Notverordnung: Ärzte ohne Grenzen warnt vor humanitären Konsequenzen

07.09.2016
Ein Appell an die Entscheidungsträger, dieses Vorhaben zu überdenken und die internationalen Bestimmungen zum Schutz von Flüchtlingen einzuhalten.
Ein Kind aus Afghanistan hält sich am Grenzzaun zwischen Griechenland und Mazedonien fest.
Konstantinos Tsakalidis/SOOC
Idomeni, Griechenland, 22.02.2016: Ein Kind aus Afghanistan hält sich am Grenzzaun zwischen Griechenland und Mazedonien fest.

Ärzte ohne Grenzen/Médecins Sans Frontières (MSF) kritisiert die von der Regierung geplante Abweisung von Flüchtenden an Österreichs Grenzen mittels einer Asyl-Notverordnung und warnt davor, dass die Maßnahme gravierende humanitäre Auswirkungen für Menschen auf der Flucht haben kann. Die Hilfsorganisation appelliert an die Entscheidungsträger, dieses Vorhaben zu überdenken und die internationalen Bestimmungen zum Schutz von Flüchtlingen einzuhalten.

„Wir sind äußerst besorgt über die humanitären Folgen, die diese Maßnahme haben wird. Sie wird letztlich dazu führen, dass Menschen auf der Flucht größeren Risiken ausgesetzt sind und noch stärker in die Hände von Schleppern gedrängt werden“, sagt Mario Thaler, der Geschäftsführer von Ärzte ohne Grenzen Österreich. „Es ist bedenklich, dass ein Notstand ausgerufen werden soll, um internationales Recht auszuhebeln und eine Abweisung von Flüchtenden zu rechtfertigen. Die Genfer Flüchtlingskonvention muss weiterhin auch in Österreich gelten.“

Entstehung humanitärer Krisen

Ärzte ohne Grenzen leistet sowohl in den Herkunftsländern als auch entlang der Fluchtrouten Nothilfe für Menschen auf der Flucht. Die Erfahrung zeigt, dass restriktive Maßnahmen wie Grenzschließungen dazu führen, dass dort, wo die Betroffenen festsitzen, eine humanitäre Krise entsteht. Anfang des Jahres verursachte die Einführung einer Obergrenze für Asylanträge durch Österreich eine Kettenreaktion an Grenzschließungen am Balkan und führte letztlich zu einer humanitären Notlage im griechischen Grenzort Idomeni, wo tausende Männer, Frauen und Kinder unter prekären Bedingungen festsaßen. Bis heute sind zehntausende Menschen in Griechenland gestrandet, oft unter unwürdigen Zuständen.

Das Ziel einer verantwortungsvollen Politik müsse deshalb sein, eine weitere Zuspitzung der angespannten Lage für Flüchtlinge in Griechenland, Italien und am Balkan zu verhindern, fordert Thaler. Er appelliert daher an den Hauptausschuss des Nationalrats und alle Beteiligten, bei der Begutachtung des Entwurfs der Notverordnung die humanitären Folgen ihrer Umsetzung zu berücksichtigen. Thaler: „Die Regierung sollte ihre Energie in die Schaffung eines funktionierenden EU-Asylsystems investieren statt in Abschreckungsmaßnahmen, die nur weiteres Leid verursachen.“

Warnung vor Präzedenzfall

Österreich hat im vergangenen Jahr mit der Aufnahme von rund 90.000 Menschen sowie weiterer Personen im laufenden Jahr einen relevanten Beitrag zum Schutz von Flüchtlingen geleistet. Vor einem Jahr hat die Zivilgesellschaft beindruckend ihre Solidarität mit den Schutzsuchenden bewiesen. Seitdem hat sich die Regierung jedoch zu einem der Vorreiter für Europas Abschottung gegenüber Asylsuchenden entwickelt.

Ärzte ohne Grenzen warnt nun, dass die geplante Abweisung von Schutzsuchenden per Notstandsverordnung einen heiklen Präzedenzfall darstellen würde, der eine Signalwirkung weit über Österreich hinaus haben wird. „Wenn weitere Staaten diese Maßnahme übernehmen, wird das Grundrecht von Menschen schwer beschädigt, vor Krieg und Verfolgung aus ihren Heimatländern fliehen zu dürfen“, warnt Thaler. „Wir fordern die zuständigen Minister auf, anstelle von Abschreckungsmaßnahmen wieder die Hilfe für verzweifelte Menschen in den Vordergrund ihrer Bemühungen zu stellen.“