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COVID-19: Ärzte ohne Grenzen gegen Pandemieprofit durch Pharmakonzerne
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Zur Bekämpfung des Coronavirus müssen Pharmafirmen wie Gilead oder Sanofi auf Patente für Medikamente, Impfstoffe und Tests verzichten. Auch Regierungen sind gefordert, den Zugang zu Mitteln gegen COVID-19 sicherzustellen, indem sie Patente aussetzen oder aufheben und Preiskontrollen einführen. Im Rahmen einer Pressekonferenz nimmt Ärzte ohne Grenzen Österreich am Dienstag auch die österreichische Bundesregierung in die Verantwortung: Sie muss dafür sorgen, dass Patentmonopole nicht zu überhöhten Preisen, einem eingeschränkten Zugang und letztlich zum Verlust von Menschenleben führen. Die medizinische Nothilfeorganisation fordert zudem Transparenz in der Vergabe von Zuschüssen für die Erforschung und Entwicklung von COVID-19-Medikamenten und Impfstoffen gegen das Coronavirus.
“Wer die Entwicklungen der vergangenen Wochen verfolgt hat, ahnt, dass ein brutaler Kampf um Impfstoffe und Medikamente gegen das Coronavirus und COVID-19 bevorsteht. Die meisten Expert:innen zweifeln nicht daran, dass mittelfristig neue medizinische Tools für den Kampf gegen die Pandemie zur Verfügung stehen – doch wer wird Zugang dazu bekommen?”, fragt Laura Leyser, Geschäftsführerin von Ärzte ohne Grenzen Österreich. “Wir fürchten, dass das vor allem eine Frage des Budgets sein wird und einige wohlhabende Nationen große Teile der Impfstoffvorräte für sich selbst nutzen werden. Darunter leiden unsere Patient:innen und alle Menschen in ärmeren Ländern. Die großen Profiteure werden aber Pharmafirmen sein, die Marktmechanismen und Patente ausnützen, um die Preise in die Höhe zu treiben.” Erst vor wenigem Tagen wurde publik, dass der Pharmakonzern Sanofi seinen potenziellen Impfstoff zunächst nur an die USA liefern wollte, was zu einem Aufschrei führte. Bereits im März kam es zum US-amerikanischen Versuch, die deutsche Biotechfirma CureVac aufzukaufen, die ebenfalls an einem Impfstoff arbeitet.
Ärzte ohne Grenzen ist in rund 70 Ländern im Einsatz gegen das Virus; auch in Europa und den USA. Die Teams behandeln Erkrankte, unterstützen Spitäler und Kliniken personell, führen Maßnahmen zur Infektionskontrolle durch, sind in Altersheimen tätig, klären über COVID-19 auf und versorgen besonders verletzliche Personen wie Obdachlose oder Flüchtende. Doch erst wenn es einen Impfstoff gibt, erst wenn Medikamente zur Behandlung von COVID-19 existieren, gibt es realistische Chancen, den Einsatz gegen Corona zu gewinnen. Deshalb muss unbedingt sichergestellt werden, dass Impfstoffe, Medikamente und Diagnostika allgemein zugänglich und leistbar sind, sobald diese verfügbar sind.
Das Profitstreben von Pharmaunternehmen hat massive Auswirkungen auf ärmere Länder, etwa in Afrika, wo die Behandlungskapazitäten oft extrem gering sind und Prävention so einen besonders hohen Stellenwert einnimmt. Äthiopien mit einer Bevölkerung von über 100 Millionen Menschen verfügt gerade einmal über 100 Intensivbetten. in Österreich gibt es zurzeit 1.200 Intensivbetten, die ausschließlich für COVID-19-Patient:innen reserviert sind.
Warnung vor brutalem Verteilungskampf
Für das Medikament Remdesivir hat Gilead bereits Patente in 70 Ländern und könnte eine generische Herstellung somit bis 2031 verhindern. Es gibt keinerlei Zusicherung von Gilead, auf diese Patente zu verzichten. In den USA hat der Konzern Ende März versucht, die Laufzeit des Patents sogar zu verlängern, was nur nach massiven Protesten aufgegeben wurde. Dabei ist Gilead jener Konzern, der den Preis für Hepatitis C-Medikamente in astronomische Höhen von bis zu 1.000 Dollar pro Pille hinaufgetrieben hat. Dadurch hat Gilead vielen Menschen weltweit den Zugang zur Behandlung von Hepatitis C versperrt.
Laura Leyser: “Ärzte ohne Grenzen fordert Regierungen vehement dazu auf, entsprechende Maßnahmen einzuführen. Auch die österreichische Regierung muss unbedingt die Aufhebung von Patenten, die Einführung von Zwangslizenzen und Preiskontrollen vorbereiten und dann auch durchsetzen. Patentmonopole müssen jetzt zum Wohle der Allgemeinheit verhindert werden.” Sie befürchtet einen “brutalen Verteilungskampf”, sollten Regierungen nicht umgehend einschreiten.
Fehlende Transparenz
Gefordert sind außerdem Transparenz und klare Bedingungen für Forschungsförderungen. “Konkret möchten wir die österreichische Regierung fragen, welche Bedingungen sie an die 28 Millionen Euro geknüpft hat, die bisher an Förderungen zugesagt wurden”, sagt Marcus Bachmann, Berater für humanitäre Angelegenheiten von Ärzte ohne Grenzen Österreich. “Wer bekommt das Geld und konkret wofür? Und wie stellt Österreich sicher, dass das Geld im öffentlichen Interesse eingesetzt wird? Hier fehlt es leider völlig an Transparenz. Wir müssen daher fürchten, dass die Millionen der Pharmaindustrie sozusagen geschenkt werden.”
Bereits jetzt wird durch mangelnde Preistransparenz bei Schutzausrüstungen eine angemessene Reaktion auf die Pandemie vielerorts verhindert, was auch die Teams von Ärzte ohne Grenzen in ihren Einsatzländern massiv zu spüren bekommen. Auf dem Weltmarkt werden die Preise für Masken und andere Schutzartikel immens in die Höhe getrieben, Ärzte ohne Grenzen muss oft das zehnfache vom üblichen Preis bezahlen. Oft werden Masken an den Höchstbietenden verkauft. Das ist nicht nur ethisch bedenklich, sondern führt dazu, dass sich das medizinische Personal in vielen Ländern nicht ausreichend schützen kann. “Wer sich an den Mangel an Masken in Österreich im März erinnert, kann sich vorstellen was das konkret bedeutet und wie dramatisch der Mangel an Schutzausrüstung in Ländern Afrikas ist”, so Geschäftsführerin Laura Leyser abschließend: “Die große Solidarität, die wir am Anfang der Pandemie in Österreich gespürt haben, muss dringend auch auf Menschen in ärmeren Ländern ausgeweitet werden. Wir brauchen jetzt eine Pandemie der Solidarität.”