Ärzte ohne Grenzen fordert sofortige Freilassung von Flüchtlingen und Migranten

01.09.2017
Ärzte ohne Grenzen fordert die sofortige Freilassung von willkürlich eingesperrten Flüchtlingen und Migranten aus menschenunwürdigen Internierungslagern in Libyen.
Detention Centres - Tripoli, Libya
Guillaume Binet/Myop
A guard is closing the door of a cell in Abu Salim detention center, in Tripoli, Libya.
Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen/Médecins Sans Frontières (MSF) fordert die sofortige Freilassung von willkürlich eingesperrten Flüchtlingen sowie Migranten und Migrantinnen aus menschenunwürdigen Internierungslagern in Libyen. Teams der Organisation leisten seit mehr als einem Jahr medizinische Hilfe in sieben Internierungslagern in Tripolis, welche offiziell unter Kontrolle des Innenministeriums der international anerkannten Einheitsregierung stehen. Insgesamt haben Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen 16 solcher Gefängnisse besucht. Mit der Publikation „Human Suffering – Inside Libya´s migrant detention centers“ dokumentiert die Organisation in Fotos und Texten die entsetzlichen Haftbedingungen.   „Die Situation in den libyschen Internierungszentren ist verheerend. Es ist inakzeptabel, dass die Europäische Union die libyschen Behörden dabei unterstützt, Menschen unter diesen Bedingungen willkürlich einzusperren und an der Flucht aus dem Bürgerkriegsland zu hindern“, sagt Mario Thaler, der Geschäftsführer von Ärzte ohne Grenzen Österreich. „Die Internierungszentren in Libyen befinden sich unter der Zuständigkeit verschiedener Gruppierungen, darunter bewaffneter Milizen und krimineller Banden, die keinen Gedanken daran verschwenden, ob die Grundrechte der Festgehaltenen gewahrt werden. Dass nun immer mehr Menschen dort ohne Grund festgehalten werden, ist eine direkte Auswirkung der Bestrebungen europäischer Politiker und Politikerinnen, die eine Abschottung Europas anstreben, ohne den Betroffenen in Libyen jedoch eine Alternative zu bieten. Wir fordern Bundeskanzler Christian Kern und Außenminister Sebastian Kurz dringend dazu auf, die libyschen Behörden zur Freilassung der willkürlich eingesperrten Männer, Frauen und Kinder zu drängen.“  

Überfüllte Lager und menschenunwürdige Bedingungen

Die medizinischen Teams von Ärzte ohne Grenzen behandeln in den Internierungszentren jeden Monat mehr als tausend willkürlich inhaftierte Flüchtlinge und Migranten. Ihre häufigsten Beschwerden sind Atemwegsinfekte, Durchfallerkrankungen, Harnwegsinfektionen, Krätze und Befall durch Läuse. Viele der Lager sind vollkommen überbelegt. Die Menschen haben oft nicht einmal genug Platz, sich zum Schlafen hinzulegen. Es gibt wenig Tageslicht und kaum Durchlüftung. Immer wieder haben die Gefangenen nichts zu essen bekommen, so dass selbst Erwachsene an Mangelernährung leiden. Einige dieser Patienten und Patientinnen müssten sofort ins Krankenhaus gebracht werden.   „Den Gefangenen wird in den Internierungslagern jede Menschenwürde abgesprochen. Sie werden misshandelt und haben keinen Zugang zu medizinischer Hilfe“, beschreibt Sibylle Sang, medizinische Leiterin der zuständigen Projektabteilung von Ärzte ohne Grenzen. „Unsere Teams sehen täglich, wie viel unnötiges Leid den Menschen zugefügt wird, indem man sie unter solchen Bedingungen einsperrt. Wir können kaum etwas tun, um dieses Leid zu lindern.“  

Willkürliche Inhaftierung

Im Zustand völliger Gesetzlosigkeit in Libyen gibt es kaum eine Aufsicht über die Internierungslager, geschweige denn eine Regulierung. Selbst grundlegende gesetzliche und verfahrensrechtliche Maßgaben zum Schutz vor Folter und Misshandlung werden nicht beachtet. Es gibt keine formale Registrierung der Eingesperrten und keine Dokumentation von Inhaftierungen und Entlassungen. Sobald Menschen in einem Internierungslager eingesperrt werden, kann niemand herausfinden, was mit ihnen geschieht. Das macht auch eine längerfristige Behandlung von Patienten und Patientinnen äußerst schwierig. Von einem Tag auf den nächsten werden Gefangene in andere Internierungslager verlegt oder an unbekannte Orte gebracht. Manche Betroffene verschwinden einfach spurlos. Die medizinische Hilfe, die Ärzte ohne Grenzen unter diesen Umständen leisten kann, wird dadurch extrem behindert.   Der Zugang zu Internierungslagern ist zudem eingeschränkt, wenn es in Tripolis zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen den Milizen kommt. Selbst die Kontrolle über Internierungslager ändert sich manchmal über Nacht, sodass der Zugang der medizinischen Teams zu ihren Patienten und Patientinnen mit den neuen Machthabern erst wieder ausgehandelt werden muss. Ärzte ohne Grenzen hat wegen der anhaltenden Gewalt und Unsicherheit in Tripolis keinen Zugang zu zahlreichen Internierungslagern.   Um das Leid der Flüchtlinge und Migranten in Libyen zu lindern, reicht der Ansatz der EU, einfach mehr Geld zu zahlen, nicht aus. Dieser verengte Fokus auf eine Verbesserung der Haftbedingungen läuft Gefahr, ein System willkürlicher Inhaftierung ohne jegliche rechtsstaatliche Kontrolle zu legitimieren und zu verstetigen und die Menschen somit auf Dauer Gefahr und Ausbeutung auszusetzen. Die Web-Publikation “Human Suffering – Inside Libya´s migrant detention centers” kann hier abgerufen werden.   Ärzte ohne Grenzen leistet seit einem Jahr medizinische Hilfe für willkürlich inhaftierte Flüchtlinge und Migranten in Tripolis. Darüber hinaus leisten Teams medizinische Hilfe in vier Internierungslagern in der Region Misrata. Pro Monat behandeln sie dort etwa 100 Patienten und überweisen etwa zwölf Patienten, die eine umfassendere Behandlung benötigen, in Gesundheitseinrichtungen der Region. Zuletzt wurden mobile Kliniken in Misrata und südlich der Stadt für Flüchtlinge und Migranten außerhalb der Internierungslager eingerichtet.   Seit 2011 unterstützt die Organisation medizinische Einrichtungen in Libyen durch Medikamente und medizinisches Material und verschiedentlicher Hilfe. In Bengasi behandelt ein Team Kinder und Frauen, insbesondere Schwangere, und leistet psychologische Hilfe.

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