Gedanken am Weg ins Projekt

Kommentar von Ursula Wagner
21.11.2014
Gedanken am Weg ins Projekt

Ursula Wagner ist Projektmanagerin und Medizinanthropologin. Bei ihrem ersten Einsatz mit Ärzte ohne Grenzen arbeitet sie 9 Monate in Am Timan im Südosten des Tschad, wo sie für die Koordination der Gesundheitsaufklärung (Health Promotion) zuständig ist.

Ein Flugzeug voller hauptsächlich weißer Männer, ist mein erster Eindruck, als ich an einem verhangenen Novembertag den Airbus von Paris nach N’Djamena, der Hauptstadt des Tschad, betrete. Mein Sitznachbar informiert mich, dass es hauptsächlich im Ölbusiness tätige internationale Expats sind (und einige der 2.000 im Tschad stationierten französischen Soldaten waren wohl auch dabei). Das erklärt, warum die Hälfte der Maschine aus Business Class besteht, was zu einem seltsam verkürzten optischen Bild des Flugzeugs führt, das mich – entgegen meiner Erwartungen – vollbesetzt (!) ins viertärmste Land der Welt befördert.

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Meine Ankunft in Am Timan © Ursula Wagner/MSF

Zwar ist aufgrund der Erdölgewinnung ein leichtes Wirtschaftswachstum zu verzeichnen, auf das Gesundheitssystem und die Lebenserwartung der Menschen hat sich dies bisher nicht ausgewirkt. Die Fruchtbarkeitsrate ist mit sieben Kindern pro Frau eine der höchsten der Welt, und seit der Unabhängigkeit im Jahr 1960 stetig im Steigen begriffen. Erschreckend hoch sind jedoch die Säuglings- und Müttersterblichkeit. Eines von 20 Kindern stirbt noch im ersten Monat, jedes sechste Kind vor seinem fünften Geburtstag (laut data.worldbank.org). Zudem erliegt jede 15. Frau laut der Weltgesundheitsorganisation WHO den Folgen einer Schwangerschaft oder Geburt. Armut, Unterernährung sowie schlechter Zugang zu gesundheitlicher Versorgung stellen große Probleme für die Bevölkerung dar, die besondere Gefährdung von Frauen hängt mit der Frauenrolle, der frühen Verheiratung der jungen Mädchen, geringer Bildung und nicht zuletzt der weit verbreiteten Praxis der Frauenbeschneidung zusammen.

Diese wird auch in der Region Salamat im Südosten des Landes, wo ich arbeiten werde, praktiziert. Meine neue Aufgabe besteht, neben allgemeiner Gesundheitsbildung, in der Sensibilisierung für die gesundheitlichen Folgen von Beschneidung, früher Heirat (= früher Schwangerschaft) und die Menschen zur Nutzung der Gesundheitsservices zu motivieren. Von meinem Vorgänger weiß ich, dass er als Erfolg verbuchen konnte, dass Mädchen mit Komplikationen nach der Beschneidung ins Krankenhaus kommen. Vielleicht gibt es eines Tages das eine oder andere Mädchen, das aufgrund meiner Arbeit nicht beschnitten wird, träume ich. Aber wer bin ich, dass ich mir ein Urteil über eine kulturelle Praxis erlaube, frage ich mich kritisch. Gleichzeitig bin ich erleichtert, dass die lokale Gesetzgebung Beschneidung verbietet und dass ich mit Ärzte ohne Grenzen eine anerkannte Organisation hinter mir habe, die seit 30 Jahren im Tschad arbeitet und viel Anerkennung findet.

Ärzte ohne Grenzen war erstmals 1981 im Tschad tätig. Im Februar 2014 hat die Organisation Nothilfeprogramme in N´Djamena, Bitoye, Goré und Sido gestartet, um die Flüchtlinge aus der Zentralafrikanischen Republik zu betreuen. Weiters gibt es die regulären Programme in Abéché, Am Timan, Massakory, Moissala und Tissi. Mehr erfahren: Einsatzland Tschad

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