.

„Patienten und Patientinnen berichten uns, dass viele Verwundete und Kranke in Rakka eingeschlossen sind. Sie haben keinen Zugang zu medizinischer Versorgung und kaum eine Chance, aus der Stadt zu fliehen”, sagt Vanessa Cramond, medizinische Koordinatorin von Ärzte ohne Grenzen für die Türkei und den Norden Syriens. „Am 29. Juli hat unser Team innerhalb weniger Stunden vier Menschen behandelt, die bei ihrer Flucht aus Rakka Schussverletzungen erlitten haben, unter ihnen ein fünfjähriges Kind. Wir sind äußerst besorgt um die Menschen, die nicht aus der Stadt entkommen können.”

Die wenigen Patienten und Patientinnen, die Teams von Ärzte ohne Grenzen behandeln nachdem sie aus Rakka geflohen sind, berichten, dass der einzige Weg zu entkommen darin besteht, aus der Stadt geschmuggelt zu werden.

„Manche unserer Patienten und Patientinnen waren für Tage und gar Wochen hinter den Frontlinien eingeschlossen”, so Cramond. „Wenn sie Glück haben, erhalten sie eine medizinische Grundversorgung in der Stadt, aber wenn sie dann unsere Krankenhäuser erreichen, sind ihre Wunden oft stark entzündet und oft müssen wir dann amputieren.”

„Wenn du in Rakka nicht bei einem Luftangriff stirbst, erwischt Dich eine Granate, ist es keine Granate, dann ist es ein Scharfschütze..."

Ein 41 Jahre alter Patient mit Verletzungen von Granatsplittern in der Brust war aus der Stadt geflohen, nachdem er sieben Mitglieder seiner Familie verloren hatte. Er erzählt: „Wenn du in Rakka nicht bei einem Luftangriff stirbst, erwischt dich eine Granate, ist es keine Granate, dann ist es ein Scharfschütze, ist es kein Scharfschütze, ist es eine Mine. Und wenn du trotz allem lebst, dann lebst du mit Hunger und Durst unter der Belagerung. Es gibt kein Essen, kein Wasser, keine Elektrizität.” Nach einem Luftangriff war seine Mutter 15 Stunden lang unter den Trümmern eines eingestürzten Hauses begraben. Sie wurde befreit und konnte nach medizinischer erster Hilfe die Stadt verlassen.

Seit Juni haben die Teams von Ärzte ohne Grenzen im Nordosten Syriens 415 Menschen aus der Stadt Rakka und den umliegenden Dörfern medizinisch behandelt. Der meisten Patienten und Patientinnen waren Zivilisten mit Schusswunden oder Verletzungen von Minen oder Granatsplittern.

Folgen des Krieges sind allgegenwärtig

Außerhalb der Stadt, im Gouvernement Rakka, ziehen viele Menschen bereits wieder in ihre Dörfer zurück, aber die Folgen des Krieges bleiben allgegenwärtig. Die Städte und Dörfer sind übersät mit nicht explodierten Sprengvorrichtungen, Minen oder versteckten Bomben.

„In den Städten befindet sich weiterhin eine große Anzahl an Sprengsätzen, die die Menschen daran hindern, in ihr normales Leben zurückzukehren“, sagt Cramond. „Unsere Teams haben zum Beispiel diese Woche in einer Schule in Hasima, im Norden von Rakka, wieder mit medizinischer Hilfe begonnen, mussten die Arbeit jedoch wieder unterbrechen, als sie herausfanden, dass überall im Gebäude Minen und Sprengsätze verteilt waren.“

Ärzte ohne Grenzen ist eine der wenigen medizinischen Organisationen, die auf die akuten Bedürfnisse der Bevölkerung in der Provinz Rakka und im Nordosten Syriens reagiert. Die Teams sind mit acht Krankenwagen in der Nähe der Frontlinien im Einsatz, arbeiten eng mit den lokalen Gesundheitsbehörden zusammen und holen die Patienten und Patientinnen an Sammelstellen im Norden, Osten und Westen von Rakka ab. Zudem unterstützt die Organisation eine Krankenstation außerhalb der Stadt, in der die Patienten und Patientinnen stabilisiert werden, um dann in Krankenhäuser in die rund 100 Kilometer entfernten Städte Tal Abjad oder Kobane gebracht zu werden. Teams von Ärzte ohne Grenzen betreiben zudem eine Klinik im Vertriebenenlager Ain Issa und arbeiten in verschiedenen wieder zugänglichen Gegenden im Nordosten Syriens, die noch bis vor kurzem unter Kontrolle des sogenannten Islamischen Staates waren.